Schnorren ist nüchtern kaum zu packenArtistin

Punk sein in Linz

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche, aber hätten Sie ein paar Schillinge für mich.“ Ich werde immer angesprochen, egal in welcher Stadt – sehe wahrscheinlich so aus, als ob ich ein paar Schillinge hätte. Ich kenne den jungen Mann bereits vom Sehen, er gehört zu jener schwer abzugrenzenden Gruppe von Punks, die entscheidend mithelfen, Linz so etwas wie städtisches Flair zu verleihen. Scherzhaft meinte ich schon zu manchem meiner ausländischen Besucher, es würde sich bei dieser Personengruppe um Magistratsbedienstete handeln, die vom Fremdenverkehrsverband co-finanziert werden. Ihre Aufgabe sei es, durch öffentliches Herumlungern das Stadtbild ein wenig abzurunden, um so die Kulissenhaftigkeit des Hauptplatzes und der Donaulände ein wenig zu mildern. Eine Stadt wie Linz brauche so etwas, um ihrem Erscheinungsbild ein wenig mehr Tiefe zu verleihen. Meist stutzen meine FreundInnen kurz – Österreich trauen sie viel zu, warum nicht auch eine urbane Variation des Alm-Öhi-Themas?Natürlich habe ich einige Schillinge für den jungen Mann, habe ich meistens. Er bedankt sich und zieht weiter. Müde wirkt er und ein wenig gedämpft. Georg Berndorfer, Streetworker des Vereins Jugend und Freizeit und als solcher auch zuständig für die innere Stadt, erklärt mir auch warum: „Schnorren ist nüchtern kaum zu packen. Man erfährt dabei soviel Ablehnung, dass man gut daran tut, sich vorher ein wenig ‚dicht‘ zu machen.“ Diese Dichtheit schütze, so Berndorfer weiter, vor Beleidigungen. Georg, in seinem Selbstverständnis parteilich für die Jugendlichen, kennt die Szene sehr gut. Das Politische der einstigen Punkbewegung steht nicht mehr so sehr im Vordergrund, erzählt er mir bei einem Treffen.

Die kulturellen Codes allerdings funktionierten noch, und interne Solidarität sei nach wie vor ein hoher Wert. Dies zeige sich vor allem, wenn sich Punks aus anderen Städten in Linz aufhalten oder „Linzer Punks“ anderswo „gastieren“. Da könne man sich als Punk auch weiterhin darauf verlassen, auf eine einigermassen funktionierende community zu stoßen, die einen aufnimmt. Außer natürlich es kommen harte Drogen ins Spiel, diese erschwerten in den meisten Fällen jede Solidarität. Georg verweist auch darauf, dass es sich bei einem Großteil um Obdach- bzw. Wohnungslose handle, für die es kaum passende (annehmbare) Angebote gäbe. Jugendliche seien oft gezwungen, in Abbruchhäusern zu übernachten oder sehen sich in „Zweckgemeinschaften“ gedrängt in denen Obdach mit vielerlei Gegenleistungen erkauft werden muss. Vor allem Mädchen und junge Frauen gerieten so oft von einer Abhängigkeit (vor der sie geflohen sind) in die nächste. Was hier fehle, sei eine sogenannte niederschwellige Notschlafstelle für Jugendliche mit möglichst geringen Zugangsbeschränkungen.

„Nicht so einfach“, meint aber Dr. Kastenhuber vom Zentrum Spattstrassen, das eine Krisen- und Notschlafstelle für Jugendliche in der Scharitzerstrasse betreibt. Das Problem läge direkt im Jugendwohlfahrtsgesetz, das unterbringenden Einrichtungen auch einen Erziehungsauftrag und die Obsorge für die untergebrachten Jugendlichen zuweist. Diese Forderung des Gesetzgebers sei nicht erfüllbar mit einer Einrichtung, die die Anonymität der Klienten wahrt und über ständig geöffnete Türen und ein Minimum an Kontrolle verfüge – und nichts anderes sei wohl mit dem Begriff „niederschwellig“ gemeint. Nichtsdestotrotz hält auch er das derzeitige Angebot für wohnungs- und obdachlose Jugendliche für nicht ausreichend.

(Zw,T.) Untersuchung über die Akzeptanz von Notschlafszellen

Dies belegt auch eine Untersuchung des Sozialvereines B37, der in der Waldeggstrasse 38 eine Notschlafstelle für Erwachsene unterhält. In Ausnahmefällen werden hier auch Jugendliche aufgenommen. Der rechtliche Status dieser Jugendlichen ist allerdings nicht geklärt, ebenso wie die Frage, ob nun der Verein, als Quartiergeber, rechtlich die Obsorge für diese Jugendlichen übernehmen müsste. Ernst Achleitner und Marion Bacher, VerfasserInnen dieser Untersuchung, weisen für Linz und Umgebung eine Grundgesamtheit von etwa 200 Jugendlichen mit dringenden Wohnproblemen nach. Dabei unterscheiden sie Jugendliche, die akut wohnungslos sind, also „auf der Strasse stehen“ (ca. 5%), solche, die derzeit in betreuten Wohnformen leben (etwa die Hälfte), und Jugendliche, die sich in prekären Verhältnissen (oft einhergehend mit großer Abhängigkeit bis hin zu Ausbeutungsverhälnissen) befinden (ca. 45%). Über vier Fünftel der Jugendlichen kommen aus ungünstigen familiären Situationen und über die Hälfte der Jugendlichen haben Probleme in der Schule ober im Arbeitsleben.

Die Untersuchung konnte in einem Halbjahr 66 Fälle zählen, in denen die Unterbringung in einer niederschwelligen Notschlafstelle dringend notwenig, aufgrund des Fehlens einer solchen Einrichtung allerdings nicht möglich war. Die Dunkelziffer getraut sich Marion Bacher, immerhin Mitverfasserin dieser Untersuchung und intensiv mit dem Problem befasst, nicht einzuschätzen. Aber sie werde wohl beträchtlich sein, da nur Fälle in die Untersuchung aufgenommen werden konnten, die einer der Jugendbetreuungseinrichtugen bekannt sind. Derzeit läuft eine weitere Untersuchung der Sozialakademie, ob eine niederschwellige Notschlafstelle von den Jugendlichen überhaupt angenommen würde. In einigen Tiefeninterviews soll versucht werden, die Akzeptanz einer solchen Einrichtung zu ergründen.

Polizeiliche Arbeit als Integrationshemmnis Immer wieder wird von obdachlosen Jugendlichen, aber auch von StreetworkerInnen, Klage darüber geführt, dass die Polizei mit unnötigen und ungerechtfertigt scheinenden Schikanen gegen diese Gruppe vorgehe. Es wird sogar vermutet, dass es eine Weisung gäbe, Punks von prominenten Plätzen der Stadt zu verdrängen. Das Mittel dazu seien eine Flut von Verwaltungsstrafen wegen oftmals lächerlichen Delikten. So sei einem Obdachlosen eine Verwaltungsübertretung wegen „Herumlungerns und Verbereitung penetranten Gestanks“ zur Last gelegt worden. „Ja“, so Oberstleutnant Johann Schnell, Abteilungskommandant der Schutzwache 1 und somit zuständig für die innere Stadt, „diese Anzeige hat es gegeben. Allerdings ist das schon mindestens eineinhalb Jahre her. Der junge Mann hatte in die Hose gemacht und war trotz mehrmaliger Aufforderung nicht bereit, den Hauptplatz zu verlassen.“

(Zw.T.) Druck der Bevölkerung auf die Polizeibeamten

Oberstleutnant Schnell sieht vieles in einem anderen Licht als die StreetworkerInnen. Die Notwendigkeit einer niederschwelligen Notschlafstelle sieht er nicht. Seiner Einschätzung nach biete das Magistrat den Jugendlichen und jungen Erwachsenen „bereits alles Mögliche an“. Er besitzt auch eine Liste mit der Überschrift „Punkszene in Linz“, die etwa 25 straffällig gewordene Punks auflistet. Diese Gruppe bezeichnet er als den harten Kern der linzer Punkszene. Wobei er Wert auf die Feststellung legt, dass nicht alle Punks kriminell veranlagt seien. Er selbst sei in seiner Jugend aufgrund seiner Haartracht auch als Rowdy eingestuft worden, obwohl er sich selbst niemals als solcher betrachtet und sich auch nicht wie ein solcher gebärdet habe.

Der Polizei stehen bei ungebührlichem Verhalten – und meist handelt es sich um solches – mit dem Sicherheitspolizeigesetz differenzierte und abgestufte Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung. Diese würden, so Schnell, auch sehr umsichtig angewandt. Man dürfe bei der Betrachtung des polizeilichen Vorgehens nicht vergessen, dass oft ein ungeheurer Druck von seiten der Bevölkerung auf die Beamten ausgeübt werde, sehr viel öfter und rigoroser durchzugreifen. Daher definiert er für seine Beamten auch zwei Ziele. Nach innen: sich an die Gesetze halten, und nach außen: der Bevölkerung gerecht werden. Eine Weisung, Punks vom Hauptplatz zu vertreiben, gäbe es allerdings nicht.

Für Ing. Erich Wahl, Geschäftsführer des Vereines Jugend und Freizeit, der einige Jugendzentren und auch das Streetworking in Linz betreibt, liegt dieser Verdacht aber dennoch nahe. Anders seien gewisse Maßnahmen nicht nachvollziehbar. Ing. Wahl hat auch bereits vor einiger Zeit gemeinsam mit Ernst Achleitner vom B37 ein dreistufiges Konzept für eine Notschlafstelle vorgelegt. Die ständigen Untersuchungen über den Bedarf und die Akzeptanz einer solchen Einrichtung hält er für wertvoll, allerdings auch für Teil einer Verzögerungstaktik der Jugendwohlfahrt und der verantwortlichen PolitikerInnen, die sich diese Maßnahme nicht umzusetzen getrauten. Dass eine Notschlafstelle, die die Anonymität der „BewohnerInnen“ wahrt und die ohne Kontrollen auskommt, auch schnell als Drogenumschlagplatz oder Stundenhotel in Verruf kommen könnte, stört ihn wenig. „Dann wären viele Menschen endlich gezwungen zu erkennen, dass eben nicht alles in Ordnung ist in unserer Gesellschaft.“ Daran, dass die Notschlafstelle kommen wird, glaubt er allerdings fest. Sie sei eine Notwendigkeit und daher werde sie auch kommen. Zwei Jahre, so schätzt er, werde es noch dauern. Aber über den Sommer werde wie immer nichts passieren, erst im Herbst, wenn der Leidensdruck der PolitikerInnen wieder wächst, weil sie befürchten müssen, dass ein jugendlicher Obdachloser erfriert, sei wieder mit ihnen zu reden.

Weniger Optimismus getraut sich die zuständige Sozialstadträtin Dr. Ingrid Holzhammer zu verbreiten. „Das Problem“, so Dr. Holzhammer „ist nicht mangelnder Wohnraum, denn Wohnraum gibt es derzeit in Linz genug.“ Das Problem sei vielmehr, dass Jugendliche und junge Erwachsene die ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungen auch behalten könnten. Und noch eine Einschränkung sieht sich Dr. Holzhammer gezwungen zu machen. „So niederschwellig, wie sich die Jugendlichen das wünschen, wird es die Notschlafstelle nicht geben. Denn auch sie müssen lernen sich in die Gesellschaft einzufügen, einfach Anarchie zu leben, wird nicht gehen.“ Auch für die Idee einiger Obdachloser, ein Haus in Selbstverwaltung zu führen, kann sich Dr. Holzhammer nicht erwärmen. „Ich traue dieser Gruppe das nicht zu!“


Der Autor ist Mitarbeiter des neuen nonkonformistischen Online-Magazins PRAIRIE (http://www.prairie.at) , das uns mit kritischen Texten zu Politik, Kultur und Konsum erfreut.

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