Selbstbestimmt durch die Krisetun & lassen

In Linz trafen sich engagierte Psychiatrie-Betroffene

Wenn global die Wirtschaft kracht, kommen Zentralbanken und Regierungen als Retter. Wenn es auf der persönlichen Ebene angeblich nicht mehr weitergeht, dann kommt die Psychiatrie. Solidarische Ökonomie und Selbstorganisation bieten Möglichkeiten inner- und außerhalb des staatlichen Systems. Bericht von der 2. Österreichischen Psychiatrie-Betroffenen-Konferenz in Linz.Weil’s noch nicht reicht! Unter diesem Motto trafen sich auf Einladung von Exit-sozial Mitte Dezember etwa 60 Betroffene zwei Tage lang im Linzer Rathaus. Den Auftakt machte die lokale Vernetzung in Oberösterreich. Es gibt hier eine lebendige Szene, die Erfolge errungen hat und deren Rückschläge noch nicht vergessen sind. Herausgreifen möchte ich den Verein Exit-sozial, der einerseits ein klassischer Anbieter psychosozialer Dienstleistungen ist und andererseits starke demokratische Elemente aufweist. Resultat sind Angebote, die ansonsten wahrscheinlich nicht zustande gekommen wären. Ein Krisen-Bett ermöglicht Menschen, die Aufnahme in die Psychiatrie zu vermeiden, und in einem eigenen Programm beraten Betroffene Betroffene, selbstbestimmt und in autonomen Gruppen. Die Peer Beratung wird bezahlt, beruht auf einer gemeinsam gestalteten Ausbildung und ist mittlerweile institutionell anerkannt.

Michael Jansky, der seit Beginn dabei ist, bestätigt auch deren Nutzen. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie belastend etwa Nebenwirkungen sein können, und hat über die Jahre vielfältige Strategien entwickelt, die ihm bei einer nahenden Krise helfen. Ein weiteres Angebot ist das Basaglia Haus, das eine Übergangswohnmöglichkeit für ein Jahr bereitstellt und im Unterschied zu ähnlichen Einrichtungen keine feste Tagesstruktur hat, demokratische Mitbestimmung ermöglicht und in dem die BewohnerInnen für sich selbst kochen, waschen und putzen.

Schräge Vögel, weiche Zimmer

Am Abend des ersten Tages trat das Theater-Kollektiv Die Schrägen Vögel mit dem Stück Tartuffons auf, das ich leider nicht gesehen habe, das aber den Reaktionen nach zu urteilen Begeisterung ausgelöst hat. Tartuffe, Molières religiöser Betrüger, passte perfekt zur Konferenz. Am Folgetag berichteten die Schrägen Vögel von ihrer Arbeit, die Menschen mit und ohne körperliche und psychische Beeinträchtigungen gleichermaßen zusammenführt. In Oberösterreich feierte die Gruppe, die Mitglied von sicht:wechsel, einem Verein für integrative Kulturarbeit ist, seit 2001 mehrere Erfolge und würde sich über eine Einladung nach Wien freuen! Die Präsentationen des zweiten Tages machten sichtbar, dass es in Vorarlberg und der Steiermark besonders viele Initiativen gibt. Die Grazer Achterbahn ist eine völlig selbstständige Gruppe von Betroffenen, die Erfahrungen austauschen, Veranstaltungen organisieren und Beratung anbieten.

Einfluss gewonnen hat auch die Initiative Omnibus in Vorarlberg, deren Peer-BeraterInnen zum Kollektivvertrag bezahlt werden und die im Psychiatrie-Beirat des Landes Vorarlberg Stimmrecht besitzt. Petra Berchtold berichete, dass gute Hoffnungen bestehen, ein weiches Zimmer nach Soteria durchzusetzen. Darunter wird ein Freiraum innerhalb der Psychiatrie verstanden, der es Aufgenommen ermöglicht, mit wenigen oder gar keinen Medikamenten und vor allem mit weniger Druck und Zwang eine akute Krise zu überstehen.

Leider abwesende Selbsthilfegruppen


Aus Wien waren nur wenige TeilnehmerInnen angereist. Hier gibt es Initiativen, aber nicht allzu viele. Mit dabei waren insbesondere die Peer-Beratung von Pro Mente und die Betroffenen-VertreterInnen beim Verein Lok, Leben ohne Krankenhaus, der betreute WGs betreibt. Ich hätte mir gewünscht, dass auch mehr Selbsthilfegruppen gekommen wären, wie etwa die Gruppe Psycho-Pannenhilfe im WUK oder die Selbsthilfegruppe MisL, die sich schwierigen Lebenssituationen widmet, etwa wenn Armut, Prekariat und Erkrankungen zusammenfallen. Im Anschluss an die Vorstellung der Initiativen ermöglichte die Methode des Welt Café regen Austausch (Anm. d. Red.: Das Welt Café ist eine einfache und wirkungsvolle Methode, um eine mittlere oder große Gruppe von Menschen in ein sinnvolles Gespräch miteinander zu bringen, zu einem gemeinsamen Thema das kollektive Wissen und die kollektive Intelligenz zutage zu fördern und dabei auch den Spirit der Gruppe zu vitalisieren). Vereinbart wurden insbesondere die Einrichtung einer Mailingliste und eine Folgekonferenz. Astrid Braun, die die Konferenz mitorganisiert hat, hofft auch auf die Bildung einer neuen Arbeitsgruppe.

Als Patientenanwalt (aber in dieser Funktion schreibe ich hier nicht) hat mir der frische Wind sehr gut getan. Für mich selbst nehme ich mit, dass jede Krise eine Chance ist, die nur durch Selbstorganisation wahrgenommen werden kann. Notwendige Mittel dazu sind der Abbau von Hierarchien und die Förderung von Alternativen. Gelingt dies nicht, drohen die Chronifizierung der Krise, Entmündigung, Gewalt und das Verbot, es auch einmal ohne Medikamente versuchen zu dürfen.

Info:

Am Kongress Solidarische Ökonomie:

Workshop Psychische Gesundheit

Freitag, 20. Februar, 16 bis 17.30 Uhr

Universität für Bodenkultur

www.solidarische-oekonomie.at

Mehr Infos:

Exit-sozial, www.exitsozial.at

Achterbahn, www.achterbahn.st

Omnibus, www.psychiatrie-erfahrene.at

Psycho-Pannenhilfe, http://pph.wuk.at

Psych Pol Termine zur Psychiatrie-Kritik, www.psychiatrie.blogger.de