Seito Boei: Frauen-Notwehr in der Praxistun & lassen

...anstatt Töchter zu behüten

Gewalt an Frauen hat viele Gesichter. Es gibt kaum (Lebens-) Räume, wo Frauen tatsächlich geschützt sind. Auch die Familie ist kein sicherer Ort, um Gewaltangriffen zu entgehen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Vor allem Familien und der Verwandtschafts-/Bekanntschaftskreis stärken den Tätern das Rückgrat, da vielerorts in intimen Kreisen das Thema Gewalt tabuisiert wird. „Jede fünfte Frau war schon einmal mit der Gewalttätigkeit des eigenen Partners konfrontiert.“Die Ursachen der Gewaltausübung gegenüber Frauen liegen letztendlich in der traditionellen patriarchalen Machtstruktur unserer Gesellschaft. Die privilegierte Stellung der Männer hat zur Folge, dass Frauen bereits seit Jahrhunderten in die schwächere Position gezwungen werden. Diese geschlechtliche Positionierung gibt so manchen Männern ein Gefühl der Überlegenheit und Macht über Frauen zu verfügen. Das gilt speziell auch für den weiblichen Körper. Doch Frauen haben die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen. Voraussetzung dafür ist in erster Linie einmal die persönliche Bewußtmachung, dass man sich keine Form von Gewaltanwendung gefallen lassen muß, und Frauen nicht hilflos sein müssen. Gerade hier liegt jedoch oft das Problem, weil die Sozialisation von Mädchen nicht unbedingt Selbstbewußtsein bzw. Selbstvertrauen erzeugt. Frauen und Mädchen müssen sich dieser Prozesse bewußt werden und lernen ihre anerzogene Passivität, Hilflosigkeit und Ängstlichkeit zu überwinden. Deshalb sollte in jeder Erziehung großes Augenmerk darauf gelegt werden, Kindern beizubringen, sich gegen Zumutungen jeder Art seitens Erwachsener zu behaupten. „Anstatt Töchter zu behüten, sollten Eltern deren Selbständigkeit fördern, deren Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen stärken.“ (aus: Sicherheitstipps für Frauen. Hg.: MA 57)

Das ist u.a. auch das Ziel von Seito Boei, einer Selbstverteidigungsform, die speziell für Frauen entwickelt wurde. Übersetzt heißt Seito Boei, das aus dem Japanischen kommt, „Notwehr“, und wurde 1977 von Ihor Atamaniuk und Dr. Margit Kafka ins Leben gerufen. „Obwohl das Wort japanisch ist, wurden die Techniken von einem Paar in Wien entwickelt, wobei sie sich vor allem an Jutsu anlehnten und daraus Techniken speziell für Frauen-Notwehr umgestalteten und anpaßten“, erklärt Frau Dr. Judith Ziegler, einer der Trainerinnen des Vereins.

In Grundkursen erarbeiten die Frauen von Seito Boei gemeinsam mit den Kursteilnehmerinnen eine Auseinandersetzung mit Bedrohungssituationen. Vorrangig geht es darum die Schwellenangst zu überwinden, sich zur Wehr zu setzen. Es werden Methoden zur Angstbewältigung aufgezeigt, sowie die Schärfung der Wahrnehmung und Achtsamkeit geübt. Die Frauen sollen lernen, Konflikte rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Neben der richtigen Einschätzung der Situation, bringen die Trainerinnen den Frauen aber auch wirksame körperliche Abwehrtechniken bei. Hier geht es weniger um Sportlichkeit, sondern um den optimalen Einsatz der eigenen Kraft, die auf maximale und kompromißlose Effizienz ausgerichtet ist.

In Übungen und mentalem Training werden die häufig anerzogenen Schlaghemmungen abgebaut. Konzentration und Imagination ist angesagt. Durch eine sogenannte mental-imaginative Trainingsmethode werden die Frauen unterstützt instinktiv zu handeln und die Techniken zu automatisieren. Angriff und Abwehr muss immer wieder im Kopf durchgespielt werden. Jeder Schritt und Tritt muss sitzen. Es ist wichtig die Schrecksekunden zu verkürzen, um den Täter mit einem gekonnten Angriff zu überraschen. „Zusammenfassend beinhaltet unser Kursprogramm folgende Schwerpunkte: körperliche Angriffe werden durchgespielt und Verteidigungsstrategien werden gelernt und geübt. Verbale Abwehrstrategie für alltägliche Belästigungen werden aufgezeigt. Schrei- und Schlagtechniken werden perfektioniert. Außerdem besteht die Möglichkeit Erfahrungen mit (versuchter) Gewalt aufzuarbeiten. Die Kursteilnehmerinnen werden auch über die rechtliche Situation (Notwehrgesetz) aufgeklärt“, zählt Judith Ziegler die Kurspunkte auf.

Seito Boei wird ausschließlich von Frauen an Frauen weitergegeben

Zusätzlich bietet der Verein Seito Boei Kurse an, die speziell auf junge Frauen und Mädchen ausgerichtet sind. Gerade junge Menschen vermitteln einen unsicheren Eindruck, sich nicht gegen die Belästigungen Erwachsener zur Wehr zu setzen, dass von vielen Männern auch schamlos ausgenützt wird. In den angebotenen Mädchenkursen geht es in erster Linie um die Vermittlung eines gesunden Mißtrauens gegenüber Männern. „Uns ist wichtig, dass es für kleine Mädchen von 8 11 Jahren eigene Kurse gibt, bei denen es schwerpunktmäßig um Aufklärung und Prävention vor sexuellen Mißbrauch geht. In Rollenspielen lernen die Mädchen Nein zu sagen und sich durchzusetzen. Körperliche Abwehrtechniken spielen hierbei eine kleinere Rolle“, so Judith Ziegler. Den jungen Frauen wird Mut gemacht, von ihrem natürlichen Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper Gebrauch zu machen, und sich gegebenenfalls in Notsituationen über die anerzogene Achtung vor älteren Menschen hinwegzusetzen. Nebenbei wird in Übungen richtiges, gefahrenfreies Fallen gelehrt und Wissen über kleine Tricks gegen die typischen Belästigungen von Schulkameraden weitergegeben.

Absolventinnen des Grundkurses und Kursleiterinnen können in einem wöchentlich stattfindenden Training, neue Techniken erarbeiten und üben, auftauchende Probleme behandeln und theoretische Zugänge diskutieren. In weiterführenden Kursen werden Techniken vertieft und erweitert. Frauen, die Interesse daran haben, selbst Kurse zu leiten, können nach einem längeren Besuch der Trainingsgruppe als Co-Trainerinnen mitwirken, und damit die nötige Kompetenz erwerben. Seito Boei wird ausschließlich von Frauen an Frauen weitergegeben. Neben der Vermittlung körperlicher Abwehrstrategien gegen typisch männliche Angriffe, ist es auch wichtig dass Frauen ihre anerzogene Rolle als Opfer aufarbeiten können, dabei ist die Anwesenheit von Männern nicht unbedingt als förderlich zu interpretieren. Männern fehlt dazu oft das nötige Einfühlungsvermögen sowie auch die Bereitschaft Frauen zum jedweden Widerstand gegen Männergewalt zu ermutigen.


Infos:

Seito Boei wird an verschiedenen Volkshochschulen angeboten (VHS Stöbergasse, VHS Wien Nordwest, VHS Favoriten, VHS Simmering, VHS Rudolfsheim-Fünfhaus, VHS Ottakring, VHS Floridsdorf, VHS Donaustadt) und auf Vereinbarung werden auch Intensivkurse an Wochenenden, Projekte an Schulen, Kurse in frauenspezifischen Organisationen oder Jugendzentren etc. veranstaltet.

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