Schule für alle – was hat sich bisher getan?Boulevard-Blog

Boulevard-Blog vom 31.05.2023

In Österreich müssen Jugendliche mit Behinderung ein 11. und 12. Schuljahr eigens beantragen. In Wien wurde 2022 jeder dritte dieser Anträge abgewiesen. (Wir haben berichtet: https://augustin.or.at/schule-fuer-alle/) Die von zwei Wiener Familien gestartete Bürgerinitiative «Ich will Schule» fordert die gesetzliche Verankerung des Rechts auf Bildung. Statt «Ich will» hieß es im April 2023 dann «Ich bekomme Schule». Mitinitiatorin Karin Riebenbauer erklärt, was sich in den letzten Monaten getan hat – und warum aber auch die aktuelle «Lösung» keine dauerhafte ist.

«Alle Jugendlichen mit Behinderung, die heuer für ein 11. oder 12. Schuljahr ansuchen, bekommen es im kommenden Schuljahr 2023/2024 auch bewilligt», fasst Karin Riebenbauer den Zwischenerfolg der Bürgerinitiative zusammen. «Dafür ist ein Erlass vom Bildungsministerium an alle Bildungsdirektionen gegangen. Und wenn es jetzt tatsächlich einen Fall gibt, wo das nicht genehmigt wird, dann landet dieser direkt auf dem Schreibtisch von Generalsekretär Martin Netzer.» Ihn konfrontierte Karin Riebenbauer u.a. in der ORF-Sendung «Bürgeranwalt» mit der Thematik.

Weitere Ungewissheit

Die aktuelle Lösung ist aber noch lange nicht zufriedenstellend, stellt Karin Riebenbauer fest. «Es braucht die gesetzliche Verankerung. Wir als Eltern müssen unser Leben planen – und der Anton auch.» Karin Riebenbauers Sohn Anton feiert bald seinen 14. Geburtstag. Ob er seinen 18. mit Schulfreund:innen feiern wird, ist nach wie vor ungewiss. Denn es ist immer noch nicht sicher, dass er mit 18 überhaupt noch zur Schule gehen darf. Anton ist Epileptiker und hat eine Entwicklungsverzögerung. Die zwei kommenden Jahre kann er noch am sonderpädagogischen Unterricht an seiner Schule teilnehmen. Das Recht auf ein 11., 12. und 13. Schuljahr hat Karin Riebenbauer parallel zur Bürgerinitiative eingeklagt. Diese Klage lag zunächst beim Verwaltungsgerichtshof, seit zwei Wochen ist jetzt der Verfassungsgerichtshof zuständig. «Wir hoffen, dass es noch heuer zu einer Entscheidung kommt», sagt sie.

Nicht mehr als eine Zwischenlösung

Die Bürgerinitiative und die mediale Berichterstattung darüber hätten geholfen, das Thema präsenter zu machen. «Viele, die keine Berührungspunkte haben, wissen ja gar nicht über die Diskriminierungen Bescheid», meint Karin Riebenbauer. An Antons Situation habe sich aber bisher nichts geändert. Der Antrag sei nur etwas schneller durch die erste Instanz gegangen, als erwartet.

Die Bürgerinitiative schaffte es indes durch den Petitionsausschuss im Parlament, was bedeutet, dass sie demnächst im Unterrichtsausschuss behandelt werden muss. «Ich hoffe, dass die Entscheidung dann nicht wieder vertagt wird. Es ist ja gut und schön, dass die Politik beschlossen hat, das nächste Jahr für die Schüler:innen zu genehmigen. Aber was ist dann mit dem Jahr darauf?», fragt sich die Initiatorin.

Abschiebung der Schüler:innen in gesonderte Gebäude

Auch die Umsetzung der derzeitigen Lösung gestalte sich schwierig, fährt sie fort: «Es ist jetzt nicht so, dass die Schüler:innen in der Schule, wo sie aktuell sind, bleiben können. Sondern für die Verlängerung ihrer Schulzeit wurden jetzt zwei leerstehende Gebäude im 2. und im 20. Bezirk organisiert, in denen die Jugendlichen mit Behinderung wie in Ghettos gesondert betreut werden. Das ist eigentlich genau das, was wir nicht wollten.»

Die geplanten Öffnungszeiten von 8 bis 14 Uhr seien für berufstätige Eltern eine zusätzliche Last. Hinzu kommt, dass die vorhandene Infrastruktur nur für sogenannte rettungsfähige Schüler:innen geeignet ist. Heißt, es dürfen nur jene Jugendlichen dort betreut werden, die sich im Notfall (etwa bei Feueralarm) selbst fortbewegen können. «Das hat zur Folge, dass rettungsfähige Kinder und Jugendliche von ihrer gewohnten Schulumgebung in eben diese Exposituren verlegt werden, damit in den sonderpädagogischen Schulen mit der adäquaten Infrastruktur jene Jugendlichen mit mehr Betreuungsbedarf eben noch ein Jahr länger bleiben können.»

Es fehlt an Budget und Personal

Dasselbe Prinzip gelte für Einschulungen: «Wenn jetzt Schüler:innen mit Betreuungsbedarf ein Jahr länger bleiben dürfen, kann es sein, dass andere dafür nicht aufgenommen werden», so Karin Riebenbauer. Dies sei ein weiterer Grund, warum die gesetzliche Verankerung des Rechts auf Bildung so wichtig sei: «Denn wenn wir es im Gesetz so stehen haben, dann muss von Vornherein das Budget zur Umsetzung bereitgestellt sein.»

Neben geeigneter Infrastruktur fehle es vor allem an Budget und Personal. Karin Riebenbauer sagt: «Man kann nicht von Inklusion sprechen, wenn es die Mittel und das Personal dafür nicht gibt. Es fehlen insgesamt 10.000 Lehrpersonen. Und da spreche ich noch gar nicht von Pädagog:innen mit Sonderausbildungen.»

Es sei schlicht absurd, wie schlecht das österreichische Bildungssystem hier aufgestellt sei. Würde der Staat mehr in die Bildung und Ausbildung junger Menschen – mit und ohne Behinderung – investieren, würde man schließlich auch wirtschaftlich profitieren, stellt sie klar: «Wir haben uns das ausgerechnet: Es geht um ungefähr 8.000 Euro, die der Staat pro Jahr pro Kind in die Schulbildung einzahlen müsste. Das ist nichts im Vergleich dazu, was gezahlt werden muss, wenn die Kinder aus der Schule kommen und nicht selbstständig leben können. Sozialunterstützung bis ans Ende des Lebens – das kann nicht das Ziel sein.»

Am Aktionstag für Bildung, der am 15. Juni in ganz Österreich stattfindet, kann man sich für genau diese Forderungen österreichweit einsetzen: https://aktion-bildung.at/

Ich will Schule: https://www.ichwillschule.at/

Foto: huge

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