Shopping, als gäbe es kein MorgenArtistin

Katharina Weingartner zur abnehmenden Symbolkraft des Markenschuhs

Die südostasiatische Sklavenindustrie erblasst vor Neid, wenn es um die Bedingungen der US-Häfenindustrie geht. Katharina Weingartner zeigt die konkurrenzlos günstige Produktion im Gefängnis auf, dokumentiert die Rache am Logo und verfolgt die zwiespältige Strategie der Sportschuh-Vermarktung. In ihrem aktuellen Filmprojekt geht es um «das Ende der Konsumwelt, wie wir sie kennen».Das Positive zuerst: In den USA wurde während des Dokumentations-Zeitraumes von 12 Monaten keine neue Shopping Mall mehr eröffnet zum ersten Mal seit 50 Jahren. Ob das schon ein gutes Zeichen ist? Entweder gibt es nun flächendeckend genug davon. Oder der generalstabsmäßig geplante und verordnete Konsum ist doch an seinem natürlichen Ende des Wachstums angelangt. Die aktuelle Doku heißt «Der Gruen Effekt». Darin geht es um den Erfinder der Shopping Mall, Victor Gruen, einem Österreicher, der auch die erste Fußgängerzone in der Wiener Kärntnerstraße konzipierte. Und auch darum, wie die soziale, gemeinschaftliche Entwicklung der Einkaufszentren als kultureller Treffpunkt vom grassierenden Kapitalismus kannibalisiert wurde. Shopping, als gäbe es kein Morgen!

Rückblende: Katharina Weingartner gehörte zur legendären «Ö3-Musicbox»-Crew. Sie lebte anderthalb Jahrzehnte in den USA und gestaltete Beiträge für «arte». Ab 1990 funkte sie aus der Welthauptstadt (Kapitale) des freien Westens New York dem Kapitalismus dazwischen. Ihr erster Film war eine Doku mit dem Titel »Too Soon for Sorry».

Ein Drittel der urbanen männlichen schwarzen Jugend steht unter staatlicher Aufsicht. Für diese 14- bis 28-jährigen ist legal kein ausreichendes Einkommen mehr zu finden. Sobald sie in die Illegalität abdriften (und früher oder später erwischt werden), setzt es Sanktionen. Sie werden eingesperrt. Dort gibt es dann Arbeit, allerdings unter verschärften Bestimmungen und zu konkurrenzlos billigen Bedingungen.


Der junge gefährliche Schwarze als Ikone

«Und dieser Arbeitsplatz, den es in Freiheit nicht gibt, ist im Gefängnis sehr begehrt.» Also arbeiten die Insassen für die Textilindustrie oder in Call-Centers. «Ich sehe das nicht nur negativ. Es dient der Sozialisation, und ein bisserl was von dem Geld bleibt ihnen ja auch». Problematischer sieht die engagierte Radio- und Filmemacherin, wie Produkte aus diesem unfreiwilligen Schaffensprozess vermarktet werden. «Junge Männer kommen für Jobs draußen in der Welt nicht mehr infrage, weil sie gefährlich sind. Und das ist so zynisch! Es entsteht eine Ikonografie des gefährlichen Schwarzen, mit dem alle möglichen Produkte beworben und verkauft werden». Aus der Radiosendung «Prison Blues» war ein beachtlicher (und beachteter) Film geworden. Auch um das Anliegen einem größeren Kreis zugänglich zu machen. Immerhin hinkt der Neoliberalismus in der EU den Entwicklungen des kapitalistischen Musterlandes USA lechzend hinterher.

Katharina Weingartner, Mutter zweier Kinder im Alter von 15 und 4 Jahren, kehrte nach ihrer Zeit in New York (von 1990 bis 2004) nach Wien zurück, weil sie ihr Jüngstes, wie sie sagt, nicht ohne Krankenversicherung großziehen will. «In meinem Bekanntenkreis haben ja quasi alle ohne Krankenversicherung gelebt. Und mit Kind ist das schon ein Horror, auch wenn dies in den USA alltäglich ist».

Prison industrial complex: Die US-Häfenindustrie boomt. Immer mehr Vollzugsanstalten werden privatisiert (wird auch bald bei uns Einzug halten). Die Wirtschaft gedeiht nur noch hinter Gefängnismauern. Häftlinge wird es immer geben, absolut krisensicher und total arbeitnehmerschutzfrei! Nicht nur Bekleidungs-Manufakturen (letzter Schrei: von Häftlingen getragene Klamotten mit der eingestanzten Nummer des Insassen), sondern auch Dienstleister setzen vermehrt auf die Arbeit hinter Schloss und Riegel.

Eine weitere Filmdoku trug den Titel »Knock off Die Rache am Logo». Darunter versteht man ein Falsifikat. Diese Fälschung ist jedoch wiederum Propaganda fürs Original. Auch Markenpiraterie dient dem Mythos der Marke, dem Produkt als Imageträger. «Nachdem junge Schwarze bestimmen, was die nächste Mode wird, bin ich draufgekommen, dass Logos derzeit total out sind.» Auch das gibt Hoffnung, dass die Konsumwelt, der absolute Konsumismus, seine Kapazitätsgrenze erreicht haben könnte.

Grenze des Wachstums vom Ende des Konsumismus

In «Sneaker Stories» zieht Weingartner gegen einen Sportartikel- und Schuhkonzern in die Doku-Schlacht. Robin Kelley ist «Kronzeuge» und Sekundant in einem. Der Experte für Anthropologie und afro-amerikanische Studien hat als Fachgebiet die afrikanische Diaspora und soziokulturelle Geschichte, immer mit einem Fokus auf Musik als Trägermedium wie auch als Katalysator. Der Buchautor über die schwarze Arbeiterbewegung nennt es eine doppelte Kriminalisierungs-Strategie, wie diese Produkte in den urbanen Zentren vermarktet werden. Erstens, das Bild des gefährlichen jungen Schwarzen und zweitens: «Das Streben nach dem teuren Schuh führt dazu, dass sie zu Geld kommen müssen. Und weil keine Jobs da sind, greift man zu anderen Mitteln, wie etwa Drogenhandel.»

Das hat zu einem merkwürdigen Phänomen der Gender-«Gleichberechtigung» in der Untergrund-Ökonomie geführt. Inzwischen sind auch die Frauen zahlreich in den Drogenhandel eingestiegen, um die eliminierten Männer zu ersetzen. «Es ist ein Verbrechen, was der afroamerikanischen Familie angetan wird. Immer mehr Großeltern müssen die Rolle der Eltern übernehmen, weil die mittlere Generation so radikal weggesperrt wird», bricht Weingartner eine Lanze für die nicht immer unschuldigen und harmlosen Ghetto-Kids.

Und die Industrie nützt diese Notlage, mit legalen Mitteln nicht an das ersehnte Objekt der Konsumbegierde zu kommen, schamlos aus, erzählt die Filmemacherin. Aber wer zwingt die Konsumenten dazu? Warum nicht Konsumverzicht als Haltung? Immerhin brauchen nicht nur Schuhhersteller Absätze, jedes Produkt benötigt Abnehmer. In den 90er Jahren litten einige Firmen unter Boykottaufrufen. «Inzwischen sind die Medien derart gleichgeschaltet, sodass wenn von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen die Rede ist die Markennamen nicht mehr genannt werden.» Ein Sportartikel- und Schuhkonzern, der gerne mit teuren Rechtsanwälten auffährt (unlängst ließ man die erwähnte Theorie von Robin Kelley aus einem kritischen AK-Konsumentenführer zum Schuleinsatz entfernen), war einer der ersten, der seine Produktion auslagerte. Diese Strategie nannte man in den USA zuerst «Nike-economy». Auslagerung also. Oder mit einem Modewort: Outsourcing.

Anhand der Symbolkraft des Sportschuhs wird ein gesellschaftliches Szenario beleuchtet: «In Brooklyn, wo wir über zwei Sommer lang gedreht haben, gab es früher eine Schuhindustrie. Aber dann wurde alles outgesourct.» Nachdem die Arbeitsplätze in den städtischen Randgebieten verschwanden, sind dort 85 Prozent arbeitslos geworden. Der gefährliche Schwarze scheint nur noch Mittel zum Zweck zu sein, um ein aggressives Image zu transportieren. Und ein anderer Hersteller ist nicht in Sicht, um ein Gleichgewicht des Schreckens herzustellen?

Nichts auf weiter Flur. 1997 hat ein führender Sportartikel- und Schuherzeuger binnen eines Jahres ein Drittel seines Umsatzes durch kritische Berichterstattung über die südostasiatische Sklavenindustrie eingebüßt. Inzwischen sind auch die Medien in der Krise angekommen und von den Werbegeldern noch abhängiger geworden. Über jede noch so unsinnige Aktion wird heuchlerisch berichtet. CSR, «Corporate Social Responsibility», heißt das. Inzwischen wird aus Rücksicht auf die kapitalistischen Turbomotoren kein Markenname mehr genannt, sobald sich Berichte über sklavenähnliche Zustände nicht mehr vermeiden lassen. «Also geht es immer nur um die Schuh- und/oder die Textilindustrie», sagt Katharina Weingartner. (Deswegen wird hier der Name «Nike» bewusst vermieden, Anm. d. Autors)

Firmen versuchen ihr Image reinzuwaschen. «Da wird sehr viel Geld hinein gesteckt. Da kooperiert man mit irgendwelchen innerstädtischen Gruppen. Aus alten Sportschuhen wird ein Belag für einen Kinderspielplatz gemacht. Das sind eigentlich Peanuts-Aktionen, wo der Ortsvorsteher und die Pressetante mitmachen. Das funktioniert sehr gut. Das ist alles sehr gut geölt. Was will man gegen so etwas machen? Dadurch sind alle aktivistischen Aktionen gelähmt. Das ist bei uns ja auch schon gang und gäbe, dass eine Firma sich ein grünes Image verleiht.» Aber wird die Glaubwürdigkeit dieses umgehängten grünen Mäntelchens bis ans Ende aller Shopping-Tage reichen?

Karl Weidinger

Info:

Filmografie (gemeinsam mit Anette Baldauf):

«Too Soon for Sorry Prison Blues»

»Knock off Die Rache am Logo

«Der Gruen Effekt»

»Sneaker Stories als DVD im Handel