Schreiben hinter Schwedischen GardinenArtistin

Augustin ist 20 und schaut zurück auf 1997, den Jahrgang Nummer 3

Für «Häfn-Texte aus dem 10erl» war 1997 je Ausgabe eine Seite im Literaturteil reserviert. Augustin-Autor Franz Blaha, der die Schreibwerkstatt im Favoritener Knast leitete, erzählt über dieses Projekt, das in einer «relativ liberalen» Zeit im Strafvollzug, der Schwarzblau ein Ende setzte, noch möglich war.

Illustrationen: Carla Müller

Warten auf…

Warten auf Veränderung

Warten auf Ideen

Warten auf Verwirklichung

Warten auf…

H. J.

«Warten auf…» ist ein Text aus «H. J.’s Häfnelegien», die im Juni 1997 im Augustin veröffentlicht wurden. Damals hieß der Dichter Innenteil noch Werkstatt, und es finden sich darin auffallend viele Arbeiten von Häftlingen etwa aus der Karlau oder Stein. Eine Seite – «Häfn-Texte aus dem 10erl» – wurde regelmäßig von Insassen der Justizanstalt Favoriten befüllt, deren Namen meist nur mit Kürzeln angegeben waren – OZ, M. K., L., Wulf, Gipsy oder eben H. J. Die Gedichte und Kurzprosa waren im Rahmen eines Literaturprojekts entstanden, zu einer Zeit als das Justizministerium noch ein eigenes Kulturbudget für Gefängnisse zur Verfügung hatte. Die schwarzblaue Koalition strich diese Gelder, mit dem relativ liberalen Strafvollzug war es dann auch bald am Ende, erinnert sich Franz Blaha, der die Schreibwerkstatt im 10erl, wie die Haftanstalt in der Hardtmuthgasse im 10. Bezirk auch genannt wird, leitete. Die Sache war von vornherein auf ein Jahr begrenzt, um danach andere Projekte wie Malen, Tanz oder Theater zum Zug kommen zu lassen.

Die Besonderheit der JA Favoriten ist, dass nur Häftlinge unter 30 Jahren mit kurzen Strafen, die wegen Drogendelikten verurteilt wurden, hier einsitzen. Es gibt ein umfangreiches Therapieangebot, und auch «Langstrafige» werden zum Entzug in die Anstalt überstellt. 90 Männer und zehn Frauen waren 1997 in dem Gefängnis untergebracht. Gefängnisdirektor war damals Wolfgang Werdenich, der auch ein Psychologe war und der sich mit alternativen Umgang mit Straftäter_innen etwa in anderen Kulturen auseinandersetzte. Er habe versucht, möglichst viel Innovatives in den Strafvollzug einzubringen, meint Blaha.

Seine Aufgabe bei Schreibwerkstätten sieht Franz Blaha, der eine Zeitlang auch die Augustin-Schreibwerkstatt leitete, darin, Schreib-Animationen zu machen, Vorgaben anzubieten, die das Schreiben induzieren. Für die erste Einheit in der JA Favoriten habe er Blätter vorgedruckt, die nur zum Ausfüllen waren, allerdings mit viel Freiraum, zum Beispiel «ich schreibe aus …, ich schreibe, außer…, ich schreibe bei…» und so weiter. Das sei irrsinnig gut angekommen, die Teilnehmer hätten schweigend vor sich hingeschrieben. «Alle paar Minuten ist die Tür aufgegangen, und ein Kieberer hat hineingeschaut, warum’s so ruhig ist.» Später seien die Vorgaben immer lockerer geworden, etwa «Reaktionstexte» wie Franz Blaha sie nennt, seien so entstanden: «Sie schreiben was, und ich schreibe aus anderer Sicht quasi einen Antworttext darauf, auf den sie wiederum reagieren.» Die besten Gedichte und Prosastücke wurden zuerst im «Uhudla» und dann im Augustin veröffentlicht. Wofür es dann auch ein Honorar gab. Bei einem damaligen Stundenlohn von sieben Schilling (etwa 50 Cent), ein willkommener Zusatzverdienst.

Stiegenhaus-Tapeten

Direktor Werdenich sei jedenfalls sehr stolz auf die Schreibwerkstatt gewesen, habe die Texte vergrößern und das Stiegenhaus im 10erl damit tapezieren lassen. In einem PC-Kurs, den einige weibliche Insassinnen besuchen konnten, dienten die Texte als Vorlage zum Tippen-Üben. «Insassinnen habe ich keine kennengelernt», sagt Franz Blaha. Es sei vermutlich so, habe er aus Gesprächen mit Sozialarbeiter_innen erfahren, dass Gerichte bei weiblichen Straftäterinnen länger ein Auge zudrückten und drogen- und alkoholabhängige Frauen erst zu Haftstrafen (und somit zu Entzug) verurteilten, wenn diese sich schon in sehr schlechter psychischer und physischer Verfassung befunden hätten.

Zu Beginn des Projekts konnten die Sozialarbeiterinnen, auf deren Initiative die Schreibwerkstatt zurückging, 20 Interessierte «zusammentrommeln», die anfänglich auch regelmäßig teilgenommen hätten, zumal die Veranstaltung zunächst während der Arbeitszeit der Häftlinge stattfand, als die Termine außerhalb der Arbeitszeit verschoben wurden, ging auch die Teilnehmerzahl zurück.

Vor seinem ersten Besuch im 10erl war Franz Blaha völlig unklar, wie die Gefangenen auf ihn reagieren würden, und hatte Befürchtungen, was auf ihn zukommen könnte, doch die «Häfnbrüder» erwiesen sich als entgegenkommend und freundlich. «Wie ich hinausgegangen bin, habe ich ein schlechtes Gewissen gehabt: Die müssen jetzt alle noch drinbleiben, und ich spazier einfach wieder raus.»

Info:

Außerdem machte sich der Augustin im ’97er-Jahr Gedanken über Internet-Sucht, startete aber dennoch seinen ersten Web-Auftritt. Eine Serie widmete sich Ideen zu alternativen Zukunftsvarianten zur neoliberalen Marktwirtschaft, auch ein launiger Dialog Peter Malats mit Hermes Phettberg wurde mehrteilig dokumentiert. Thematische Kontinuität bis heute zeigt sich in Beiträgen über Bettelverbote, Wegweisungen oder Antiziganismus. Und eine Umfrage unter den Leser_innen brachte zutage, dass «der/die typische AUGUSTIN-Leser_in weiblich, jung (aber nicht unter 20) und Angestellte(r) oder Student_in» ist. Als Kaufmotiv sei das karitative Element gar nicht so dominant: «Die Menschen kaufen den Augustin auch, weil sie neugierig sind, weil sie das Projekt interessiert und weil sie von der Zeitung alternative Informationen erwarten.»

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