Sexarbeit selbstbestimmttun & lassen

Selbstvertretung? Gibt’s für fast alle Berufsgruppen. Auch Sexarbeiter_innen organisieren sich, um ihre Anliegen zu vertreten. Als Expert_innen ernst genommen zu werden, wäre eine Voraussetzung dafür, wie Céline Béal von der Gruppe Red Edition erfahren hat.

«Ich bin und war kein Opfer!», sagt Trajche. Der Mann mit dem warmen Lächeln strahlt eine ruhige Entschlossenheit aus, die wenig Zweifel an seiner Kapazität lässt, für sich zu kämpfen. «Ich habe meine zehn Jahre als Sexarbeiter genossen», erzählt er. «Ich habe auch tolle Leute kennengelernt!» Dass Sexarbeiter_innen Opfer seien, ist eine Idee, gegen die der ehemalige Sexarbeiter und Sprecher der Gruppe Red Edition öfters zu kämpfen hat.

Für sich selbst sprechen.

Vor drei Jahren haben sich ein paar migrantische Sexarbeiter_innen zusammengefunden. Am Anfang ging es ihnen vor allem um Informationsaustausch, bald aber auch um Aktivismus, mit dem Ziel: «Wir wollen unsere Stimmen erheben!» Das Kollektiv Red Edition war entstanden. Sein Spezifikum ist, dass es sich um eine ­selbstorganisierte Gruppe handelt. «Oft ist es so, dass andere Leute für Sexarbeiter_innen sprechen: Journalist_innen, Akademiker_innen, andere Menschenrechtsaktivist_innen usw.», sagt Trajche. «Es geht mir nicht darum zu sagen: Wir brauchen ihre Unterstützung nicht. Aber wir sollten für uns selbst sprechen können. Wir wollen uns nicht bevormundet fühlen.» Schließlich seien Sexarbeiter_innen Expert_innen für ihr eigenes Leben. Auf der Facebook-Seite der Organisation steht dementsprechend das Motto groß geschrieben: «Nothing about us without us.» Eine Aufforderung an die Entscheidungsträger_innen dieses Landes, in alle Entscheidungen über Sexarbeit die Erstbetroffenen miteinzubeziehen.
Die Gesellschaft behandle Sexprofis herablassend, erfährt man bei Red Edition. Sie würden etwa zu schnell mit Opfern von Menschenhandel gleichgestellt. Mit dem Wort «Sexarbeiter_innen» beschreiben sich aber Menschen, die sich für ihren Beruf entschieden haben. Red Edition widerspricht auch der abolitionistischen These, die Prostitution an sich als eine Menschenrechtsverletzung betrachtet. In einem patriarchalen Unterdrückungssystem seien demnach alle Sexarbeiter_innen Opfer einer Ausbeutung. «Ich persönlich würde nicht zwischen verschiedenen Gruppen unterscheiden, wenn ich von Ausbeutung rede», lautet die Antwort des Red-Edition-Sprechers. Wir sind alle Opfer des Kapitalismus. Ich bin sicher, dass wir, wenn wir zum nächsten Supermarkt gehen, dort gleich jemanden finden, der oder die ausgebeutet wird.» Alle sollten lieber zusammen gegen Ausbeutung kämpfen, findet Trajche.
Aber vorerst kämpft die Gruppe um Sichtbarkeit. Dafür bietet der International Sex Workers’ Day am 2. Juni, in deutschsprachigen Ländern als Internationaler Hurentag bekannt (siehe Infokasten), Gelegenheit. Was die Gruppe genau plant, ist noch nicht entschieden, in den letzten zwei Jahren gab es eine künstlerische Graffiti-Intervention in der Stadt. Die Aktivist_innen werden jedenfalls die Partner_innenorganisation LEFÖ unterstützen, die am 4. Juni eine Aktion für mehr Rechte für Sexarbeiter_innen organisiert.

Stigma und Gesundheitskontrollen.

Dort wird auch Nina sein. Nina ist 30 und arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der Sexarbeit, seit zwei Jahren lebt sie in Wien. Sie kommt aus einem anderen europäischen Land. Aus welchem, das möchte sie nicht verraten. Wie die meisten ihrer Kolleg_innen will sie nicht «geoutet» werden. Als Aktivistin hat sie Angst vor Behörden oder Vergeltungen durch Laufhausbetreiber_innen. Zudem wird ihre Arbeit gesellschaftlich stigmatisiert. Das Stigma ist ein Grund, warum es die Branche schwer hat, ihre Selbstvertretung zu organisieren. Ein anderer ist wohl die hohe Mobilität. 90 bis 95 Prozent der Sexarbeiter_innen in Österreich kommen aus dem Ausland, viele, wie auch Nina, reisen oft. Nach Deutschland, in die Schweiz etwa. «Wir verdienen ja keine Millionen, deswegen müssen wir reisen. So ist der aktuelle Markt», erklärt sie.
In Österreich ist Sexarbeit schon seit 1975 legal. Trotzdem ist die Lage für die Menschen auf der Straße und in den Bordellen nicht rosig. Vor allem eines verstößt für Nina gegen die Menschenrechte: die verpflichtenden Gesundheitskontrollen. Alle sechs Wochen müssen Frauen, die als Sexarbeiterinnen gemeldet sind, sich einer gynäkologischen Untersuchung unterziehen. «Es heißt, es wäre gut für uns. Aber das ist sicher nicht so!», zeigt sich Nina empört. Im Untersuchungszentrum würden die Sexarbeiterinnen wie am Fließband behandelt. Es gehe nur darum, für Gonorrhoe, Chlamydien und HIV zu testen; es gebe kein Gespräch und keine weiterführende Untersuchung. Kein auf Konsens basierender Arztbesuch also. «Trotzdem bekommst du alle sechs Wochen ein Spekulum hinein.»
«Einmal hatte ich mich bei der Rasur geschnitten und habe die Schwester gefragt, ob sie es sich anschauen könnte. Sie hat mich stattdessen geschimpft! Sie sei nicht dafür da, ich solle mir einen Termin beim Frauenarzt ausmachen.» Als Nina kurz auf die Wunde griff, fiel die Reaktion harsch aus: «Fass dich doch nicht an, du wirst uns kontaminieren!», sagte die Schwester. «Ich bin doch keine Mikrobe!», hatte Nina nur geantwortet, bevor sie weinend den Raum verließ. «Sie sind nicht da, um dir zu helfen. Sie sind da, um dir vor Augen zu führen, dass du keine normale Frau bist.»

Arbeitsrechte und Netzwerke.

Organisationen wie Red Edition und LEFÖ kritisieren diese Pflichtuntersuchungen als Diskriminierung. Dadurch würde die Idee vermittelt, dass Sexarbeiterinnen nicht in der Lage seien, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. «Eine fremden- und frauenfeindliche Idee», so Nina. «Diese Pflichtchecks beruhen auf einer langen Tradition. Im Ersten Weltkrieg waren sie da, um die Soldaten vor Syphilis zu schützen. Auf der Seite der Männer war Prostitution als ein notwendiges Übel gesehen. Die Frauen wurden als unmoralisch betrachtet.» Auch heute noch, wie sie sagt: «Es geht darum, die bürgerliche Gesellschaft vor uns als vermeintliche Krankheitsüberträgerinnen zu schützen.»
«Sexarbeit ist Arbeit», ist ein Motto der Sexarbeiter_innenbewegung weltweit. Damit soll verdeutlicht werden, dass Sexarbeit eine Art wie jede andere ist, Geld zu verdienen. «Besondere Regelungen wie diese Untersuchungen sind also ungerechtfertigt», lautet die Botschaft von Red Edition. «Was aber notwendig ist: dass wir einen besseren Zugang zu Arbeiterrechten bekommen, wie Sozialversicherung, AMS und Ausbildungsmöglichkeiten», sagt Nina. Statt Verpflichtung wünscht sie sich einen erleichterten Zugang zu freundlichen Gesundheitsprofis und die Eröffnung von mehr Communityzentren, wo Sexarbeiter_innen Informationen holen können.
Red Edition setzt viel auf Netzwerke: «Wir haben Kontakte zu Sexarbeiter_innengruppen rund um den Globus», erzählt Trajche. Es gibt selbstorganisierte Netzwerke, bei denen Red Edition aktives Mitglied ist, wie im Global Network of Sex Work Projects und dem International Commitee on the Rights of Sex Workers in Europe (ICRSE). Das ICRSE arbeitet daran, Gesetze und Praktiken zu forcieren, die die Rechte von Sexarbeiter_innen respektieren. Red Edition unterstützt außerdem Kampagnen in verschiedenen Ländern.
Als weiteren Schritt nach außen bereitet die Gruppe ihre Teilnahme an der Regenbogenparade am 15. Juni in Wien vor. «Vor zwei Jahren waren wir die erste Sexarbeiter_innengruppe, die dort vertreten war», erzählt Trajche. Heuer wird bei der Demo 50 Jahre Stonewall gedacht. 1969 standen Homo- und Transsexuelle gegen Razzien der Polizei in der Bar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street auf. Der Sprecher von Red Edition ist zuversichtlich: «Genau so wie die Sexarbeiter_innen damals auf der Seite der LGBTQ+-Community waren, fordern wir heute, dass diese auf unserer Seite steht, damit wir auch unseren Aufstand schaffen.»

International Sex Worker’s Day, 2. Juni
An 2. Juni 1975 besetzten über hundert Sexarbeiter_innen eine Kirche in der französischen Stadt Lyon, um gegen Schikanen der Behörden zu protestieren. LEFÖ, ein Beratungs-, Bildungs- und Begleitungsverein für Frauen und Migrantinnen organisiert in Kooperation mit den Grünen Frauen Wien einen Aktionstag für «Mehr Rechte für Sexarbeiter_innen» , heuer am 4. Juni. Von 16 bis 19 Uhr gibt es am Urban-Loritz-Platz ein Info-Café, ein Flashmob und Konzerte von den Musikerinnen Chra, Lana Sharp und Schapka sind ebenfalls geplant.

rededition.wordpress.com, www.lefoe.at