Kunst im Hallenbad
«Wasser-Politik ohne Grenzen» schreibt sich das Kunst-Projekt «Menschen im Bad» auf die Fahnen bzw. die Badekleidung. Bei den Proben zur Aqua-Show mit Österreichs einzigem männlichen Synchronschwimmteam durften Julia Grillmayr (Text) und Lonny Weichsl (Fotos) Blicke über den Beckenrand werfen.
«All diese Leute verbinden ganz Unterschiedliches mit dem Wasser», sagt Schwimmtrainerin Ursula Napravnik mit einem Rundumblick durch die große Schwimmhalle des Floridsdorfer Hallenbads. Hier finden gerade Proben für eine große Wasser-Show – oder «Aqua-Aktivismen», wie Napravnik sie nennt – statt: «Menschen im Bad» heißt das Projekt, das Anfang Oktober im Rahmen der «Wienwoche» zur Aufführung kommt. Spezifischer hätte man es auch gar nicht nennen können, denn die Menschen, die für die Aqua-Show ins Wasser steigen, sind nicht nur unterschiedlichen Alters und kommen aus verschiedenen Orten der Welt, sondern auch aus verschiedenen Motiven ins Bad. Die Verbindung zum Wasser ist oft eine spezielle und sehr persönliche, erzählt Ursula Napravnik. «Es geht dabei oft um das Überwinden von Ängsten und um ein neues Verhältnis zum eigenen Körper.»
In einem Eck der Halle steht Trainerin Julia Nuler am Beckenrand und klopft einen schnellen Viervierteltakt auf die ins Wasser ragende Metallleiter. Ihr gegenüber bringen sich drei Männer in der Mitte des Schwimmbeckens in Stellung. Sie dirigiert: Dreiecksformation, Purzelbäume, Oberkörper aus dem Wasser, nach links, nach rechts. Die Männer ziehen sich an Händen und Füßen über- und untereinander und rückenkraulend mit eleganten Handgelenk-Schlenkerern. Imad Almunajid, Nur Khan und Khusen Khaydarov sind das Team Queer H2O, Österreichs einziges männliches Synchronschwimmteam.
Sound, Literatur, Gymnastik.
Am anderen Eck des Beckens probt die Aqua-Gruppe der Parkinson Selbsthilfe Wien ihre Choreographie, die auch Teil der Show werden wird. Bunte Schwimmnudeln werden in diverse Formationen gebracht. Sie sind hier nicht nur Fitnessgerät und Performance-Accessoire, sondern geben, im richtigen Winkel auf die Wasseroberfläche geschlagen, auch gutes Schlagwerk-Material ab.
Einige der Performer_innen machen schon seit zehn Jahren mit Ursula Napravnik Wassergymnastik. Parkinson kann eine zunehmende Einschränkung der motorischen Fähigkeiten bewirken, darum sind Bewegung und Koordination für die Betroffenen gut und heilsam. «Im Wasser fällt außerdem viel Angst weg, da es keine Sturzgefahr gibt», erklärt Napravnik.
Bei der Show im Floridsdorfer Bad gibt es auch Musik: Didi Bruckmayr, Musiker und Performer unter anderem bei der Gruppe Fuckhead, wird gemeinsam mit der Aqua-Gruppe auftreten, der Schlagwerker Gregor Mahnert steuert Rhythmus bei und auch geneigtes Publikum wird seine Rolle im Wasser finden.
Etwas später an diesem Proben-Sonntagnachmittag schippert die Schriftstellerin Ilse Kilic, flankiert von kraulenden Längenschwimmer_innen, auf einem Luftmatratzen-Thron durch das Becken und verliest einen Text, den sie eigens für die Performance im Wasser verfasst hat. Ihre Pose passt hervorragend zum heurigen Thema der Wienwoche.
Nix tun.
Denn die sechste Ausgabe des Festivals hat sich dem «Dolce Far Niente» verschrieben, dem süßen Nichtstun, sowie dem Suchen nach Möglichkeiten eines «Lebens jenseits kapitalistischer Produktion». Damit weist das Festival auf die politische Dimension des geflügelten Wortes hin: Wie sich das Verhältnis zwischen Arbeit und Zeit gestalten lässt, wird maßgeblich dadurch bestimmt, welcher Nation und Klasse man angehört. Das Schwimmbad ist ein sehr guter Ort, um solche Fragen zu verhandeln. Ob Hallen- oder Freibad, ist es eine generationenübergreifende Entspannungsoase und ein Symbol für Freizeit. Gleichzeitig steht es für strenge Regeln; so machen die Badeordnungen und -verordnungen auch die gerade vorherrschenden Moralvorstellungen sichtbar.
Wien blickt auf eine lange Bade-Tradition zurück. In Donau und Donaukanal wurde wohl schon immer geschwommen, obwohl es sich Sitten lange verbaten und es Gesetze lange verboten. Ab dem 18. Jahrhundert entdeckte man die hygienische und heilende Wirkung des Badens für die Allgemeinheit und diverse gemeinnützige Bäder wurden errichtet. Oft waren diese geschlechtergetrennt beziehungsweise anfangs überhaupt nur Männern zugänglich. Frauen war das Schwimmen erst ab 1831 erlaubt.
«Menschen im Bad» reiht sich auch in die Feierlichkeiten des 50. Geburtstags des Floridsdorfer Hallenbads ein. Die historische Wandlung der Badekultur wird in einer Modeschau gezeigt: Team Queer H2O-Synchronschwimmer Khusen Khaydarov ist Modedesigner und hat eigens für die Show Bademode entworfen, die sich an geschichtlichen Vorbildern orientiert – sichtbar wird eine deutliche Entwicklung von lang hin zu kurz, von viel hin zu wenig Stoff.
Wer darf baden?
Wer hat Zugang wozu? Und: Wer darf sich wie bewegen? – Diesen Fragen stellt sich das Projekt. «Früher setzte man sich zum Beispiel dafür ein, dass nicht nur die Reichen baden dürfen. Heute sind wiederum andere ausgeschlossen», sagt Radostina Patulova, die organisatorisch vom Beckenrand aus mithilft. Denn mit dem Schauplatz Schwimmbad gehe auch ein bestimmter Körperkult einher und Körper, die da nicht hineinpassen, würden ausgeschlossen, erklärt sie. Das gelte in unterschiedlicher Weise für Schwimmer_innen mit Parkinson ebenso wie für männliche Synchronschwimmer.
Synchron- oder Kunstschwimmen war ursprünglich ein reiner Männersport. Inzwischen sind bei den Olympischen Spielen aber nur noch Frauen zugelassen. Als bei den Schwimmweltmeisterschaften im russischen Kasan vor zwei Jahren wieder Männer in der Disziplin Synchronschwimmen antraten, wurde das in den Medien oft sexistisch und homophob kommentiert, wie Ursula Napravnik beobachtete. Synchronschwimmen ist ein irrsinnig kraftaufwändiger Spitzensport, der sich aber mit balletösen Posen und glitzernden Outfits paart – an Männern offensichtlich noch immer ein Tabubruch. Napravnik und ihr Team bringen nun nicht nur Österreichs einziges, sondern sogar ein «transnationales» und «queer-migrantisches» Synchronschwimmteam ins Floridsdorfer Bad.
Ursula Napravnik selbst hatte schon immer eine besondere Beziehung zum Wasser. Die Künstlerin und Aktivisten betrieb in ihrer Jugend Schwimmen als Leistungssport, bis sie es aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. «Das war ein ziemlicher Einschnitt, aber es hatte vielleicht auch etwas Gutes», erzählt sie. «Ich habe begonnen, den Leistungsgedanken des Spitzensports zu hinterfragen, aber meine Liebe zum Wasser ist mir geblieben». Neben ihrer Arbeit mit der Aqua-Gruppe der Parkinson Selbsthilfe Wien gibt sie auch Anfänger_innen Unterricht. Zwei Männer aus dem Team Queer H2O lernten bei ihr schwimmen – von Nichtschwimmern zu Kunstschwimmern in nur wenigen Monaten.
Neue Erfahrungen, neue Bilder.
Der Dritte im Bunde konnte zwar bereits schwimmen, für ihn war aber das Tanzen eine völlig neue Erfahrung. Neben dem Synchronschwimmtraining bei Judith Gerhalter, Marlene Gerhalter und Julia Nuler studiert das Team Queer H2O für die Show mit dem Tänzer Ziga Jereb eine Choreographie ein, die auf festem Boden stattfinden und in die Kunstschwimm-Kür übergehen wird.
Was sich hier verbindet, ist freizeitliches Vergnügen mit politischem Ernst. «Wir sind Refugees und gehören zur LBGT-Community», sagt Nur Khan. In vielen Köpfen habe sich das Bild festgesetzt, dass Geflüchtete nur zu Hause sitzen, essen und schlafen. «Uns ist es wichtig, ein anderes Bild zu prägen», sagt er, bevor er sich zusammen mit den anderen wieder in Formation bringt, die Arme streckt und weiterprobt.
WIENWOCHE
Unter dem Motto Dolce Far Niente – Leben jenseits kapitalistischer Produktion steht die sechste Ausgabe des Kulturfestivals, das von 22. September bis 1. Oktober an verschiedenen Wiener Schauplätzen stattfindet. Konzerte, Performances, Diskussionsveranstaltungen – insgesamt 14 Projekte widmen sich Fragen nach Arbeitswelten und -verhältnissen.
Kur für Alle verspricht etwa das Sanatorium Sonnenland in Simmering, das in die spiritistische Wellnessoase Paradisum oder zum Club-Urlauben ins Animarium lockt, um Entspannung und well-being als Konsumgut zu hinterfragen.
Talkshow in der Hängematte will am Praterstern und am Reumannplatz mit dem Publikum über Grundeinkommen, Wirtschaftsverwirrungen, Utopie und Migration diskutieren.
Menschen im Bad findet am 1. Oktober von 17.15 bis 20 Uhr im Floridsdorfer Bad, 21., Franklinstraße 22 statt. Das Publikum kann von der trockenen Tribüne aus zusehen oder mit ins Schwimmbecken steigen. Der Eintritt ist frei, um Anmeldung bis zum 29. September via reservation@wienwoche.org wird gebeten. Dazu auch angeben, ob man nur zusehen oder auch bei der Aqua-Gymnastik mitmachen möchte.