Das Flair des Scheiterns
Laut, stoak, volla Gwoit is des Lebn
draußn um mi, in den i wiara Gschpenst
umadumschleich zwischn fremde Keapa
vo de i maunchmoi wos brauch und wü.
Oiso straf i maunchmoi a bissl au
sichaheitshoiba aun de eha Hoamlosn
loß de mit da Paua bessa auglant.
Bini nämlich zu eana frech
vaspottns mi, i kriag ane aufs Aug
und ziag mi wieda zruck, eingschnoppt.
Naujo, de samma Schuachnumman zgroß
und zagn meinen gewoitign Fantasien
de koide Schuita, tammi daschreckn.
So jamma i in mei Schreibmaschin eine
wos ma aun de Totsochn weh tuat.
Hömals Gedichte sind meistens auf eine entlarvende Art authentisch, das heißt, wer ihn etwas kennt und sich halbwegs ein Bild von ihm machen kann, der staunt, wie sehr seine Gedichte diesem Bild entsprechen. Sie bestätigen das Bild. Wie ein von fremden (ist feindlichen) Körpern umschwirrtes Gespenst steht er eingeschnappt in der Stadtlandschaft, und es scheint, dass ihm nicht nur die Schrillen und die Power-People um eine Schuhnummer zu groß sind, sondern alle, die ihn umgeben. Wer ihn umgibt, überragt ihn. So zieht er sich (nicht „gerne“, weil dieser Begriff die Freude, mit der man etwas tut, ausdrückt) zurück an seine Schreibmaschine, der er Phantasien anvertraut, die intim bleiben, weil die Mitmenschen seiner Kunst die kalte Schulter zeigen (und wenn es nicht den AUGUSTIN gäbe, in dessen Literaturteil sich immer wieder ein Plätzchen Hömal findet, wäre er unter den Schlingen seiner eigenen Phantasie bei lebendigem Leibe erstickt). Wer Selbstzweifel, Verletzlichkeit und Minderwertigkeitsgefühle ästhetisch inszenieren will, müsste bei Hömal in die Schule gehen, freilich: Hömal inszeniert nicht. Hier liegt kein kultivierter Selbstzweifel vor, sondern ein wirklich gewachsener, und der gibt vielen Texten Hömals das Flair des Scheiterns.
Im Scheitern durchzuhalten, konstant zu bleiben, daran scheiterte Hömal nie. Er selber schreibt das vielleicht dem Schicksal zu, andere würden leicht soziale Zusammenhänge finden: Wie kann man aus einer Familie heraus, die nicht auf die Butterseite gefallen ist, wie die Hömals, und aus Sulz im Weinviertel heraus Anschluss finden an das Tempo der Leistungsgesellschaft? Der Vater war nicht nur Alkoholiker, sondern auch einer, der nach dem Krieg den Krieg weiterführte, und zwar gegen seine Familie. „Für ihn war Hitler der Übervater“, sagt Hömal. Sowohl die Mutter als auch Hömal und seine vier Geschwister spürten die Gewalt des Vaters. „Meine Mutter gefiel sich – auch aus Gründen, die in ihrer Religiosität liegen – als Märtyrerin.“ Seine Kindheit, erinnert sich Hömal, ist durch den Vater sehr versalzen worden: „Sulz war ja zu dieser Zeit, kurz nach dem Krieg, eine Paradies für Kinder. Aber immer wenn der Vater auftauchte, hatte das Spielen ein Ende.“ Wenn Hömal heute sagt, er sei ein „Nachkriegsbaujahr“ (1947), so bezieht er das also auf jenen Krieg, der 45 zu Ende ging; der andere, gegen ihn, spielte sich ja noch in den 50er Jahren ab.
Die Nachbarin redete der Mutter ein: Schick den Helmut doch nach Wien, in ein Ordensinternat, lass ihn doch Priester werden! Die Mutter fand den Vorschlag gar nicht schlecht, vielleicht mit dem Hintergedanken: Alles tun, damit Helmut nicht wie der Vater wird!
„Zunächst habe ich es als Selbstverständlichkeit betrachtet, Priester zu werden“, sagt Hömal. Doch bald stellte sich das Ordensinternat als suboptimal heraus. Das Essen war oft zum Kotzen („War das ihre Strategie, uns die fleischlichen Gelüste abzugewöhnen?“), und Hömal wurde zusehends introvertierter: „Ein Einzelgänger voller Komplexe, immer in Konflikt mit den anderen.“ Mit 18 Jahren schlitterte er in eine Zwangsneurose. „Ich bin über Tische und Sesseln gesprungen, habe Steine gefressen – kurz ich tat alles, um mich als harten Burschen zu beweisen und so meine Komplexe zu überwältigen.“ Parallel dazu wurde er im öffentlichen Gymnasium, das er neben dem Internat besuchte, mit Camus und Sartre konfrontiert, „die Sprünge in meinem bisher geschlossenen Weltbild verursachten.“
Nach den Osterferien 1966 wurde Hömal in die Psychiatrie eingeliefert. Es begann die 14-jährige Psycho- und Suchtkarriere. Selbstmordversuche, Einlieferungen, Therapien wechselten sich mit Kursen und Jobs ab. Hömal hatte nie die Kraft, etwas zu Ende zu bringen.
Im Frühjahr 1983 zog er ins Männerheim der Heilsarmee in Wien-Leopoldstadt. „Wie ich da rein bin, sind mir die Tränen gekommen: Jetzt habe ich keine Chance mehr, das ist meine Endstation, dessen war ich mir sicher.“ Die Asylbewohner animierten einander reziprok zum Saufen. Dem konnte sich Hömal etwas entziehen, nachdem er im Asyl der Heilsarmee als Hausarbeiter angestellt worden war. „Ich absentierte mich von meinen Saufkumpanen und suchte mir ein Stammlokal im ersten Bezirk, wo ich regelmäßig, aber mäßig trinken konnte, ohne von meinen lieben Haberern dauernd um Geld angeschnorrt zu werden.“
1993 beschaffte ihm ein Sozialarbeiter der Heilsarmee eine Gemeindewohnung, bald darauf startete er eine Suchttherapie beim Blauen Kreuz, die erfolgreich verlief: „Bin ich wirklich schon vier Jahre trocken? Ich kann’s gar nicht glauben!“ Rückfallgefährdet ist ein Ex-Alkoholiker freilich immer, weiß Hömal: „Neulich sah ich die Spira-Sendung über den Würstelstand im Fernsehen. Da stand einer und aß eine schöne lange Burenwurst. Und daneben, verlockend, hatte er sein Bier stehen. Da war’s fast um mich geschehen.“
Im Innenstadt-Beisl Inigo (das, was viele Kunden nicht wissen, ein von der Caritas geführtes sozialtherapeutisches Projekt ist), konnte Hömal ein Jahr lang als Küchengehilfe beschäftigt werden, doch seit September 1997 ist er arbeitslos, bezieht die Notstandshilfe, ist jetzt über 50 und damit eigentlich in dieser „Leistungsgesellschaft“ ohne große Chance, etwas Würdiges zu finden. Als einer, der sich über die Sprache Gedanken macht, weiß der AUGUSTIN-Vorstadtphilosoph (Hömal ist der Verfasser der monatlichen Rubrik „prologisch“), dass die Sprache eine große Fälscherin ist: Im Inigo hatte er gezeigt, was er leisten kann (es war leider ein von vornherein auf ein Jahr begrenzter Job), aber anders, als es der Begriff „Leistungsgesellschaft“ suggeriert, ist es in unserer Gesellschaftsordnung nicht wirklich die Leistung (als Verausgabung lebendiger Arbeit), die hoch bewertet wird. Als „Hochleister“ und als „tüchtig“ gilt vielmehr, wer andere zu seinem Vorteil ausnutzen kann. „Jetzt schauma mal, was die Blauschwarzen mit meinesgleichen vorhaben: Schicken sie uns zur Zwangsarbeit?“, wartet Hömal ab.
Dem Blauen Kreuz, das ihn in die Trockenheit befördert hat, blieb Hömal als Mitarbeiter treu, und dem AUGUSTIN gehört er als Wortarbeiter mit Dialekt-Poesie-Schlagseite (nicht als Verkäufer – „das klappte nicht, ich hatte das Gefühl, als Sandler bin ich nicht glaubwürdig“) wie als Aktivist bei sämtlichen AUGUSTIN-Aktionen seit Beginn des Projekts an. Diesen beiden Institutionen verdankt er heute, dass er dem Druck seiner persönlichen Geschichte nicht ohnmächtig ausgeliefert ist.