Selbst nicht erwartet!Artistin

Musikarbeiter unterwegs … ein Klassenzimmer in Klagenfurt, die weite USA

Als Squalloscope macht die Künstlerin und Illustratorin Anna Kohlweis Musik. Ihr jüngst erschienenes Album ist ein Meisterwerk. Von ­Rainer ­Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).

Scheint, als würden weder der zähe Winter noch die jenseitige Regierung der Musik etwas anhaben können. Das Akkordeonfestival feiert ein Monat lang fröhliche Konzert-Urständ’, das Label Siluh Records demnächst ein unrundes, würdiges 13-jähriges Jubiläum (am 23. März spielen aus diesem Anlass Aivery, Dives, Euroteuro und Mile Me Deaf im Flex). Beim Abspielgerät im gut geheizten Wohnzimmer stapeln sich spannende hiesige Alben, Buntspecht, Crispies, Nelio und Viech, to name a few. Lange währende musikalische Leidenschaften (Ami-Hardcore!) wollen dringend gepflegt werden. Welches Circle-Jerks-Studioalbum ist das allergeilste? Wie konnte ich ohne den 1986er-Radio-Bootleg leben?! Schon möchte mensch Ernst (Molden) beipflichten, der ein neues Konzertprogramm mit exquisiten Liederaneignungen (bald von gleichnamiger CD gefolgt) auf den Punkt so nennt: Hurra. Noch mehr Hurra, wenn Zeit zum Durchpflügen des Liegengebliebenen bleibt und sich Wahrnehmungslücken schließen. Da war doch ein Squalloscope-Album? Ja, und was für eines!

Exoskeletons for Children.

«Äußere Stützstrukturen für Kinder» ließe sich dieser Titel übersetzen, nimmt mensch das erste Übersetzungsangebot des Internets an. 13 Lieder von Anna Kohlweis, 1984 in Klagenfurt geborene Künstlerin, die bis 2012 als Paper Bird Musik machte, im Sinne klassischen Singer/Songwriter_innentums. Beim Fotomachen am Yppenplatz einigen wir uns darauf, dass wir 2009 schon einmal für ein Foto zu einem AUGUSTIN-Artikel (nicht) gepost haben, wohl um das Erscheinen des dritten Paper-Bird-Albums Thaumatrope herum. Als Squalloscope brachte sie bislang ­Soft ­Invasions (Album, 2012) und zwei EPs heraus. ­Exoskeletons for Children erschien im November 2017 bei Seayou Records und ist ein in vielerlei Hinsicht erstaunliches Werk, in einer ganz eigenen Klasse. Ein subtil und dicht gewobenes Stück Musik (elektronischer Autorinnen-Folk-Hop?), meist ruhig fließend, von großer, klarer Kraft, mit Humor und Zärtlichkeit, gespickt mit Samples und Field-Recordings, die den großartigen englischen Texten zusätzliche Ebenen und Stimmen hinzufügen. «And you know, being a person, it really fucks you up.» («Being A Person»).

And All My Sisters Are Too Angry.

Wie das Lied «Some Of My Best Friends Are Windows», aus dem die vorherige Zeile stammt, Elementares singt/sagt («all my sisters have been called hysterical»), ohne kämpferisches Pathos zu bemühen, ist eine der zentralen Qualitäten Squalloscopes. Leichtigkeit mit dem Schweren, Humor, Unverbittertheit beim Verhandeln des Unpackbaren und Herzzerfetzenden. Der souveräne Umgang mit Englisch – in den USA erscheint Annas Musik auf dem Hip-Hop-Lyrics-affinen Label Fake Four Inc. – erklärt sich aus der Biographie. «Ich habe immer schon viel Englisch gelesen und geschaut.» Die Mutter Englischlehrerin, eine in den großen USA verstreute Verwandtschaft wurde in den letzten Jahren besucht und kennengelernt, Anna ist mit einem US-Amerikaner verheiratet. Dem Schreiben aus der ganz starken Emotion gibt sie nicht statt. «Zuerst denke ich mir, das ist cool und edgy, aber am nächsten Tag finde ich es zu platt.» Nicht zuletzt, um sich selbst mit ihren Lyrics nicht zu langweilen, baut sie ein, «was ich selbst nicht erwartet habe». Wird sie als Paper Bird fast durchgehend mit Cat Power verglichen (Frau, alleine, Gitarre, «Indie-Sensibilität»), wird der Schritt zu Squalloscope («aus einer Laune heraus, aber ich bin draufgekommen, dass ich eigentlich alles machen kann») in differenzierterer Wahrnehmung nachvollzogen, nicht nur von der Medienzunft. Oft reagieren nicht-deutschsprachige Hörer_innen mit persönlichen und ausführlichen Feedbacks, greifen die komplexe(n) Geschichte(n)/Bilder vom Aufwachsen und In-Bewegung sein auf, die in Exoskeletons … stecken. Entstanden nach Annas Diplom an der Akademie der bildenden Künste in Wien, als sie diese Stadt vorrübergehend Richtung eines Sommers in den USA und eines Jahres in Klagenfurt verlassen hatte, ist die Ruhe und Gelassenheit dieses Albums, das teils auf Reisen geschrieben, in Annas und ihres Bruders Zimmern in Klagenfurt, sowie in ihrem alten Gymnasium aufgenommen und gemischt wurde, ein weiteres seiner Wunder. Das prächtige Artwork, so wie die Musik in Eigenregie gestaltet, tut ein Übriges. Ein eindrucksvolles Dokument des (aus)gewachsenen (Selbst-)Verständnisses einer musikalischen Solokünstlerin. Anna Kohlweis erzählt davon, dass leistbar(er)es Recording-Equipment und Homerecording-Foren im Netz ihrer Musik und deren Umsetzung förderlich waren und sind. Es geht etwas weiter. «Turns out the scars on their arms make them look striped like tigers/they show their teeth to the world like world class fighters.»

 

Squalloscope:

«Exoskeletons For Children»

(Seayou Records)

Live: 12. April, Fluc ­

(mit Ernesty International, My House in Spain)