Schwarze Soldaten im FamilienalbumDichter Innenteil

Foto: Aus dem Familienalbum von Hans Bogenreiter
«Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?»

«Niemand»

«Wenn er aber kommt?»

«Dann laufen wir davon!»

Kinderlaufspiel, aufgezeichnet von Lutz Prauser

Quelle: www.zwetschgenmann.de

 

«Die afrikanischen Soldaten, die großteils auf Seiten der Alliierten kämpften und fielen, werden in den meisten Geschichtsbüchern verschwiegen. (…) Nur sehr wenige wissen, dass Millionen Soldaten aus Afrika im Zweiten Weltkrieg kämpften, um Europa vom deutschen und italienischen Faschismus zu befreien. Das werden Sie weder in Schulbücher lesen noch bei den diversen Feierlichkeiten mitbekommen.»

Simon Inou
(Der in Kamerun geborene Afrikaner ist Herausgeber des Fresh Magazin. Black Austrian Lifestyle www.freshzine.at)

 

Diese Fotografie befand sich in unserem Familienalbum, und erstaunlicherweise führte dies in meiner Erinnerung nicht zu tiefschürfenden Fragen wie zum Beispiel: «Warum hat es diese schwarzen Männer nach Europa verschlagen? Stammt die Aufnahme von einem Arbeits-, Internierungs-, Militär- oder Straflager? Welche Verbindung könnte es zu einer bäuerlich geprägten Familie mitten im Mostviertel geben?» Viel hat nicht gefehlt, und die Fotografie wäre ein Opfer der Flammen geworden. Denn mein Vater hatte eines Tages, als ich als junger Erwachsener am Wochenende bis spätnachts unterwegs war, eine Kerze in meinem Zimmer aufgestellt, die später umstürzte und dadurch einen Brand verursachte. Glücklicherweise stand unsere kleine Keusche an einer Bundesstraße, ein Vorbeifahrender verständigte rasch die Feuerwehr, die eine Ausbreitung des Feuers auf andere Räume des Hauses verhindern konnte. Vieles von mir Liebgewonnenes war aber verloren, so ein Vierspurtonbandgerät, wo ich eine große Menge meiner Lieblingslieder aufgenommen hatte. Damals glaubte ich im ersten Schrecken, dieser Audio-Schatz sei für immer verloren, dank YouTube & Co. konnte ich jedoch fast alles später, sogar in besserer Qualität, nachhören und -sehen. Auch das Fotoalbum wurde angesengt, einige Fotos waren so schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass darauf nichts mehr zu erkennen war – aber dieses eine überstand den Brand fast ohne gröberen Schaden.

Das fröhliche Lächeln darf nicht über die Zustände hinwegtäuschen

 

Eines steht fest: Das Foto hatte mein Vater aus dem Zweiten Weltkrieg mitgebracht, aber wie es den Weg in unser Familienalbum neben all den Verwandten und Bekannten schaffte, wird für immer ein Rätsel bleiben. Auch mein sechs Jahre älterer Bruder kann sich nicht erinnern, dass unser verstorbener Vater darüber etwas preisgegeben hätte. Über die Herkunft kann daher nur spekuliert werden, vielleicht können aber Militärhistoriker an Hand von Bildvergleichen das Lager lokalisieren. Jedenfalls darf das fröhliche Lächeln des Afrikaners nicht über die Zustände in solchen Einrichtungen hinwegtäuschen. Edouard Kouka Ouedraogo aus Obervolta (nun Burkina Faso) schrieb über seine deutsche Gefangenschaft, dass Schwarze für die Deutschen nichts Besseres als Affen waren: «Wenn wir nach schwerer Arbeit erschöpft und hungrig ins Lager zurückkehrten, mussten wir für die Deutschen tanzen.» Damit könnte dem Foto eine tragische und so gar nicht lustige Bedeutung innewohnen.

Nach dem Krieg erhielt Ouedraogo eine geringfügige Rente, viele Kameraden bekamen gar nichts. Issa Ongoiba, Kriegsveteran aus Mali, stellte fest: «Im Krieg machten die Kugeln des Feindes keinen Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen. Alle starben denselben Tod. Nur zählt das alles heute nicht mehr.»1

Erst vor wenigen Jahren habe ich zufällig erfahren, dass die schwarzen Soldaten, die an vorderster Front für die Rückeroberung von Paris kämpften, im letzten Moment abgezogen wurden, weil es der Führungsspitze der Alliierten wenig opportun erschien, sie der Stadtbevölkerung als Befreier zu präsentieren.

Ziemlich sicher eine Prägung für mein weiteres Leben

 

Für mich als Volkschüler erzeugte das Foto jedenfalls eine große Wirkung, möglicherweise, nein, ziemlich sicher eine Prägung für mein weiteres Leben. Besonders das so herzhafte Lachen des jungen Mannes, links im Vordergrund, hatte es mir angetan. Für mich ein schier uneingeschränkter Ausdruck von Lebensfreude, gepaart mit Wohlempfinden, die diesen Menschen kennzeichnet, den offensichtlich widrigen Umständen zum Trotz. Und das Lachen hatte mir wohl die Angst vor solchen Menschen – vor denen ich mich hüten sollte, wurde mir eingebläut – für immer genommen. Wenn es noch einen kleinen Rest von Ressentiments gegenüber schwarzen Menschen gegeben hat, dann ist der zeitnah durch den Film Lilien auf dem Felde aus meinen Gehirnwindungen gründlich rausgewaschen worden. Sidney Poitier erschien mir in diesem Film wie ein Lebendigwerden des lachenden Mannes auf dem Foto. Er gewann damit als erster schwarzer Schauspieler den Oscar als bester Hauptdarsteller. Ins Kino hatte mich übrigens unsere «Weanerin» (Sommerfrischlerin aus Wien) per Fußmarsch in den zwei Kilometer entfernten Ort mitgenommen.

 

Ich habe in meiner Kindheit und auch dann noch als Erwachsener sehr darunter gelitten, als heller, blonder Typ selbst im Sommer blass zu bleiben. Einmal wurde ich nach meinem Urlaub vom Buchdruckerberuf, den ich damals in Wien ausübte, von einem stets zu Späßen aufgelegten Schriftsetzer gefragt, ob ich denn in den Katakomben von Rom auf Urlaub gewesen sei. Dabei hatte ich geglaubt, zu Hause beim Heuen, was ja vorrangig nur bei sonnigem, schönem und heißem Wetter erfolgt, etwas gebräunt in die Arbeit zurückgekommen zu sein. Dann musste ich noch die herzhaften Lacher meines Kollegen, der sich über sein eigenes Bonmot freute, ertragen. Ich könnte nun weitere Episoden anführen, die ich genauso oder sogar noch kränkender empfand («Topfen-N.»), aber das würde nicht nur zu weit führen, sondern mich auch als Mimose entlarven, denn die Demütigungen, die schwarze Menschen erleben2 – sind unvergleichbar schlimmer und verächtlicher. Jedenfalls wurde ich wohl wegen meiner eigenen Erfahrungen über die Farbe der Haut allgemein für Rassismen sensibilisiert.

Mit dem Rassismus einfach leben?

 

Wie zur Bestätigung des hartnäckigen Rassismus wurde meine Erfahrung während der Niederschrift dieser Geschichte noch «bereichert». Eine afrikanische Bekannte schildert mir lakonisch Folgendes: Vor einigen Tagen saß sie auf einer Parkbank, ein kleiner Bub pirschte sich an sie ran und spuckte vor ihr aus. Als sie ihn mit «What is wrong with you?» zur Rede stellte, suchte er flink das Weite. Sie wiederum ist froh, wenigstens nicht allzu dunkel zu sein, und hat sich mit Rassismus in Österreich längst abgefunden. Ein anderer rassistischer Vorfall ereignete sich, als ich mit den Töchtern (drei und neun Jahre alt) afrikanischer Eltern in einem Park spazieren war. Die beiden trafen dort ein paar Kinder, die sie kannten. Ich sah, wie die Neunjährige von einem kleineren Mädchen attackiert wurde, als ich hineilte, machte sich die Angreiferin aus dem Staub. Der Angriff sei aus heiterem Himmel erfolgt, die Kleine habe auch noch eine Halsabschneidegeste gemacht und ein jüngerer Bub habe sie beschimpft. Als ich vorschlage, mit den Eltern dieser Kinder ein ernstes Wort zu sprechen, fleht mich die Neunjährige an: Nein. Alles wäre wieder gut, sie wolle keine weiteren Probleme.
Allzu oft und in letzter Zeit wieder häufiger werden Menschen nur wegen dieser äußeren Hülle verachtet, diskriminiert, verfolgt, bis hin zu Folter, Vergewaltigung und Mord. Auch wenn seit vielen Jahrzehnten mit flammenden Reden, Liedern und unzähligen Publikationen gegen diese Verbrechen mobilisiert wird, ist wenig Umdenken in Sicht. Dabei wanderten wir ursprünglich als Schwarze aus Afrika in Europa ein.

So verweise ich abschließend auf den Aborigine Big Bill Neidjie (1920–2002; letzter überlebende Sprecher der Gaagudju-Sprache): «No matter what people – red, yellow, black or white. Another colour people – but the same blood, the same bone and the same feeling.» Eine weitere Übersetzung vom ursprünglichen Gaagudju erübrigt sich …

 

 

1 Quelle: Rheinisches JournalistInnenbüro / Recherche International e. V. (Hg.): Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, Assoziation A, 2014
Diese tragischen Dimensionen des Zweiten Weltkriegs sind in Europa auch 75 Jahre nach Kriegsende wenig bis gar nicht bekannt.

2 Meine persönlichen Erfahrungen mit verbalen und auch körperlichen Übergriffen gegenüber afrikanischen Frauen und Kindern sind schon mehrmals im Augustin veröffentlicht worden.

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