Serielle Sanierung für serielle Sportstättenvorstadt

Sie sind das Rückgrat des hiesigen Breitensports in der Halle, vielen Schulen und Vereinen dienen sie als Heimstätte: die sechs städtischen Rundturnhallen. Etwas in die Jahre gekommen, sind nun Sanierungen fällig.

TEXT: HANNES GAISBERGER
FOTOS: MICHAEL BIGUS

Eine nach der anderen wird saniert, damit der chronische Platzmangel in Wien nicht akut wird. Den Beginn macht die Halle in der Steigenteschgasse in Kagran. In der dazugehörigen Presseaussendung wird auch die Geschichte der Bauten angeschnitten: «Im Zeitraum von 1972 bis 1974 wurden in Wien sechs Rundturnhallen in gleicher Größe, Konfiguration und Konstruktion errichtet. Die einheitlichen Sporthallen stehen in räumlicher Verbindung zu städtischen Bildungsbauten.» Sie stellen seit über 45 Jahren «aufgrund ihrer charakteristischen Form markante städtebauliche und architektonische Landmarks dar, deren Erscheinungsbilder allen bekannt sind». Bei Bauwerken mit einer derartigen Bedeutung für die Stadt ist es jedoch verwunderlich, dass der Mastermind hinter den brutalistischen Ufos namenlos bleibt. Architekt_innen sind doch sonst nicht so schüchtern?

Wenig Wienerisches.

Schmökert man ein wenig in Ausschreibungs- und Einreichungsunterlagen, stößt man im Kleingedruckten auf einen gewissen Architekten Flinkerbusch. Folgt man dieser Spur im Internet, landet man bei einem Artikel der Deutschen Bauzeitung, der die westfälische Firma Fröhlich und Dörken als Anbieter von vielerorts aufgestellten Rundsporthallen angibt. Nächste Information: Die spacigen Schüsseln stehen also nicht nur hier in Wien, sondern wurden zu Dutzenden im damaligen Westdeutschland, Österreich und der Schweiz gebaut. Der Begriff Rundturnhalle ist ein Austriazismus, sonst scheint relativ wenig an dem Massenprodukt wienerisch zu sein.
Ein Anruf ins Blaue bei einem Architekt Flinkerbusch in Westfalen, vielleicht ist er ja verwandt. «Über dreißig Stück waren es. Darunter ein paar sehr große, wie die Basketballhallen in München und Leverkusen.» Der rüstige Neunzigjährige kann sich noch gut erinnern, wie das begonnen hat. «Der damalige Chef von Fröhlich und Dörken, Rudolf Fröhlich, hat bei seinem Geschäftspartner Binder im steirischen Gleisdorf eine runde Industriehalle gesehen. Da kam ihm der Gedanke, das zu adaptieren und als Sporthalle anzubieten.» Die Idee habe eingeschlagen, und so seien sie viele Jahre damit beschäftigt gewesen, die Fertigteil-Rotunden zu errichten. «Die Reaktionen sind nach wie vor gut», wundert sich Georg Flinkerbusch gar nicht zu sehr über die Anfrage. Immer wieder würden sich Interessierte melden, was an der wachsenden Wertschätzung für die lange geschmähte Nachkriegsarchitektur liegen kann. «Das Patent des Daches hatte ja dieser Wiener Professor, Kurt Koss», lässt mich Herr Flinkerbusch noch wissen. Mit den Wiener Rundturnhallen habe er übrigens nichts zu schaffen gehabt.

Goldene Zeiten.

Fröhlich und Dörken ist im Wälz- und Kugellagergeschäft tätig. Heute wie damals, was nicht heißen soll, dass die Firma keine bewegte Geschichte hat. Rolf-Dieter Fröhlich ist der Seniorchef und Sohn des findigen Rudolf Fröhlich. Gerne erklärt er sich bereit, ausführlich über das Abenteuer Rundhallen zu erzählen. «Stellen Sie sich schon mal einen Kaffee zur Seite.» Beginnen wir beim Prinzipiellen: «Wenn Sie eine Grundfläche mit einem bestimmten Volumen bebauen wollen und möglichst wenig Material verwenden möchten, dann darf das nicht zu viel Umfang haben. Ein Quadrat ist da besser als ein Rechteck. Wenn man das optimiert, landet man beim Rundbau.» Da wäre schon mal bei der Außenhaut gespart, die aus Stahlbetonsandwichplatten besteht. Was das Dach betrifft: «Auf ein nach oben gewölbtes Blatt Papier können Sie einen Stift legen, der drückt die Wölbung nach unten. Ein nach unten gewölbtes Papier hält viele Stifte aus.» Damit wäre das geniale Prinzip der Rundhallen «für den interessierten Laien» erklärt. Eine runde Halle mit einem nach unten gewölbten Dach ist der Materialsparmeister schlechthin. Damit das nicht einmal einen Zentimeter dünne Metalldach nicht wegfliegt, hat man in der Mitte ein großes Gewicht eingehängt, in dem oft die Heizung untergebracht war.
In der Sportpolitik der 1960er-BRD gab es den sogenannten «Goldenen Plan». Demnach war man bestrebt, pro Einwohner_in drei Quadratmeter Sportfläche zu schaffen. Goldene Voraussetzungen für Anbieter_innen günstiger Hallen. «Mein Vater und der Herr Flinkerbusch sind mit ihren Zeichnungen quer durch Deutschland gefahren und haben ihre Pläne präsentiert. 24 Stützen, Dach drauf, fertig. Und das war ja dann kein Kasten, sondern eine dreifach teilbare Halle, mit Spielfeldern für Basketball, Volleyball, was auch immer.» Rolf-Dieter Fröhlich weist darauf hin, dass die Firma damals lediglich 20 Mitarbeiter hatte. Die Fertigteile und großteils auch die Montage haben Zulieferer beigesteuert. Trotzdem konnte man prestigeträchtige Aufträge an Land ziehen, wie die Ausschreibung der Münchner Olympiabasketballhalle, bei der man sich gegen riesige Baukonzerne durchsetzen konnte.
Der Mittsiebziger ist schon stolz darauf, was sein Vater damals auf die Beine gestellt hat, auch wenn es ihn selbst später eine Menge Scherereien und Geld gekostet hat. Die Innenhaut des Daches enthielt – damals state of the art – zwecks Brandschutz und Dämmung Asbest. 1980 wurde die gesundheitsschädliche Wirkung des Materials nachgewiesen. Das Hallengeschäft war mit einem Schlag beendet, die Firma fast ruiniert. «Ich und mein Bruder haben viel arbeiten müssen, damit es weitergehen konnte.» Die Hallen in Wien stammen übrigens nicht von ihnen, da ist sich Rolf-Dieter Fröhlich sicher.

Steirische Statements.

Versuchen wir es in der Steiermark. 1962 ließ der Enkel des Firmengründers Ludwig Binder, ein gewisser Dr. Sernetz, eine gewagte Rundhalle in Gleisdorf errichten. Angeblich nach seinem Konzept, die völlig neuartige Dachkonstruktion stammte aber von dem jungen Wiener Kurt Koss. Der hat 1961 sein Studium an der TU Graz abgeschlossen, mit einer Dissertation zum Thema «Hängekegeldach, zentral vorgespannte Kegelschale in geschweißter Stahlblechkonstruktion mit orthotroper Aussteifung und Stahlbetondruckring». Wie der Kontakt von Dr. Sernetz mit dem Studenten Koss zustande kam, lässt sich nicht rekonstruieren.
Der Grazer Architekt Michael Gattermeyer hat vor zehn Jahren das Betriebsgelände der nunmehr im Altglasrecycling tätigen Firma Binder+Co neu strukturiert. Ein Empfangsgebäude wurde errichtet, gleichzeitig wurden etliche Gebäude entfernt. «So haben wir die Halle freigespielt. Ich bin froh, dass wir das entkernen konnten, damit man die großartige Halle jetzt besser wahrnimmt und auch von der Straße aus sieht.» Das sei schon clever gedacht gewesen, «für das ringförmige Arbeiten auf einen Punkt zu, praktisch ohne Säulen». Als Gegengewicht für das Dach ein kreisläufiger Kran. Sowohl in der Fachwelt als auch im eher von Giebeldächern bestimmten Gleisdorf erregte die futuristische Rotunde damals Aufsehen.
Anfangs ist sich Gabriele Hadler, Executive Assistant bei Binder+Co, nicht ganz sicher, ob man über die alte Halle noch etwas in Erfahrung bringen könne. Es sei jedenfalls nicht so, dass sie extra für die Betriebsabläufe so geplant wurde. «Es war der Prototyp der Rundhalle, und sie wurde sicher auch deshalb gebaut, um eine erste Referenz zu haben. Für unsere Maschinenproduktion ist eine Rundhalle eher nicht so gut geeignet, da man durch die Kreisform keinen optimalen Fertigungsablauf installieren kann. Die Idee dahinter war der Kostenfaktor.» Inwiefern man mit Fröhlich und Dörken kooperiert hat, lasse sich nicht mehr genau darstellen. Ein Dokument aus dem Jahr 1961 belegt, dass man die Dachkonstruktion gemeinsam mit Dr. Koss beim Deutschen Patentamt angemeldet hat. Eine Lizenzgebühr dürfte für die Westfalen also fällig gewesen sein.
Im gesamten deutschsprachigen Raum sollen 70 dieser Stahlbetonschüsseln aufgestellt worden sein. Ein alter Prospekt der Firma Binder, den Frau Hadler ausgegraben hat, legt nahe, dass es noch viel mehr sein könnten. In dem Druckwerk werden die «Binder Rundhallen» beworben, in diversen Größen, mit Kegelschalen-Hängedach. «Durch Vergabe von Lizenzen ins Ausland – bisher an Unternehmen in der BRD, in den Benelux-Ländern, in Australien, Italien, Ungarn und Spanien – wird der Kreis der an diesem Bausystem Inter­essierten immer größer.» Nicht nur für Industrie- und Turnhallen sei das Produkt gemacht, auch Verwendungen für Sakralbauten, Schwimmbäder, Messehallen oder Kulturzentren wären denkbar.

Wiener Lösungen.

Die Rundhallen waren ein günstiges Massenprodukt, von der Wertschätzung näher beim Carport als bei der Kathedrale. Die Lizenz lag bei Binder und Dr. Koss, der bei den Wiener Rundturnhallen nicht nur auf dem Papier dabei war. Beim damals «Hallenstadion Wien» genannten Dusika-Stadion war er als Statiker am Bau beteiligt, den wiederum die Firma Waagner-Biro durchgeführt hat. Diese Kombination dürfte auch die städtischen Rundturnhallen realisiert haben. Ein etwas kleinerer Prototyp ist die in den späten 1960er-Jahren konstruierte Tennisrundhalle des WAC im Prater.
Kurt Koss war, so der Westfale Rolf-Dieter Fröhlich, «ein genialer Statiker und Erfinder. Mit seiner Freivorbau-Technik hat er den Brückenbau revolutioniert. Er hatte auch einen Lehrstuhl in Wien.» Bei großen Projekten wie dem Juridicum oder der AUVA-Zentrale war er als Statiker involviert. Trotz seiner beachtlichen Leistungen: Ein Bauingenieur steht nicht so im Rampenlicht wie ein Architekt. Über ihn lässt sich heute kaum etwas in Erfahrung bringen, das Internet spuckt weder Fotos noch Interviews noch Biografien aus. Er hat jahrzehntelang in einer repräsentativen Wohnung in einem Gemeindebau in Erdberg gelebt, wäre nun 90 Jahre alt. Seine Telefonnummer funktioniert nicht mehr. Eine Nachbarin behauptet, der Herr Doktor sei vor ein paar Jahren ins Heim gekommen, weil er schon sehr zerstreut gewesen sei. Kaum gefunden, verliert sich die Spur schon wieder.
Was die Hallen betrifft: Sie sind in guten Händen. Das Büro raumkunst ZT hat Expertise im Sportanlagenbau, zuletzt wurde der Eisring Süd saniert, in der Zukunft wartet das LASK-Stadion. Das Projekt Rundturnhalle, halb Sanierung, halb Neubau, mache «aus ökologischen und ressourcentechnischen Gründen Sinn», so Harald Fux von raumkunst ZT. Auch er hat viel übrig für die «gestalterische Geste der runden Form. Wir machen jetzt eine prototypische Sanierung für eine prototypische Lösung.» Letztlich ist es die Geste der Rundheit, die erhalten bleibt. Die Außenwände werden eingehüllt, um sie zu schützen, zu dämmen und die Lichtverhältnisse auf den Plätzen zu verbessern. Das Koss’sche Dach «ist eine Blechmembran, die langfristig nicht zu erhalten ist. Das soll dann ja wieder bis zu 50 Jahre halten.» Mit dem nach oben gewölbten Dach, das kein Gegengewicht benötigt, erreicht man die Bundesliga-Ballsporthöhe. Wenn die Arbeiten in Kagran im Herbst abgeschlossen sind, geht man gleich an die nächsten Hallen. Serielle Sanierung für serielle Sportstätten. Ganz im Sinne des Doktors.