Schon 163 Privathäfen in den USAtun & lassen

Das globale Geschäft mit dem Verbrechen (1)

Würden in Österreich so viele Menschen wie in den USA eingesperrt werden, wären derzeit nicht 9.060, sondern 57.000 Personen hinter Gittern. Viele davon in Knästen privater Unternehmungen. Denn wäre der Neoliberalismus hier schon ausgereift wie drüben, gäbe es in Österreich bereits etliche Privatgefängnisse …Ein Gradmesser für Demokratien ist der Umgang mit AußenseiterInnen, RechtsbrecherInnen und störrischen Menschen. Wie frei und sozial ist eine Gesellschaft, die das Strafprinzip und den sozialen Ausschluss zur wichtigen politischen Leitlinie macht? In keinem Land dieser Erde werden mehr Menschen eingesperrt als in den USA. Hier verbündet sich der Neoliberalismus mit dem Konservativismus. Die einen sorgen für die strengen Gesetze des strafenden Staates, die anderen machen damit Geschäfte, indem sie mit privaten Gefängnissen Gewinn machen. Auch in Österreich steigen die Häftlingszahlen und lässt sich die neue Lust am Strafen feststellen. Auch wenn es hierzulande keine privaten Gefängnisse gibt, Neoliberale wie der Manager Dr. Raidl denken darüber nach (Profil Nr. 32), denn größer noch als die Straflust ist die Profitlust. Angesichts übervoller Gefängnisse sei daran erinnert, dass es einen Justizminister, Christian Broda, gab, der die Utopie von einer gefängnislosen Gesellschaft hatte. Unser Autor Hansjörg Schlechter, der als Sozialarbeiter in der Straffälligenhilfe tätig ist, beschreibt in diesem zweiteiligen Text (Schlussteil in Ausgabe Nr. 166) die Auswüchse des privaten Gefängnismarktes.

In vielen Lebensmittelgeschäften und Restaurants in Wien kann mit dem Sodexho-Pass eingekauft oder gegessen werden. Der Sodexho-Pass ist ein Produkt der Firma Sodexho (Lebensmittelgutscheine, Essensmarken, Chipkarte), mit dem man bargeldlos bezahlen kann. Übrigens, AsylwerberInnen in Berlin bekamen noch bis 2003 ihre Sozialhilfe mit diesen Sodexho-Gutscheinen. In Österreich wird zwar nicht die Sozialhilfe damit ausbezahlt, aber vielen öffentlich Bediensteten wurden mittlerweile diese Gutscheine, statt der früher üblichen Essensmarken, zur Verfügung gestellt. Die Firma Sodexho wurde von Herrn Pierre Bellon 1966 in Marseille gegründet, zählt heute 314.000 Beschäftigte in 72 Ländern und wurde mit Cateringkonzepten groß. Eine Tochter von Sodexho, Sodexho Alliances Services for Correctional Facilities betreibt Gefängnisse und Flüchtlingslager rund um den Globus. Sodexho ist „bemüht, die tägliche Lebensqualität all ihrer Partner kontinuierlich zu verbessern“, heißt es im Leitbild.

Ein anderer europäischer Konzern, die dänische Group 4 Falck Sicherheitsfirma mit 230.000 Beschäftigten in 85 Ländern und einem Umsatz von 4.2 Milliarden Euro (in Österreich in der Flughafensicherheit und im Werkschutz vertreten), verkauft im Mai 2003 seinen 57-Prozent-Anteil an der börsennotierten Wackenhut Corporation Inc. (Muttergesellschaft des zweitgrößten amerikanischen Gefängniskonzerns, Wackenhut Correction Corporation, der „jedes menschliche Wesen mit Würde behandelt und dessen Menschenrechte schützt und jederzeit bewahrt“).

Zur selben Zeit wird das auf einem ehemaligen Raketenversuchsgelände in Südaustralien gelegene Flüchtlingslager Woomera nach einer langen Periode der Aufstände und des Protests geschlossen. Die Wackenhut Tochter ACM (Australasian Correctional Managment) war die Betreiberin dieses Anhaltelagers.

Nach einer Periode enormer Profite an den börsennotierten Gefängnisunternehmen in den USA (Steigerungen um 1000 Prozent waren keine Seltenheit) ziehen sich die europäischen Konzerne wieder zurück.

Weltweit volle Gefängnisse – Marktführer USA


In den USA überspringen 2002 erstmalig die Häftlingszahlen die 2-Millionen-Grenze. In Europa beschließt die französische Regierung nach den Wahlen um 140 Millionen Euro den Bau von 28 neuen Gefängnissen (davon 8 für Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren) mit insgesamt 13.200 Plätzen. Finanziert und geplant wird dieses „Konjunkturbelebungsprogramm“ von Privatunternehmen, die mit 30 Jahresverträgen ausgestattet sind. Auch die italienische Regierung beschließt den Neubau von 22 Gefängnissen.

In den USA sind 2,131 Millionen Menschen in Staats-, Bundes- und lokalen Gefängnissen inhaftiert (Stand Dezember 2003), das heißt auf 100.000 Einwohner kommen 726 Gefangene bei einer Bevölkerung von 290 Millionen. Weltrekord! Zum Vergleich beträgt die Inhaftierungsrate in Kanada 116 Menschen auf 100.000 EinwohnerInnen, wohingegen in Indien weltweit die wenigsten Menschen inhaftiert sind (29 auf 100.000).

Global erreichen nur Russland und die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion das Niveau der Vereinigten Staaten, so sind in Russland 550 Menschen pro 100.000 eingesperrt.

Die weltweite Durchschnittsrate beträgt 140. Für die großen Unterschiede zwischen den Ländern – ob hoch entwickelt oder arm – gibt es keine rationalen Erklärungen, weder sind die Kriminalitätsraten in Ländern mit übervollen Gefängnissen niedriger, noch steigt die Kriminalität in den Ländern mit liberalerer Praxis. Es gibt und gab nie einen Zusammenhang zwischen hohen Haftraten und Kriminalität. „Die Verdreifachung der Gefängnispopulation in den USA hat nichts mit der Kriminalitätssituation zu tun“, stellt der norwegische Kriminologe Nils Christie fest. Einzig die Politik stellt diesen Zusammenhang her und erzeugt damit eine „Situation der Masseninternierung“ (Christie).

Inhaftierungsquote und Arbeitslosenrate


Zurück zu den USA: Noch 1975 waren in den USA „nur“ 380.000 Menschen hinter Gittern, was einer Quote von 100 entsprach, die zwischen 1925 und 1975 stabil blieb. Ausgehend von Reagans „Krieg gegen die Drogen“, der zur Verschärfung der Gesetze führte (eine Politik, die von Clinton fortgesetzt wurde), stiegen dann in den 80er und 90er Jahren die Inhaftierungsraten um jährlich 3,6 Prozent. Heute sind 6 Prozent aller Männer über 18 Jahren permanent inhaftiert, während 13,3 Prozent aller AfroamerikanerInnen zwischen 25 Jahren und 29 Jahren hinter Gefängnismauern leben. Die Inhaftierungsrate farbiger erwachsener Männer in Amerika 2002 ist höher (7.150 auf 100.000) als in Südafrika in Zeiten des Apartheidregimes (851 auf 100.000).

Die niedrige Arbeitslosenrate in den Wachstumsjahren der Clinton-Administration wäre um 1 bis 2 Prozent höher gewesen, wenn nicht so viele Personen dem Arbeitsmarkt durch Inhaftierung entzogen worden wären. Nicht zu unterschätzen ist auch der „Arbeitsplatz schaffende“ Faktor der Errichtung neuer Gefängnisse in strukturschwachen, ländlichen Regionen, auf dem das amerikanische „Jobwunder“ der 90er Jahre auch aufbaute. 4 Prozent der zur Verfügung stehenden amerikanischen Arbeitskräfte sind unmittelbar (Gefangene) oder mittelbar (Wärter) dem Arbeitsmarkt entzogen.

Unter Justizaufsicht (Bewährungshilfe und Parole) stehen permanent weitere 4,6 Millionen AmerikanerInnen. Damit stehen fast 6,7 Millionen unter strafrechtlicher Kontrolle, das sind 3 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Einem Großteil dieser Menschen wurde auch das Wahlrecht entzogen, was auch ein Faktor für den Ausgang der letzten Präsidentschaftswahlen war.

Nach kriminologischen Untersuchungen (Wacquant, Feeley, Simon) sind 75 Prozent aller Gefangenen wegen vergleichsweise harmlosen Drogen- und Eigentumsdelikten in Haft. Aufgrund der strengen Drogengesetzgebung sind derzeit 450.000 Menschen eingesperrt, gegenüber 45.000 im Jahr 1980.

KritikerInnen dieser Entwicklung sprechen mittlerweile von einem „Prison Industrial Complex“ (PIC), der 476.000 Personen Beschäftigung gibt. Das amerikanische Gefängniswesen ist demnach nach General Motors und der Einkaufskette Walmart der drittgrößte Arbeitgeber der USA mit einem jährlichen Umsatz von 5 Milliarden US Dollar. Nils Christie schätzt die Kosten öffentlicher und privater Kriminalitätskontrolle (Justiz, Polizei, Sicherheitsdienste, Gefängnisse) im Jahr 2000 auf 210 Milliarden US-Dollar, im Vergleich dazu beläuft sich das Verteidigungsbudget im selben Jahr auf 281 Milliarden Dollar.

Inhaftierungsraten (Inhaftierte auf 100.000 EinwohnerInnen)

Die Top Five weltweit (2005):

USA 726 505 (92)

Russland 550 487 (92)

Weißrussland 532 327 (92)

Südafrika 413 282 (93)

Kasachstan 342 494 (97)

Die Top Five Westeuropas:

England and Wales 143 90 (92)

Spanien 141 90 (92)

Portugal 125 93 (92)

Schottland 130 104 (92)

Niederlande 123 49 (92)

Die Beitrittsländer :

Estland 339 306 (92)

Lettland 337 314 (92)

Litauen 234 245 (92)

Polen 209 153 (92)

Tschechien 190 123 (92)

Die europäischen „Nachzügler“:

Island 39 39 (92)

Slowenien 56 42(92)

Norwegen 65 58 (92)

Finnland 71 65 (92)

Dänemark 70 66 (92)

Zum Vergleich die neuesten österreichischen Zahlen: 106 (2005), 87 (1992)

(Quellen: International Center of Prison Studies)

Deutlich wird anhand dieser Zahlen, dass in vielen Ländern mehr Menschen eingesperrt sind als noch vor 10 Jahren. Selbst in Ländern, die für ihre liberale Strafpraxis bekannt waren wie die Niederlande, haben sich die Häftlingszahlen innerhalb von 10 Jahren mehr als verdoppelt (von 49 auf 123 InsassInnen pro 100.000 EinwohnerInnen). Würden in Österreich so viele Menschen wie in den USA eingesperrt werden, wären derzeit nicht 9.060, sondern 57.000 Personen hinter Gittern.

Der private Gefängnismarkt

Nach Schätzungen (die Datenlage ist ungenau) sind etwa 250.000 Menschen weltweit in privaten Gefängnissen untergebracht.

In den USA sind ca. 120.000 Personen in 163 privat gemanagten Gefängnissen eingesperrt, das entspricht einem Marktanteil von etwa 6,1 Prozent.

In Großbritannien werden 9 Gefängnisse von Privatunternehmen mit 6000 Plätzen geführt, zwei weitere mit einer Kapazität von 1900 Betten sind geplant, der Marktanteil liegt bei 10 Prozent.

In Australien teilen sich vier private Unternehmen den Gefängnismarkt auf, der nach dem Australian Institute of Criminology 15 Prozent ausmacht. Voll privatisierte Gefängnisse nennenswerten Ausmaßes gibt es noch in Kanada, Südafrika, Chile, Frankreich und Korea.

Profite werfen private Gefängnisse ab einer Auslastungsrate von 95 Prozent ab, wobei durch Überbelag die durchschnittliche Auslastung in den USA bei 110 Prozent liegt.

Marktführer in den USA ist die Correctional Corporation of America (CCA). Diese Gefängnisfirma wurde 1983 mit dem Kapital von Kentucky Fried Chicken gegründet. CCA hat 65.000 Plätze in 64 Gefängnissen, von denen 38 in Besitz der Firma sind und 26 gemanagt werden. CCA ist in 20 Staaten der USA und dem District of Columbia vertreten, beschäftigt 15.000 Angestellte und hat damit einen Marktanteil von 49.4 Prozent in den USA. Über Beteiligungen und mit Tochterfirmen ist CCA in Puerto Rico, Australien und dem United Kingdom vertreten.

Sodexho Alliances (die französische Cateringfirma, über die in Österreich öffentlich Bedienstete ihre Essensmarken bekommen), hatte bis Mai 2001 einen 8- Prozent-Anteil an Correctional Corporation of America. Sodexho gab seinen Anteil am amerikanischen Gefängnisgeschäft nach einer massiven StudentInnenkampagne unter dem Motto „Not with our money“ auf (Prison Privatisation Report, Nr 37, ein Report, der vierteljährlich von der Public International Research Unit, einer Soros Stiftung herausgegeben wird). Hintergrund dafür war der Erwerb von Marriot Managment Services (120.000 Beschäftigte), die neben anderen Geschäftsfeldern auf 500 Universitäten das Cafeteriageschäft betreiben.

„Nur Gefängnisse ohne Todesstrafe“

Ausgehend von einigen Universitäten in Washington DC und New York begannen StudentInnen die Cafeterias zu boykottieren und Sit-ins zu veranstalten. Der Imageschaden und die Geschäftseinbußen veranlassten Sodexho Alliances, sich aus dem US-amerikanischen Gefängnismarkt zurückzuziehen, wobei das auch damit zu tun haben mag, dass die wirklich fetten Börsenjahre zu Ende gegangen sind.

Allerdings betreibt Sodexho über seine Tochterfirmen United Kingdom Detention Services (UKDS) und Australasian Integrated Managment Systems (AIMS) Gefängnisse und Flüchtlingslager in Großbritannien und Australien mit ca. 8.000 Plätzen. Das Flüchtlingslager Harmondsworth am Londoner Flughafen Heathrow musste nach Unruhen im Juli 2004 kurzfristig geschlossen werden.

Über das Gefängnis Acaccia in Wooroloo, Westaustralien, mit 750 Plätzen betrieben von AIMS (ab Oktober 03 bei Group4Falck), stellt Generalinspektor Prof. Richard Harding in seinem Bericht von März 2003 fest, dass durch Personalmangel, Drogenmissbrauch, Gewalt, schlechte medizinische Versorgung und zu wenig Essen solche gravierenden Probleme entstanden sind, dass eine Vertragsauflösung empfohlen wird (Prison Privatisation Report International, Nr. 55).

In Spanien, Italien und den Niederlanden werden Gefängnisse von Sodexho mit Essen beliefert und auch das amerikanische Marinekorps ist Kunde von Sodexho, die sich in den Ethics auf ihrer Web Site verpflichten, nur Gefängnisse und Versorgungsleistungen in „demokratischen Ländern ohne Todesstrafe, mit Integrationszielen und ohne Waffen tragendes Personal zu betreiben“.

Alle verwendeten Daten zu den Inhaftierungszahlen stammen aus folgenden Quellen: International Center of Prison Studies, Kings College, School of Law, University of London; prisonsucks.com, research on the crime control industry; Loic Wacquant, „Elend hinter Gittern“, Konstanz 2000; US Justizministerium; Home Office, London

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