Schulstart im Kampfmodustun & lassen

Collage: Lisbeth Kovačič

Weil «die Schule brennt», das Militär in der Schulklasse aber keine Lösung ist, kündigen Lehrer:innen und ihre Interessensvertretung einen heißen Herbst an. Was ist eigentlich los in den österreichischen Schulen?

Am 15. Juni gingen in ganz Österreich tausende Schüler:innen, Lehrer:innen, Studierende, Eltern, Freizeitpädagog:innen, Sozial­­arbeiter:innen, sowie Vertre­ter:innen von Behindertenrechtsorganisationen und vielen weiteren Gruppen mehr auf die Straße, um auf die brennende Krise im Bildungswesen hinzuweisen. Allein in Wien beteiligten sich laut Polizeiangaben 10.000 Menschen an dem Aktionstag «Baustelle Bildung».
Inzwischen sind einige Monate ins Land gezogen. Der Sommer kam und geht nun langsam vorbei, um dem Herbst Platz zu machen. Mit dem Herbst aber droht der Beginn des neuen Schuljahres. Und mit ihm die bange Frage, ob inzwischen wenigstens an manchen Schräubchen gedreht wurde, um die Bildungsmisere etwas abzumildern.

Streikbereit zu Schulbeginn

Während etwa die Stadt Wien offiziell verkündet, einen reibungslosen Schulstart gewährleisten zu können, rumort es unter den Belegschaften an den Schulen weiter. Immerhin haben bislang über 3.400 Menschen eine Onlinepetition unterschrieben, mit der sie der auch für das Bildungswesen zuständigen Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) ihre Streikbereitschaft zusichern, und diese dazu auffordern, aktiv zu werden.
Die Lehrerin Marlies Adler ist Aktivistin bei dem Bündnis «Schule brennt», in dem sich zahlreiche politische und zivilgesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen haben. Auch sie hält Streiks für dringend nötig. «Es geht um eine langfristig produzierte Krise im Bildungswesen», sagt sie. In dürren Zahlen betrachtet drückt sich die Bildungskrise in einer sich dramatisch öffnenden Schere zwischen zehntausenden, demnächst in Pension gehenden Lehrer:innen auf der einen Seite, und einem eklatanten Mangel an jungen Menschen auf der anderen Seite aus, die Interesse haben, den Beruf der Lehrer:in zu ergreifen. Und dort auch langfristig zu bleiben, ohne schon nach kurzer Zeit in ein Burnout zu verschwinden.
Letzteres scheint fast zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden zu sein. «Nach jetziger Sicht wird es im Herbst viele unbesetzte Klassen geben», berichtet Marlies Adler. «Es werden dann Personen von vielen anderen Ressourcen abgezwackt, um die Lücken zu füllen. Das wird zum Beispiel die Doppelbesetzungen bei Klassen mit besonderem Förder- oder Beratungsbedarf betreffen. Es wird also dort abgezogen, wo es Unterstützung für die Schüler:innen am meisten braucht.»

Ausgebrannt

Den Schulalltag beschreibt Adler als eine permanente Mangelverwaltung, was letztendlich eine reine Verwaltung der Schüler:innen bedeute: «Es geht in Richtung reiner Beaufsichtigung», sagt sie. Das bedeutet dann auch, dass auf psychosoziale Probleme der Schüler:innen nur unzureichend oder gar nicht eingegangen werden kann, oder dass politische Fragestellungen wie zum Beispiel die Auswirkungen der Klimakrise im Unterricht nicht thematisiert werden können. «Die Schule geriert sich als reine Vorfeldorganisation des Arbeitsmarktes», kritisiert Adler. «Es geht nur darum, brauchbare Personen für den Arbeitsmarkt zu produzieren. Auch das muss endlich grundsätzlich thematisiert und problematisiert werden.» Stattdessen kämpfen die Lehrer:innen aber um jedes Pflaster zur notdürftigen Abdeckung des Schlimmsten: «Es gibt unter den Kolleg:innen viele Krankenstände. Das bedeutet für die Kolleg:innen, die nicht im Krankenstand sind, dass sie endlos Vertretungsstunden durchführen müssen. Was wiederum bei ihnen für zusätzlichen Stress sorgt, und wieder Krankenstände erzeugt. Wir kämpfen hier um Mindestbedingungen. Immer mehr Menschen hauen frustriert den Hut drauf, weil es nicht die Form von Bildung ist, die sie sich vorgestellt haben.»
Sehr oft, wenn der Staat in schwieriges Fahrwasser gerät, sollen es dessen bewaffnete Organe richten. In Großbritannien ist es zum Beispiel schon seit vielen Jahren üblich, dass ehemalige Berufssoldat:innen an die Schulen wechseln. Der Hintergedanke dabei: Im Militär lernt man Disziplin. Schüler:innen brauchen Disziplin, also schickt man ihnen ehemalige Soldat:innen in die Klassenzimmer. Der österreichische Staat will diese Idee nun aufgreifen. Schon länger setzt ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek auf so genannte «Quereinsteiger:innen», um den Personalmangel an den Schulen zu bekämpfen. Wer ein so genanntes «fachlich geeignetes oder facheinschlägiges» Studium im Mindestausmaß von 180 EC-Punkten (Bachelorniveau) absolviert hat, und außerdem eine «fachlich geeignete Berufspraxis im Ausmaß von drei Jahren» vorweisen kann, darf sich auf der Plattform https://klassejob.at bewerben. Dort finden sich auch hilfreiche Hinweise, was derartige fachliche Qualifikationen sein könnten. Zum Beispiel: «Dolmetscher/in, möchte junge Menschen als Englischlehrer/in begeistern», oder «Journalist/in möchte Jugendliche in Deutsch unterrichten».
Quereinsteiger:innen, die über die Plattform in die Schule wechseln, kriegen dasselbe Gehalt wie ihre Kolleg:innen mit Lehramt. Eine Ungerechtigkeit gibt es aber auch hier. Schon vor der Initiative klassejob.at kamen Quereinsteiger:innen an Schulen zum Einsatz. Sie verdienen weniger als ihre Kolleg:innen, ihr Gehalt wird auch jetzt nicht angeglichen.

Autonome Lerngruppen statt ­Militär

Und nun kommt also auch das Militär an die Schulen. Laut Polascheks Vorstellung sollen zukünftig ehemalige Musiksoldat:innen Musikunterricht durchführen. Und die Lehrpläne wurden derart umgestaltet, dass Landesverteidigung bald eine große Rolle in verschiedenen Unterrichtsfächern spielen wird, von Politik bis zur Mathematik, wo militärische Aspekte in Textaufgaben zur Geltung kommen sollen. Scharf kritisiert werden diese Vorhaben inzwischen von der österreichischen Hochschüler:innenschaft, die hier eine Militarisierung des Bildungswesens befürchtet. Nicht zu Unrecht. Militärische Textaufgaben waren zuletzt in Zeiten des Nazifaschismus an österreichischen Schulen zu finden.
Während das Bildungsministerium Disziplin propagiert, wünscht sich Marlies Adler eine ganz andere Debatte. «Wir brauchen ein Aufbrechen von starren Klassen, zum Beispiel durch autonome Lerngruppen. Damit die Schulen kindgerecht werden, braucht es Klassen, die nicht größer als 15 Personen sind. Wir brauchen eine Begleitung der Schüler:innen hin zu selbstbestimmter Mündigkeit. Das kann man aber nicht umsetzen, mit der Zahl der Kinder, die man da derzeit beaufsichtigt.»
Ob und welche Kampfmaßnahmen es im Herbst geben wird, das liegt nicht zuletzt daran, welchen Druck Basisstrukturen wie «Schule brennt» aufbauen werden, und ob sie so die GÖD-Gewerkschaft zu wirklichen Kampfmaßnahmen drängen werden können. Im Bewusstsein der Kolleg:innen scheint der Aktionstag vom 15. Juni jedenfalls einen Nachhall gefunden zu haben, wie «Schule brennt»-Aktivist Michael Doblmair dem Augustin erzählte. «Im persönlichen Gespräch hat mir nach dem Aktionstag eine Kollegin gesagt, wie schön es war, gemeinsam mit so vielen Kolleg:innen auf der Straße gewesen zu sein. Es hat sich gezeigt, dass viele Kolleg:innen im Arbeitsalltag strugglen, und dass es nicht eine Einzelperson ist, die etwas nicht schafft, sondern viele.»
«Schule brennt», so viel steht fest, erwacht wieder aus der Sommerpause. Auch die GÖD hat inzwischen in Stellungnahmen und Beschlüssen hochoffiziell ihre Streikbereitschaft in den Raum gestellt. Die Bildungsaktivist:innen wollen dafür weiter Druck machen, und planen im Herbst die Übergabe ihrer Unterschriften an die GÖD. Und sie suchen neue Mitstreiter:innen. «Wir freuen uns deshalb über alle, die zu unseren Treffen kommen, und gemeinsam mit uns aktiv werden wollen», sagt ­Marlies Adler. 

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