Schöne neue Arbeitswelt?Artistin

Work-Life-Balance heißt der jüngste Comic von Zeichnerin und Autorin Aisha Franz. Im Interview erzählt sie über Arbeit in der Kreativbranche und (falsche) Ideale.

TEXT UND INTERVIEW: MARTIN REITERER
FOTO: JANA MADZIGON

Anita, Rex und Sandra sind in trendigen Berufen unterwegs. Doch ist diese hippe Arbeitswelt wirklich so schön und fair? In einem bunten Reigen miteinander verflochtener Episoden beleuchtet ­Aisha Franz in ihrem neuen Comic Work-Life-Balance verschiedene Facetten moderner Arbeitsverhältnisse im Umfeld von Kunst und Start-up-Unternehmen. Ein Fokus liegt dabei auf der Selbstwahrnehmung von Arbeit und sozialer Anforderung. Die deutsche Zeichnerin mit chilenisch-kolumbianischen Wurzeln ist seit ihrem Debüt Alien (2011) bekannt für die Verwischung von Träumen, Wünschen und Vorstellungen mit der Realität, die frappierende Erkenntnisprozesse in Gang setzen kann. Im aktuellen Band fungiert eine der Protagonist:innen, die Psychologin, als Katalysator für das Erzählen. Angesichts der Härten neoliberaler Arbeitszwänge erweist sich der parodistische Humor der Zeichnerin als wunderbares Ventil für Frust und Ärgernis im Alltagsleben.

Ihre Comics sprühen vor Witz. Sie sprechen über Probleme zugleich direkt und entwaffnend. Wie entsteht das?
Das entsteht hauptsächlich dadurch, dass ich mich selbst nicht zu ernst nehmen will. Die Themen gehen mich ja persönlich meistens an. Und die Figuren, die ich jetzt für Work-Life-Balance entworfen habe, sind auch aus meinem demografischen Umfeld. Meine Arbeit daran ist eine Art Ventil. Ich muss auch selber beim Zeichnen darüber lachen können.

Sie kennen diese Arbeitswelt aus eigener Anschauung?
Es ist nicht so, dass mir alle Situationen und Figuren gleich nah sind. Einiges kenne ich auch von Erzählungen. Mein Buch ist durchzogen von Klischees, die zum Teil auch tatsächlich erfüllt werden in der Realität.

Kommen wir zu einer Ihrer Figuren: Anita hat Kunst studiert und macht Gebrauchskeramik. Lieber würde sie aber richtige Kunst machen.
Aber es ist gar nicht so klar, ob es das ist, was sie gerne machen würde. Ich glaube, es geht eher um dieses Ideal, das sie mit sich herumträgt, dieses Ideal einer Künstlerinnenkarriere. Dass es eine höhere Wertigkeit hat, einfach als Künstlerin angesehen zu werden und nicht als eine Person, die Keramik macht. Und das wollte ich entlarven.

Es geht um verschiedene Bilder, die da aufeinanderprallen?
Ja, es geht natürlich auch um Identifikation, weil das die Arbeit oft suggeriert: Dass man sich mit ihr identifizieren soll oder will. Oder auch um eine Art Selbstverwirklichung. Aber wissen wir überhaupt, was das bedeutet?

Sandra hat einen gut bezahlten Job in einem hippen Start-up. Aber sie fühlt sich unterfordert. Ist die Identifikation mit der Arbeit notwendig?
Das finde ich überhaupt nicht. Also das ist ja dieses Paradoxe an dem Begriff Work-Life-Balance. In der mo­dernen Arbeitswelt erwartet man, dass man quasi Teil der Familie wird. Du sollst dich mit der Arbeit identifizieren und andersherum. Die Grenze von Work und Life sollte am besten gar nicht mehr existieren.

Wirklich entspannt ist die Psychologin. Sie isst Chips während der Sitzungen oder cremt sich die Hände ein. Und die Abgrenzung von Arbeit und Leben beherrscht sie bis zur Perfektion.
Sie ist in gewisser Weise die Work-Life-Balance in Person. Aber sie hat auch andere Funktionen: Sie erfüllt ­einen erzählerischen Rahmen, und für mich als Autorin ist sie eine Art Katalysator, der es mir erlaubt, die Figuren durch sie von außen zu beobachten. Ich schaue ihnen eigentlich so ein bisschen beim Scheitern zu. Das fand ich interessant, weil ich das bisher noch in keinem meiner Bücher so richtig hatte.

Mit Sandra kehren Sie eine Rollenerwartung in Bezug auf sexuelle Belästigung um. Sie geht da bis zur sexu­ellen Erpressung und sadistischen Demütigung ihres Kollegen. Ging es Ihnen auch darum, ein Klischee zu vermeiden?
Ja, sicherlich. Ich habe das Gefühl, man erkennt dadurch komischerweise noch stärker die Abgründe und Machtverhältnisse, wenn es vertauscht ist.

Rex dagegen wird von seiner Firma klassisch ausgebeutet. Sie übernimmt die App, die er entwickelt hat, mit ein paar kleinen Änderungen. Sehr zynisch dabei ist: Er wird mit Lob überhäuft, ­finanziell geht er aber leer aus.
Er wird zum Hacker. Doch das sehe ich bei ihm als Happy End. Für mich ist das genau das Subversive daran; der Gewinn an dem Ganzen.

Es gibt ja nicht nur eine Figur, die sich wehrt oder von etwas befreit. Sind die Wutausbrüche, die Sie so grandios inszenieren, ein Instrument der Befreiung?
Also bei Anita ist es ein Befreiungsmoment, obwohl sie es in diesem ­Augenblick noch nicht weiß. Aber es ist ein Auftakt zu so einer Entwicklung da hin.

Ihre Zeichnungen wirken auf den ersten Blick sehr einfach. Bei genauer Lektüre sieht man, wie sehr Sie die Mittel des Mediums nutzen.
Der Comic gibt mir die Spontaneität, etwas direkt zu erzählen. Du brauchst nur Papier und Stift und hast Möglichkeiten, die du in anderen Medien nicht unbedingt hast, um mit Realität und Traum und Vorstellung und ihrer Darstellung zu spielen. Ich nutze das gar nicht alles aus. Doch für mich sind Comics ja eigentlich eine Subkultur.

Aisha Franz:
Work-Life-Balance
Reprodukt 2022
256 Seiten, 20 Euro

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