Shit passiert, UEFA kassierttun & lassen

Nix gegen Fußball aber alles gegen die unterwürfige Auslieferung der Stadt

StadtAnUefa.jpg1991 gab es in Wien eine Volksbefragung über die Abhaltung einer Weltausstellung. Zwei Drittel der WienerInnen stimmten dagegen. Die Angst vor der Veränderung der Stadt durch solch eine Großveranstaltung war zu groß. Um diesen Sorgen nicht noch einmal ein Ventil zu bieten, wurde über die Durchführung der Fußballeuropameisterschaft 2008 kein Volksentscheid durchgeführt. Dafür ist zu befürchten, dass die WienerInnen, aber auch viele andere ÖsterreicherInnen jetzt erleben werden, wovor sie vor 17 Jahren wohl zu Recht Angst gehabt haben.

Wenn es um die Sonntagöffnung ging, waren PolitikerInnen und Wirtschaftskammerfunktionäre bisher immer sehr zurückhaltend. Der Sonntag muss unangetastet bleiben. Da geht es schließlich um ein Stück Lebenskultur, sagte zum Beispiel Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl wörtlich. Umfragen der Wiener Wirtschaftskammer ergaben bisher weder bei den Wienerinnen und Wienern noch bei den Geschäftsleuten einen großen Bedarf.

Doch seit die Fußballeuropameisterschaft ins Haus steht, ist alles anders. Wien braucht unbedingt eine Sonntagsöffnung während der EURO, trommeln Politik und Wirtschaftskammer seit über einem Jahr. Denn PolitikerInnen und Wirtschaftskammer erwarten sich (zumindest offiziell) bei der EURO 08 die Umsatzlawine des Jahrzehnts. Abgesehen von sportlichen Höhepunkten, die jeder erhofft, werden diese drei Wochen für viele Geschäftstreibende, vor allem Gastronomen, möglicherweise die umsatzstärksten des Jahres werden, meint die Bezirksvorsteherin des 1. Wiener Gemeindebezirkes, Ursula Stenzel.

Politik ignoriert Studien

Dass dem nicht so sein wird, weiß man seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Es profitierten nur 13 Prozent aller Einzelhändler; 40 Prozent der Händler mussten dagegen sogar Einbußen zum saisonüblichen Geschäft verkraften. Dieses Ergebnis brachte eine Umfrage unter HändlerInnen nach der WM in Stuttgart. Die Gründe: Die Fans interessierten sich nur für Fanartikel und fußballtypische Genussmittel, und die Stammkunden mieden die überfüllten Innenstädte, was die Geschäfte noch viel mehr schmerzte. Auch längere Öffnungszeiten und verkaufsoffene Sonntage erwiesen sich besonders an Spieltagen als Flop. Warum ignorieren PolitikerInnen solche Studien konsequent?

Das deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut hat in seiner Studie nach der WM 2006 betont, dass die Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens immer mehr um sich greift: Selbst sportliche Großveranstaltungen wie die Fußballweltmeisterschaft, die eigentlich ein Spaß sein sollen, werden inzwischen der Prüfung unterzogen, ob sie etwa einer Volkswirtschaft per saldo mehr Geld in die Kassen spülen, als für sie aufgewendet wurden. Das liegt hauptsächlich daran, dass für solche Veranstaltungen aus den öffentlichen Haushalten erhebliche Mittel bereitgestellt werden und die Politik und die Sportfunktionäre deshalb eine Rechtfertigung dafür suchen, dass die Mittelverwendung sich für die Allgemeinheit bzw. den Steuerzahler ‚rechnet‘. Das ist wohl auch bei der EURO 08 nicht anders.

Wie sich die UEFA ihren Gewinn sichert

Wenn es sich rechnet, dann nur, weil es auf Kosten der Menschen in Österreich geht, das ist jetzt schon klar. Denn den Gewinn der Veranstaltung bekommt der Veranstalter und das ist die UEFA. Alle anderen werden mit Almosen abgespeist oder müssen sogar für den Erfolg der UEFA gratis (ehrenamtlich) arbeiten. Denn damit die UEFA auf ihren Gewinn kommt, hat sie vorgesorgt.

Mit den Städten, in denen gespielt wird, hat sie so genannte Host-City-Verträge. Das heißt konkret, dass sich die Städte wie Wien mit Haut und Haar an die UEFA verkauft haben, wobei verschenkt wohl eher die richtige Vokabel wäre. Während die Stadt die Arbeit und die Kosten hat, streift die UEFA das Geld ein. Geregelt wurde dies im Host-City-Vertrag zwischen der UEFA und der Stadt Wien. Dabei wurde z. B. festgelegt, dass die Fanmeile im Stadtzentrum liegen und bis 24 Uhr geöffnet sein muss. Schäden und Wiederherstellungen zahlt selbstverständlich die Stadt. Insgesamt bekommt sie für alle Aufwendungen 3,9 Millionen Euro von der UEFA. Hilfsorganisationen suchen dafür seit Monaten tausende Freiwillige, die in den drei Wochen Dienst tun und die nicht ausreichenden bezahlten Kräfte unterstützen. Und auch viele andere Aktivitäten werden nicht extra bezahlt, sondern müssen aus dem Gemeindebudget gezahlt werden.

Dass natürlich auch der Bau neuer Stadien (in Klagenfurt) oder die Renovierung bestehender Stadien von der öffentlichen Hand zu tragen war, gilt als selbstverständlich. Denn man könnte ja der UEFA nun wirklich nicht zumuten, von ihrem erwarteten Gewinn von ca. 600 Millionen Euro (in alter Währung 8,2 Milliarden Schilling) hier etwas beizutragen (siehe Kasten). Als Sarkasmus kann man dann nur das Statement der Wiener Sportsamtsleiterin, die den Host-City-Vertrag ausgehandelt hat, nehmen: Faktum ist, dass wir gut verhandelt haben, denn beim ersten Entwurf hätte Wien alles gezahlt und die UEFA alles kassiert.

Tausende prekäre Arbeitsplätze

Da wird deutlich, wer für wen rennt. Aber im Zeitalter des Neoliberalismus regt das niemanden mehr auf, am wenigsten die PolitikerInnen. Die versuchen verzweifelt durch diverse Meinungsumfragen nachzuweisen, dass sich eine große Mehrheit der ÖsterreicherInnen auf die Europameisterschaft freut. Wie man den diversen Studien und Meinungsumfragen trauen kann, weiß man spätestens seit der Fußball-WM 2006 in Deutschland. Auch dort wurde im Vorhinein eine Euphorie geschürt, die zwar auf dem Fußballfeld standhielt, in wirtschaftlichen Belangen aber vom renommierten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut im Nachhinein als vollkommen irrational bezeichnet wurde.

Auch in Österreich wird immer von den zusätzlichen Arbeitsplätzen geschwärmt und sogar mit Studien belegt, dass es bis zu 8000 sein sollen. Dass es sich dabei in erster Linie um kurzfristige prekäre Arbeitsplätze handelt, sagt niemand. Denn was sollten auch tausende Sicherheitskräfte nach der Europameisterschaft bewachen, wenn alle Fans wieder weg sind?

Neben der Sonntagsöffnung, die durch die Euro jetzt plötzlich möglich ist, gibt es noch viele andere Dinge, die auf einmal kein Problem mehr sind. So wird in Wien die Ringstraße gesperrt, beileibe keine unwichtige Nebenstraße. Als die Grünen vorschlugen, diese Sperre gleich beizubehalten, wurden sie für Träumer erklärt. Öfters wurde übrigens vorgeschlagen, die Fanmeile doch statt in der Innenstadt auf der Donauinsel abzuhalten. Das wäre vielleicht sinnvoller, doch die UEFA hat es Wien verboten: Im Vertrag steht, dass die Fanmeile im Stadtzentrum stattfinden muss. Dafür wird sogar das Wiener Burgtheater erstmals im Juni zugesperrt.

Euro zieht Hooligans nach Österreich: Präventivhaft?

Die Angst vor Hooligans führt dazu, dass etwas kommt, was selbst für gefährliche Gewalttäter nicht möglich ist: Eine Art Präventivhaft, wenn sich amtsbekannte Hooligans nicht vier Stunden vor Spielbeginn auf einer Polizeiinspektion einfinden. Dort sollen sie dann während des Spielverlaufs über die Rechtslage belehrt werden. Das heißt, noch ohne überhaupt eine Straftat begangen zu haben, kann man verhaftet werden, weil man es ja vielleicht tun könnte. Um genügend Platz für festgenommene Hooligans zu schaffen, wird das Innenministerium wenige Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft 2008 die Polizeianhaltezentren (PAZ) in den Austragungsstädten Wien, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt räumen lassen. Die ursprünglichen Insassen wie Schub- und Verwaltungshäftlinge werden österreichweit in jenen PAZ untergebracht, in deren Nähe keine EM-Spiele stattfinden. Dass hunderte Gefangene quer durch Österreich transportiert werden, hat es in der Geschichte der Zweiten Republik noch nicht gegeben.

Auch mit der viel gelobten Reisefreiheit ist es während der EURO 08 wieder aus. Die Grenzen werden wieder dicht gemacht und kontrolliert. Apropos Reise: Einen sehr originellen Tipp gab eine Zeitung allen, die nicht unter den Auswirkungen der EURO 08 leiden wollen: Verreisen ist angesagt. Wie das allen ÄrztInnen, Krankenschwestern, PolizistInnen, JustizbeamtInnen, AutobusfahrerInnen und vielen andern anderen angesichts von Urlaubssperren im Juni möglich sein soll, wurde nicht gesagt. Im Gegenteil: Aus diversen Betrieben kommen (natürlich nur unter der Hand) die Hinweise, dass Frauen, die erst im Herbst aus der Kinderkarenz zurückkommen müssten, bereits ihren Dienst Anfang Juni wieder aufnehmen müssen. Sonst ist natürlich nicht garantiert, wie lange sie nach der Karenz noch in der Firma tätig sein können …

Schweigegelder für die Massenmedien?

Und wenn Sie es trotzdem schaffen zu verreisen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie in Wien von der Stadt zum Flughafen und zurück nur mehr Fußballwerbung sehen. Die Stadt Wien hat sich nämlich verpflichtet, bei bestimmten Strecken alle öffentlichen Werbeflächen der UEFA zu übertragen. Welche Firma hat das schon einmal bekommen?

Damit die Werbeflächen exklusiv bleiben, hat sich die UEFA auch Rechte gesichert, die bisher niemand hatte. So dürfen nicht mehrere Besucher mit der Werbung für einen anderen Bierhersteller als den offiziellen Sponsor in ein Stadion. Dann wird eingegriffen, sagt die EM-Sprecherin Anja Richter. Und zwar nicht von der UEFA, sondern von den zuständigen Behörden, also in Wien MagistratsbeamtInnen (deren Arbeitszeit natürlich die Stadt zahlt). Ebenso wenn Fans mit einem T-Shirt des Sponsors der österreichischen Nationalmannschaft kommen. Denn das ist PUMA und der offizielle Sponsor der EM ist Adidas. Dann heißt es T-Shirt umdrehen, ausziehen oder wieder nach Hause gehen.

Weil der GEWISTA (sie wurde 1921 als Magistratsabteilung gegründet, um die Werbeflächen auf Verkehrsmitteln und Öffi-Stationen zu vermarkten; mittlerweile ist sie schon lange privatisiert; mittlerweile ist sie mehrheitlich im Eigentum des französischen Außenwerbekonzerns JCDecaux), durch die diversen Werbeverbote anscheinend zu viel Werbung entgeht, hat sie eine Offensive der anderen Art gestartet. Kein Entrinnen mehr bei der Werbung ist das Motto. Dafür werden erstmals nach den U-Bahn-Stationen auch ganze U-Bahn-Züge mit Werbung zugekleistert. Nicht nur außen, sondern auch im Inneren der Züge soll während der EM die Werbung vorherrschen: Haltegriffe mit Reklame, Werbetexte auf Böden und Decken sollen ein oft gesehener Anblick sein.

Wer kritische Stimmen zur EURO hören will, wird sich einigermaßen schwer tun. 2 Millionen Euro zahlt das Bundeskanzleramt an österreichische Medien für eine Medienkooperation, davon alleine 630.000 Euro an die Kronen Zeitung. Kein Wunder, dass kritische Berichte bisher hauptsächlich in kleinen Medien wie der Wiener Zeitung, dem Monatsmagazin Datum oder der Fußballzeitung Ballesterer erschienen sind. Ansonsten wir für die nötige Europhorie gesorgt.

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