Ende März findet in Wien die Europäische Gaskonferenz statt.
Vertreter:innen der globalen Gasbranche diskutieren hinter verschlossenen Türen über ihre eigene fossile Zukunft. Aber auch Klimaaktivist:innen aus der ganzen Welt kommen nach Wien, um für den Ausstieg aus Gas zu mobilisieren.
TEXT: CHRISTIAN BUNKE
FOTO: CHRISTOPHER GLANZL
Nur den wenigsten Wiener:innen dürfte die Europäische Gaskonferenz ein Begriff sein. Dabei ist sie ein regelmäßiger Event im Wiener Kongresskalender, der in vergangenen Jahren durchaus große Hallen wie das Vienna International Center gefüllt hat. Organisiert von der in London ansässigen Veranstaltungsfirma Clarion handelt es sich bei der Konferenz um ein hochkarätiges Get-together von CEOs zahlreicher Gaskonzerne und politischen Entscheidungsträger:innen.
Krieg ums Gas
Gas ist ein kontroverses Thema. Das war es schon immer. Als fossiler Rohstoff ist Gas eng mit der Geschichte kolonialer Ausbeutung des globalen Südens durch die Staaten des globalen Nordens verknüpft. Die Förderung von Gas ist, ähnlich wie Öl, mit Kriegen, Diktaturen und Umweltkatastrophen verbunden. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine brachte diese Thematik auf drastische Weise ins öffentliche Bewusstsein. Der vergangene Winter stand im Zeichen der Furcht vor Energieknappheit und massiver, für viele Menschen bedrohlicher Preissteigerungen. «Österreich ist zu 80 Prozent abhängig von russischem Gas», stellte Johannes Wahlmüller, Klima- und Energieexperte bei der Umweltschutzorganisation Global 2000, auf einer Veranstaltung an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Anfang März fest. Daraus, aber auch aus der umwelt- und klimaschädlichen Natur der Gasförderung an sich, ergebe sich die dringende Notwendigkeit, in Österreich einerseits auf andere Energieformen umzusteigen, andererseits aber auch den Energieverbrauch an sich dramatisch zu senken.
OMV, LNG & CO2
Events wie die Europäische Gaskonferenz bieten einen seltenen Einblick in die Debatten, die die Gasbranche derzeit umtreiben. Und sie machen sichtbar, in welche politischen und wirtschaftlichen Machtstrukturen die Branche eingebettet ist. So trat in vergangenen Jahren das russische staatliche Gasunternehmen Gazprom immer wieder neben der österreichischen OMV als Gastgeber auf. Im Jahr 2023, und ein Jahr nach Beginn des Ukrainekrieges, nimmt Gazprom an der Konferenz nicht mehr teil. Die OMV ist alleinige Gastgeberin. Stattdessen ist die Firma German LNG Terminal eine Sponsorin der Veranstaltung. Es handelt sich dabei um ein aus dem Boden gestampftes Unternehmen, das bis zum November vergangenen Jahres zwei neue Flüssiggasterminals in Deutschland in Rekordzeit errichtet hat.
Flüssiggas, kurz LNG (für das englische «liquefied natural gas»), spielt in den Strategien der westlichen Gasbranche derzeit eine Schlüsselrolle. «Die Wettbewerbsfähigkeit von LNG in Europa im Vergleich zur Weltbühne» ist deshalb auch das Hauptthema am Vormittag des 27. März, dem ersten Tag der Gaskonferenz. Auf Podiumsdiskussionen werden Aspekte wie «LNG als langfristiger Treiber für natürliches Gas in Europa» oder «LNGs langfristige Rolle im zukünftigen Energiemix positionieren» besprochen. Bei Klimaschützer:innen wie Johannes Wahlmüller schrillen bei solchen Überschriften die Alarmglocken. Gas sei keine Brückentechnologie für die Energiewende, also kein Energieträger, auf den man sich im Übergang zu einer CO2-neutralen Energieproduktion stützen sollte. Im Gegenteil sei derzeit beobachtbar, dass durch Maßnahmen wie den Ausbau von LNG das «fossile System über Jahrzehnte festgeschrieben» werde, so Wahlmüller vor rund 100 neugierigen Zuhörenden auf der BOKU.
Das gilt auch für Wasserstofftechnologien, denen auf der Gaskonferenz ein ganzer Tag gewidmet wird. Wasserstoffproduktion soll als grüne Technologie vermarktet werden, die eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur CO2-Neutralität spielen kann. Der große Vorteil daran aus Sicht der Gasbranche: Bestehende Infrastrukturen können weiterverwendet werden, einer fortgesetzten Wertschöpfung steht nichts im Wege. Für LNG-Terminals gilt dies nicht. Sie sind nicht umrüstbar, bedeuten also den Aufbau neuer Abhängigkeiten. Ein Haken ist, dass eine wirklich «grüne» Wasserstoffherstellung nur begrenzt möglich ist. Wenn, wie es sich die Gasbranche vorstellt, zukünftig fast der gesamte Gasverbrauch auf Wasserstoffbasis funktionieren soll, müsste aufgrund des hohen Energiebedarfs auf «blauen Wasserstoff» zurückgegriffen werden, für dessen Herstellung wiederum Erdgas benötigt wird. Auch diese Technologie liefert, am Klimaschutz gemessen, nicht, was sie zu versprechen scheint.
Fossile Champagnerparty
Auf der Gaskonferenz werden Themen von großem öffentlichem Interesse diskutiert. Das scheint zumindest die EU-Kommission so zu sehen. Deren stellvertretender, für Energie zuständige Generaldirektor Matthew Baldwin soll am zweiten Tag der Gaskonferenz eine Rede darüber halten, wie sich die EU die Umgestaltung ihrer Energieversorgung nach dem «phase out» russischen Gases vorstellt. Zuvor wird Alfred Stern, CEO der OMV, eine Willkommens-Keynote halten. Rund 500 Vorstandsmitglieder zahlreicher transnational aktiver Konzerne werden interessiert lauschen, und anschließend noch interessierter an den rund 100 «privaten Treffen» auf der Konferenz teilnehmen. Dabei handelt es sich um nicht offiziell im Veranstaltungsprogramm angekündigte Besprechungen, die noch klandestiner und exklusiver sind als die Gaskonferenz selbst.
Exklusiv ist die Konferenz tatsächlich: Eintrittskarten kosten zwischen 4.000 und 5.000 Euro. Dafür werden aber auch «Champagne Round Tables» und ein Gala-Dinner geboten. Und wie es sich für einen ordentlichen Insider-Event gehört, ist der Austragungsort der Veranstaltung ein großes Geheimnis. Beim Vienna Convention Bureau der Stadt Wien wird er nicht aufgeführt. Das sei «ungewöhnlich», heißt es dort auf Nachfrage.
Geheimnisvolle Gewinne
Auch die Veranstalter selbst bewerben den Konferenzort nicht öffentlich. Das verwundert, schließlich hat sich Wien ein international großes Prestige als Austragungsort für Kongresse und Konferenzen aller Art aufgebaut. Kongresse sind Schlüsselelement der Wiener Tourismusstrategie, und eine Haupteinnahmequelle für Flughafen, Hotels und Veranstaltungszentren.
Andererseits ist die Geheimniskrämerei auch verständlich. Denn nur so können die Betreibergesellschaft des Suezkanals, bulgarische Regierungsvertreter:innen und die OMV ungestört die Erschließung neuer Gasfelder im Schwarzmeer diskutieren oder norwegische Gaskonzerne über ähnliche Projekte in der Ostsee berichten. Und manche Beobachter:innen mag es stutzig machen, dass mit dem Trans-Adriatic-Pipeline-Konsortium, ein von der EU direkt gefördertes neues Pipelineprojekt, zu dessen Teilaktionären unter anderen der BP-Konzern gehört, eine prominente Rolle auf der Konferenz spielt. Ist sie einmal fertig, soll diese Pipeline Griechenland und Italien verbinden und mit Gas versorgen. «Was wir hier sehen, sind neue Anlagemöglichkeiten und Infrastrukturen für Pipelines und LNG-Terminals, die eigentlich lange vom Tisch waren», analysiert Verena Gradinger, die für die Gruppe «System Change not Climate Change» an der Veranstaltung auf der BOKU teilnahm. «Und die Investor:innen würden diese Investitionen nicht tätigen, wenn sie nicht der Überzeugung wären, dass diese Infrastrukturen dann auch Jahrzehnte in Betrieb sein werden, um Gewinn zu erzeugen.»
Power to the People!
Das Treffen einer Branche, die hier auf dem Rücken von Krieg und Krisen Profite abschöpfen möchte, bleibt nicht unwidersprochen. Bereits seit Monaten plant ein Bündnis aus aktivistischen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen Proteste. Die sollen viele Formen annehmen. In den Tagen vor Beginn der Gaskonferenz wird der Yppenplatz in Ottakring zum Austragungsort der «Power to the People»-Konferenz. Der Ort ist bewusst gewählt. Die Öffentlichkeit der Nachbarschaft im Grätzel ist Kontrapunkt zur Verschlossenheit der Gaskonferenz. Erwartet werden Vortragende aus aller Welt. So sind unter anderem Aktive der britischen «Don’t Pay UK»-Kampagne angekündigt, die auf der Insel eine Nichtbezahlungsbewegung gegen überteuerte Strom- und Gasrechnungen aufbauen wollen. Mit «Don’t Gas Africa» hat sich ein Bündnis verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen vom afrikanischen Kontinent für die Alternativkonferenz angemeldet. Sie wollen «die neoliberale und neokoloniale Seite der EU-Politik in Afrika sichtbar machen», sagt eine Sprecherin der «Power to the People»-Konferenz dem Augustin.
Der Alternativkonferenz folgen Aktionstage. Deren erklärtes Ziel ist es, die «Champagnerparty» auf der Gaskonferenz mittels Aktionen des zivilen Ungehorsams zu «crashen». Gruppen rund um die Klimagerechtigkeitskampagne «Ende Gelände» organisieren bereits Infoveranstaltungen in verschiedenen deutschen Städten, und auch in Polen wird für die Proteste mobilisiert. Mit «System Change not Climate Change» und «Erde Brennt – Uni Besetzen» sind zwei prominente Akteur:innen der Wiener Klimagerechtigkeitsbewegung mit am Start. Die «LobauBleibt»-Bewegung lässt grüßen. Die an der Gaskonferenz teilnehmenden Chief Executives hingegen dürfen sich schon mal warm anziehen. Er wird heiß, der Wiener Frühling.