Schöne Leichen im Kellervorstadt

Eine kleine Augustin-Museologie: Folge 5 – Das Bestattungsmuseum am Zentralfriedhof

Was trug man bei Sisis finalem Good-bye? Seit wann ist Haydns Kopf wieder da? Und wie viele Leute sind eine Familie, wenn es ums Familiengrab geht?  Im Bestattungsmuseum wird den letzten Fragen gefrönt. Lisa Bolyos (Text und Fotos) hat sich ins Kellergeschoß begeben, um den Toten auf Augenhöhe zu begegnen.Auf der Simmeringer Hauptstraße steht ein müde wirkender Mann, an der Leine ein Pony mit einem Schild: «CIRCUS. Tiere bitten um Tierfutter.» Das wirkt wie ein Foto aus dem Krisenjahr 1929. In der Reihe vor mir sitzt ein kleines Kind, dessen ganze Gefühle dem Pony gehören; wir rattern im 71er hinaus aus der urbanen in die ländliche Stadt.

Vor dem Tor 2 des Zentralfriedhofs ist es ruhig, die Kerzen- und Kranzstandln sind beleuchtet, aber Maronibrater und Würstelstand haben die Rollläden runtergezogen, dabei ist es winterlich kalt, Maroniwetter. Geht man durchs Tor und immer geradeaus, geht’s zur Lueger-Gedächtniskirche, auf die beim großen Universitätsring-Umbenennungsstreit scheinbar vergessen wurde. Dabei kann man drauf wetten, dass sich, befragte man die Wiener_innen, Hans Hölzel oder Udo Jürgens als Namensgeber gegen den Altbürgermeister (den Helmut Zilk einmal als «den Lehrer von Hitler» bezeichnet haben soll) durchsetzen könnte.

Udo Jürgens liegt links vom Hauptweg, in bester Gesellschaft von Milo Dor und Ernst Jandl; zwei Friedhofsarbeiter schlendern zu ihm rüber, um die vielen Kerzen treuer Fans wieder anzuzünden. Hier am Zentralfriedhof, sagt Helga Bock, hat Udo Jürgens Falco den Rang abgelaufen: «Für uns ist es gut, dass er da ist.» Gleich rechts von Tor 2 führen Bodenmarkierungen zum Bestattungsmuseum.

 

Sterben, sparen, privatisieren

 

«Das ist alles?», fragt eine Besucherin ein wenig pikiert mit Blick auf die Sonderausstellung, die eine illustre Runde der ganz großen Toten dieser Stadt (Happel, Kreisky, Falco etc.) porträtiert. «Wo ist der Klappsarg hin?» Erich Kirchstorfer, der an der Rezeption sitzt, kann aushelfen – nein, nein, der Klappsarg, den Joseph II kurzfristig durchgesetzt hatte, ist beim Umzug nicht verschwunden, die Dauerausstellung befindet sich jetzt hinter den hölzernen Schwingtüren, bei deren Anblick die Besucherin ein leichtes Gruseln überkommt. Ganz geheuer wirken die massiven Doppeltüren tatsächlich nicht, fast erwartet man, dass sie sich laut quietschend öffnen, um hinterher mit einem Krachen endgültig ins Schloss zu fallen.

Kirchstorfer und Bock arbeiten gemeinsam mit ihrem Kollegen Erich Traxler im neuen Bestattungsmuseum, das im Oktober 2014 seine Räumlichkeiten am Zentralfriedhof bezogen hat; die «Bestattung und Friedhöfe GmbH» ist mit Kind und Kegel aus der Wiedner Goldeggasse nach Simmering gesiedelt. Das Gebäude in der Goldeggasse wurde trotz Protesten einer Bürger_inneninitiative an die private Immobilienfirma «Soulier Management» verkauft und abgerissen, bis Ende diesen Jahres soll Wohnraum der Sonderklasse entstehen. Eine Privatisierung mehr – man ist fast schon geneigt, «was soll’s» zu sagen. In einem überdimensionierten Neubau mit viel Weiß und viel Glas residiert «Bestattung und Friedhöfe» nunmehr gegenüber von Tor 2, das Firmen-Organigramm listet diverse GmbHs von Menschen- und Tierfriedhöfen über Gebäudeerrichtung bis hin zur Bestatterakademie auf.

Erich Kirchstorfer hatte gerade seine Tischlerlehre abgeschlossen, als die ersten Selbstbaumöbel auf den Markt kamen – in der Möbeltischlerei war keine Stelle mehr zu finden. So begann er 1982 in der Sargproduktion und tischlerte dort über dreißig Jahre lang; bis, so muss man annehmen, der GmbH der Groschen gefallen war, dass man andernorts viel billiger zukaufen kann. Im Dezember 2013 schlossen sich die Werktore der Sarg​­erzeugung Atzgersdorf in der Breitenfurter Straße; nur noch Metallsärge werden heute von der «Sarglogistik Wien GmbH» gefertigt. Frage ich Erich Kirchstorfer, wieso dichtgemacht wurde, sagt er, dazu sage er nichts.

Heute arbeitet Kirchstorfer an der Museumsrezeption und in der Vermittlung, und er tut dem Museum gut, denn seien wir ehrlich, die Praxis schleift den Menschen anders, als es die Theorie jemals vermag. Kein Wunder, lauschen die Kindergartenkinder gern, wenn einer vom Tod erzählt, der selbst einmal, wenn man so will, für ihn die Holzpyjamas gefertigt hat. «Die stellen Fragen! Wie ist das, wenn man tot ist?» Und was sagen Sie dann?, möchte ich wissen. «Da kann ich nur sagen, dass ich es selber nicht weiß.»

 

«Hier lieg’ ich und muss verwesen …»

 

«Hier lieg’ ich und muss verwesen / Was Ihr seid, bin ich auch gewesen / Was ich jetzt bin, das werdet ihr / Geht still vorüber und betet mir.» Mit schwarzem Faden ist der Sinnspruch auf weißes Tuch gestickt. «Wir befinden uns unter der Erde», sagt Helga Bock, die mich durchs Museum führt, «sozusagen im Reich der Toten». Über uns ist die Aufbahrungshalle 2.

Hier erfahren Sie – falls Sie es nicht schon wussten –, wie Joseph Haydns Kopf entführt wurde. Post mortem, versteht sich. Grabräuber eigneten sich im Sterbejahr 1809 die geistigen Überreste an, weil sie, Anhänger der Schädellehre nach Franz Joseph Gall, in Haydns Schädel das Genie vermuteten. Ob sie es jemals gefunden haben, ist nicht überliefert, wohl aber, dass der Kopf erst nach 145 Jahren zu seinem angestammten Körper nach Eisenstadt zurückkehrte. Als die Kaiserin Elisabeth 1898 ins Gras biss, lud besagter Lueger «zu dem feierlichen Leichenbegängnisse» unter Angabe des Dresscodes: «Die Theilnehmer erscheinen im Fracke, mit weißer Cravatte». Und sein Kritiker Zilk lobte in einem Brief an die Bestattung rund hundert Jahre später das Begräbnis von Bruno Kreisky mit den Worten: «Es war wirklich eine Visitenkarte Wiens im besten Sinn!» Die Wiener_innen lieben ihre schönen Leichen.

Vom Grabbuch, in dem das allererste Grab (Jakob Zelzer, 1874) am Zentralfriedhof eingetragen ist (es ist bis heute erhalten), über Modelle der «Leichen­tram» bis zu Joe Zawinuls Totenmaske ist das Museum mit Reliquien des Totenkults ausgestattet. Ein wenig geht ihm dabei, überraschend für diese Stadt, die so viel Wert auf ihre morbide Kultur legt, der Humor ab. Ein bisschen zu brav ist es geworden, ein bisschen zu viel biedere Geisterbahnatmosphäre macht sich breit – dabei gibt es hier durchaus Schmankerl zu entdecken: etwa das Mitgliedsbüchlein des «Wechselseitigen Leichenkosten-Versicherungs-Vereins» oder die Schärpe der «Sterbekasse Selbsthilfe Alt-Ottakring». Solche Selbstversicherung wäre ein Revival wert! Denn zweifellos muss man auch für die letzten Meter noch ganz schön was hinlegen. Maximal zu viert kann man sich im sogenannten Familiengrab betten – ob auch außerfamiliäre Grabgemeinschaften zulässig sind, bleibt vorerst offen. Wenn man die Miete nicht zahlt, wird nach zehn Jahren zusammengelegt. Dann werden die Knochen ins Knochenkasterl verfrachtet, unter der Grabsohle verstaut, und die nächsten vier ziehen ein, erklärt mir Helga Bock die gängige Vorgangsweise: «Ich sag dann gern, da ist der Vormieter noch drin.»

Zur Vorbereitung des eigenen Abgangs kann man in einer Audioinstallation auch die Top Ten der Begräbnismusik anhören. «Sag zum Abschied leise Servus», «Time to Say Goodbye», «Waun da Heagott net wü». Die aktuelle Nummer eins, sagt Helga Bock mit professioneller Miene, sei aber «Einmal sehen wir uns wieder» von Andreas Gabalier. Nicht einmal unter der Erd’ hat man seine Ruh’, denke ich, und bekomme abrupt Sehnsucht nach der Oberwelt.

Draußen hat die Sonne den Nebel vertrieben, Krähen und Besucher_innen latschen gemächlich zwischen den Gräbern entlang. Der 71er bringt mich zurück zu den Lebenden. Auf ein Haus am Rennweg hat jemand «stay gone» gesprüht.