Schon Schwein gehabt?Dichter Innenteil

Im Herbst meines Lebens erinnere ich mich, nun bereits über vier Jahrzehnte in der Hauptstadt lebend, immer wieder minutiös an meine Jugendzeit auf einem kleinen Bauernhof im Mostviertel. Gerade so, als hätte sich dies in einem anderen, zweiten Leben zugetragen. Der rasante Umbruch in der Landwirtschaft brachte in 70 Jahren größere Veränderungen hervor als zuvor in einem Jahrtausend.

Foto: Hans Bogenreiter

Kune Kune Schweine des Innsbrucker Reithmann Gymnasiums

Früher wurden unsere Schweine auch im Winter regelmäßig ins Freie gelassen, da in dieser Zeit der Stall ausgemistet und mit frischem Stroh versorgt wurde. Die Tiere wurden dabei – ich gehe von Wintern aus, wo die Landschaft regelmäßig drei Monate weiß bedeckt war – oft schneeblind, irrten orientierungslos und zunehmend verstört herum und konnten nur mit großer Mühe eingefangen werden. Ich fürchtete mich stets, jemand aus dem Freundeskreis könnte mich bei der Schweinejagd von der Straße aus beobachten. 50 Jahre später wären dank Google Earth die Spuren im Schnee allgemein publik geworden.

Viele Jahrzehnte später sah ich mit Vergnügen den Film Schweinchen Babe. Natürlich waren da einige Tricks dabei, aber es war auch klar zu sehen, welche Intelligenz diese millionenfach verachtete und missbrauchte Kreatur besitzt. Zum Beispiel sind Schweine imstande, einen gatschigen Hang als Sportwiese zu betrachten, auf der man wunderbar immer wieder voller Lust hinunterrutschen kann (Animal TV Köln).

Bis zu 3.000 Schweine werden laut einer Reportage in der Zeitschrift GEO täglich in Brasilien bei Nuribras in Sorriso geschlachtet; ein_e einzige_r Mitarbeiter_in köpft 10.000 Schweine im Monat. In den 15 bis zum Horizont reichenden Ställen, nein, Hallen, des Unternehmens Fazenda Seis Amigos (Farm der sechs Freunde) tummeln sich bis zu 40.000 Schweine. Massentierhaltung, die im Einzelfall auch mal beherztes Eingreifen erfordert: «Eine Arbeiterin trampelte auf dem Bauch trächtiger Muttersäue herum, um die Geburt der Ferkel zu beschleunigen», bemerkte das Journalistenteam. Großställe, wo sich Krankheiten gut verbreiten und mit Antibiotika bekämpft werden, gibt es nun rund um den Globus, und in den Schlachthöfen Westeuropas und den USA arbeiten vor allem Immigrant_innen zu Billiglöhnen. Der Gestank der Mastbetriebe ist auch in der Umgebung kaum auszuhalten, und mit Schaudern erinnere ich mich an eine Hochzeit in einem niederösterreichischen Dorf, wo der strenge Geruch von ein paar Schweinebauern in der lauen Sommernacht einen überallhin, auch in den Festsaal, begleitete.

Durch Mark und Bein


Höchstens zweimal im Jahr wurde bei uns am Hof ein Schwein geschlachtet, und die schrillen, in Mark und Bein gehenden Schreie waren für mich nur schwer zu ertragen. Aber von der Mitarbeit konnte ich mich doch nicht drücken, denn die lakonisch ausgesprochene Drohung des älteren Bruders, «Dann kriegst du eben keinen Schweinsbraten und kein Schnitzel mehr», verfehlte ihre Wirkung nicht. Das Schlachten war und ist nichts für zartbesaitete Gemüter. Das auserkorene Schwein wurde mit einem Strick an den Beinen angebunden, es erkannte da schon sein nahendes Ende und quiekte grässlich und herzzerreißend laut – die Schreie gingen mir durch Mark und Bein. Mit dem Schlag des stumpfen Kopfteils einer großen Hacke genau zwischen die Ohren ging das schrille Geschrei in ein Röcheln und Gurgeln über, da das Schwein gleich gestochen und das Blut aufgefangen wurde. Dabei zuckten die Beine im Todeskampf. «Und jetzt spritzt das warme Blut aus dem Hals der letzten Sau», heißt es in einem Lied von WIZO. Ob die Apparate, die Schlachtungen am Fließband ermöglichen, tatsächlich «humaner» sind, sei dahingestellt, jedenfalls verlängert sich der Leidensdruck, der für die Fleischverwertung bestimmten Schweine aus der Massenmasthaltung, durch die langen Transportwege in die Schlachthäuser. Die beklemmende Enge in den Koben und auf den Ladeflächen der LKWs sind immer wieder von Tierschutzorganisationen dokumentiert worden. Die Entrüstung über diese untragbaren Zustände legten sich jedoch, und Business as usual ist wieder angesagt: Die Tötung der Tiere wird verschleiert und das Fleisch wird zur Ware.

Was einen «richtigen» Schweinsbraten ausmacht


Wie schmackhaft das Fleisch unserer eigenen Schweine war, lernte ich erst richtig schätzen, als nach der Aufgabe der Schweinehaltung meine Mutter beim örtlichen Fleischer einkaufte, der schon vom Großhandel beliefert wurde. Was war das denn? Ein Schweinsbraten – auf den ersten Blick sehr mageres, von feinen Fettstreifen durchzogenes, Fleisch, das jedoch nach allem schmeckte, nur nicht nach Schweinefleisch. In den Städten wuchs aber bereits eine neue Generation heran, die die Fleischqualität nicht mehr vergleichen konnte und sich an das hormonangereicherte Schweinemastfleisch rasch gewöhnte. Was für ein Verlust, dass heute kaum noch jemand weiß, was einen «richtigen» Schweinsbraten ausmacht: In der «Rein», im Ofenrohr stundenlang gebraten, kam der frische Braten – ein herrlich duftendes Stück samt Knochen und Schwarte – mit Knoblauch, Kümmel und Majoran gewürzt auf den Tisch. Die mitgebratene Fettschicht machte das magere Fleisch mürbe und verlieh ihm einen wunderbaren Geschmack. Ich bin überzeugt, dass sich so ein Braten- oder auch ein Schnitzelfleisch fundamental vom derzeit am «normalen» Markt befindlichen unterscheidet. Immer wieder konnte ich bei Lokalbesuchen in Wien der Versuchung nicht widerstehen, einen Schweinebraten mit Kraut und Knödel zu bestellen, um mich hinterher zu ärgern, weil der Braten ohne Knochen und Schwart`l auf den Tisch kommt. Als ich einmal in einer Runde diesen Mangel beklagte, erfuhr ich, dass in den Gastwirtschaften Kopp, Mitzitant` und Oben und im Gasthaus Pöschl der Schweinsbraten noch mit diesen von mir so geschätzten Eigenschaften kredenzt wird.

So richtig wurde mir erst auch in der Großstadt bewusst, wie gut und abwechslungsreich die Schweine auf dem elterlichen Hof gefüttert wurden. Unter der Abwasch stand immer der «Saufuadakübl» (Schweinefutterkübel), wo sich die Küchenabfälle sammelten: u. a. Obst- und Kartoffelschalen (damals war nicht bekannt, dass sich gerade darin die Vitamine konzentrieren); Futterrüben und Getreideschrot ergänzten den Speisezettel. Ab dem Spätsommer konnten sich die Schweine auf Fallobst freuen, und dann kamen auch Kürbis und Mais dazu. Erst viel später erfuhr ich, dass diese als «Saufutter» verachteten Feldfrüchte als menschliche Nahrung sehr geschätzt werden. Mittlerweile esse ich sie ebenfalls gerne.

Feinschmecker


Entgegen der landläufigen Meinung sind Schweine Feinschmecker. Als mein Vater einmal am nahen Berg einen Bauernhof besuchte, ruhte gerade ein Brotteig in einem Holztrog. Die am Hof frei herumlaufenden Schweine rochen den «Braten», stürmten in die Küche, stießen den Trog um und verkosteten schmatzend den Teig. Als mein Vater eintraf, scheuchte die Bäuerin gerade die Schweine davon, noch immer schimpfend hob sie den Teig ohne viel Federlesens auf und knetete ihn wieder zusammen. Schädliche Keime wurden wohl in der Hitze des Backofens abgetötet; über den Geschmack des Brotes kann nur spekuliert werden.

Neben dem vom eigenen Hof stammenden Qualitäts-Futter haben bestimmt auch die Ausläufe in der sogenannten «Saugoss`n» (mit einem Bretterzaun umgebenes kleines Feld) eine große Rolle gespielt. Zweifelsfrei erzeugten sie summa summarum den guten Geschmack dieses «Schweinernen».

Artgerechte Tierhaltung ist aber nach wie vor nur die Ausnahme von der Regel. Im Weinviertel lernte ich einen Weinbauern kennen, der eine großzügige Koppel für einige Schweine angelegt hatte, wobei er genüsslich vorausblickte: «Gell, ihr werdet mir schmecken.» Immerhin konnten sich die in der Zwischenzeit geschlachteten Tiere Zeit ihres Lebens frei bewegen und gediehen ohne Kraftfutter und Hormonspritzen prächtig. Zudem brachte ein Freund immer wieder Fallobst vorbei. Ich unterstellte ihm frech den Hintergedanken, später dafür ein Filetstück abzubekommen – was ich ihm nicht verdenken kann: Wenn schon Fleischessen, dann wenigstens von Tieren, die artgerecht gehalten werden. Und in der Zukunft erwartet uns eventuell Zellkulturfleisch, wofür kein Tier geschlachtet werden muss und das klimaschonend produziert werden wird.