Sendefreiheitentun & lassen

Zwischen Pirat:innen-Radio und Bürger:innen-TV. Die nicht kommerziellen Sender Österreichs haben eine bewegte Geschichte. Nach dem Stopp der Basisfinanzierung für den Wiener Community-TV-Sender Okto im April dieses Jahres ist die Debatte um freie Sender wieder aufgeflammt.

TEXT: BARBARA EDER
ILLUSTRATION: THOMAS KRIEBAUM

Ein Pirat:innen­sender kommt selten allein – in den Siebzigerjahren mangelte es nicht an einschlägigen Initiativen. Vor mehr als vierzig Jahren starteten unterschiedliche Pirat:innen-­Radios in und um Österreich herum mit ihrer Sendetätigkeit, die technischen Voraussetzungen dafür waren ein Leichtes: Ein Sender, ein Empfänger und ein von den Wellen zwischen beiden durchlaufener Raum – Bedingungen, die aus dem Amateur:innenfunk ­bekannt waren und sich mit Funkgerät und selbstgebauter Antenne in ­Eigenregie realisieren ließen. Die Sende­aktivität selbst war bis in die frühen Neunzigerjahre jedoch illegalisiert: ­Infolge des rechtlich geschützten ORF-Monopols standen die freien Ausstrahlungen über Kurz- und Ultrakurzwelle unter Strafe. Ein sportlicher Wettlauf zwischen Radiopirat:innen und Funküberwachung begann, der nicht immer zugunsten Ersterer ausging. Die Peilsender der Fernmeldebehörde orteten unautorisiertes Geschehen im Äther, den Radio-Pionier:innen drohten ­neben der Beschlagnahmung ihres technischen Equipments mitunter auch hohe Geldstrafen.

Free on air.

Ein mehr als zehn ­Jahre ­andauerndes Katz-und-Maus-Spiel nahm dazumal seinen Anfang, das erst im Juni 1993 endete. Dazumal beschloss der ­Nationalrat das Regionalradio­gesetz. Im November 1993 ­verurteilte der ­Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte die Republik Österreich ­zudem wegen Verstoßes gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung nach der ­Europäischen Menschenrechtskonvention – eine Klage, die längst überfällig war: ­Neben Österreich gehörte ­Albanien zu den letzten Ländern Europas, die dem nichtkommerziellen Rundfunk die rechtliche Grundlage ­verwehrten; fünf Jahre später wurden auf Basis ­eines ­novellierten Regionalradiogesetzes die ersten Frequenzen ­legal zugeteilt. 15 Radio­sender gingen on air, von ­denen etliche schon viele Jahre im Unter­grund existiert hatten. ­Radio ­Orange auf 94.0 gehört ebenso dazu wie Radio ­Helsinki aus Graz, mit 12 weiteren ­freien ­Radios organisierten sie sich im «Verband ­Freier Radios Österreich». 2001 schließlich trat das Privatradiogesetz in Kraft, durch das private Sender nun auch bundesweit ­Lizenzen erlangen konnten.
Vor zwei Jahren hat sich der Zusammenschluss in «Verband Freier Rundfunk Österreich» umbenannt – eine Namensänderung, die mit einer Ausweitung von bereits vorhandenen ­Allianzen einherging: Seither vertritt diese Organisierung auch die Interessen österreichischer Community-TVs. ­Christian ­Jungwirth, Geschäftsführer von Okto TV, hatte dazumal den Vorsitz inne. Bei Okto steht er nach wie vor an vorderster Front, die demokratiepolitische Funktion des Fernsehsenders ist für ihn bis ­heute ­essenziell. Die Nichtkommerzialität des Programms hält Okto frei von Werbung, der offene Zugang für Menschen unterschiedlicher Herkünfte macht ein Sprechen abseits des Mainstreams möglich – unzensiert und in allen erdenklichen Sprachen und Dialekten, die ein Herkunftsland haben kann. Während ORF-Journalist:innen oft mit frisierten Stimmen von oben herab auf eine ­diffuse Adressat:innenschaft einwirken, geht es bei Okto nicht um derartige Distinktionsgewinne. Zivilgesellschaftlich relevant ist ein Medium schließlich dann, wenn seine Empfänger:innen jederzeit zu Sender:innen werden können. Demnach sind es bei Okto nicht primär weiße Mehrheitsösterreicher:innen, die souverän das Wort ergreifen; vor Ort waren die Minderheitenrechte von Anfang an gesichert: Am 28. November 2005 ging das erste Wiener Community-TV mit einer Ausgabe von «Afrika TV» auf Sendung.

Förderungskürzung fürs Community-TV.

«Es wären Erhebungen über die Haltung des Rundfunkhörers anzustellen: Wird im Sitzen, Stehen, Herumgehen oder im Bett gehört?» Auf Fragen dieser Art ­hatte der Philosoph Theodor W. Adorno in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts noch keine Antworten parat; ­angesichts seiner totalitären Vereinnahmung im Nationalsozialismus sprach er dem Rundfunk jeden emanzipatorischen Gehalt ab und ging von einer Regression der Hörer:innen aus.
Über seine Seher:innen weiß Okto mehr als nur Hypothetisches, empirische Erhebungen werden regelmäßig durchgeführt: Von 1.544.000 Personen, die das TV-Programm von Okto empfangen können, sehen 103.000 Personen im Monat mindestens eine Minute lang Okto, auf die Grundgesamtheit bezogen sind dies knapp 7 Prozent. ­Angesichts ­einer Vielzahl an Nischenprogrammen, die einen Großteil der Sendeschienen ausmachen, wertet Jungwirth diese Reichweite als Erfolg. Das am ersten Tag der diesjährigen Osterfeiertage in seinem Büro in der Wiener Goldschlagstraße eingetroffene Schreiben der Stadt Wien wiegt vor diesem Hintergrund für ihn umso ­schwerer: Die darin angekündigte Einstellung der Förderung für Okto komme einem «­gezielten Abschuss» gleich.
Anders als Radiopirat:innen, die selbst mit einem Minimum an technischen Mitteln senden können, fordert Fernsehen andere Voraussetzungen. Erst nach der Zusage einer Basisfinanzierung durch die Stadt Wien konnte Okto nach neunmonatigem Vorlauf im Jahr 2005 den regulären Betrieb aufnehmen. Finan­ziell unterstützt wurde der Sender vor allem durch die Wiener SPÖ unter Michael Häupl, prominente Fürsprecher:innen wie Peter Huemer, die direkt aus dem Ort kamen, förderten das Projekt ideell. Eine Million Euro bekam der Sender pro Jahr bis 2019 von der Stadt, danach 750.000, heuer waren es noch 500.000 Euro. Seit Antritt der Wiener «Zukunftskoalition» aus SPÖ und NEOS ist man in der Stad laut eigenen Angaben, wie in diversen Medien zu lesen war, nicht mehr an der Förderung von linearem Fernsehen interessiert. Man wolle hingegen Community­medien-Aktivitäten auf Social Media unterstützen. Die Basissubvention für Okto TV stellte die Stadt Wien also mit diesem Argument ein.

Einsparung und Vielfalt.

«Das Ende von Okto konnten wir in den letzten Monaten gerade noch abwenden», sagt Jungwirth. Den Schock drastischer Personaleinsparungsmaßnahmen noch im Nacken – viele Mitarbeiter:innen mussten gehen –, habe er sich direkt an die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, kurz RTR, gewandt. Mit der in diesem Jahr parlamentarisch beschlossenen Förderaufstockung des nichtkommerziellen Rundfunkfonds von drei auf insgesamt fünf Millionen Euro ­konnte Okto seine Existenz vorerst retten. Das aufgestockte Budget wurde von den Regierungsfraktionen mit der Bedeutung einer vielfältigen heimischen Rundfunklandschaft und eines hochwertigen Programm­angebots begründet. Einen wichtigen Beitrag zur angestrebten «kulturellen Vielfalt» leistet Okto nach wie vor – nunmehr mit Mitteln, die den Rückfall in den Radiopirat:innen-Untergrund der Frühzeit in Aussicht stellen.

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