Shopping for Futuretun & lassen

Das Versprechen, sich die Welt grünzukaufen, ist die pure Verlockung. Aber zahlt sich die Suche nach dem richtigen Produkt in der falschen Warenwelt überhaupt aus?

Text: Lisa Bolyos
Fotos: Carolina Frank

Wenn man einer Sache anhängt und ihr Gegenteil tut, spricht die Psychologie vom Value-Action-Gap. Sie denken, dass der Konsum von ökologisch produziertem Gemüse aus der Region ein notwendiger Beitrag zum Klimaschutz ist, kaufen aber trotzdem Avocados? Damit sind Sie nicht allein. Motive gibt es zuhauf: Sie schmecken gut; sie waren gerade im Angebot; man kann eh nichts ändern; und außerdem ist es viel zu anstrengend, in einer falschen Warenwelt ständig das Richtige zu tun.
Seit die Marketingabteilungen der Großkonzerne entdeckt haben, dass der Value-Action-Gap die Menschen quält, verschaffen sie Abhilfe. Bei der AUA kann man neuerdings CO2-neutral fliegen. Knorr-Suppen sind, so will es die Packerlaufschrift, aus nachhaltigem Gemüse hergestellt. Burger King bewirbt seinen vegetarischen Burger als Greta-kompatibel. Und bei IKEA kann man mit dem Kauf eines simplen Vorhangs für wenig Geld zur Klimaaktivistin werden. «Heimliche Heldin» nennt der Konzern, der für die kurze Halbwertszeit seiner Möbel bekannt ist, die Kundin, die dieses Angebot annimmt.
Kann die Grünfärbung des herkömmlichen Kapitalismus funktionieren? Ist möglichst viel Konsum von ökologisch hergestellten oder biologisch abbaubaren Produkten ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz? Spart man sich damit gar den mühseligen Freitagsaktivismus? Oder fällt man nur auf eine Marketingstrategie herein?

Bambuszahnbürsten fürs Klima.

Wenn hier von Konsum die Rede ist, dann ist der Einkauf der durchschnittlichen Redakteurin, des durchschnittlichen Lesers gemeint: Nahrungsmittel, Kleidung, Kosmetik, ein bisschen Schnickschnack hier und da, vielleicht auch mal Treibstoff fürs Auto. Vom Aktien-, Immobilien- oder Erdölkonsum im großen Stil sprechen wir hier nicht, obwohl «green products» aus den Portfolios internationaler Konzerne nicht mehr wegzudenken sind. Die Konsumsoziologie unterscheidet zwischen Einkaufen – dem Besorgen von Notwendigkeiten – und Shopping – dem Besorgen von Luxusgütern als Freizeitunterhaltung –, aber diese Grenze scharf zu ziehen erscheint im grünen Sektor weder möglich noch sinnvoll. Wer bestimmt, ob die sechste Edelstahlbabytrinkflasche eingekauft oder geshoppt wurde? Ob der Bio-Alpacca-Pulli dazu da ist, die Körpertemperatur zu erhöhen oder die Beliebtheit auf Instagram? Die einzige Grenze, die sich hier unweigerlich bemerkbar macht, ist die des Einkommens. Wer zu wenig Geld hat, kauft weniger Produkte aus dem Nachhaltigkeitsregal ein, hat aber auch insgesamt einen geringeren Anteil an Ressourcenverbrauch und CO2-Emissionen. Denn auch für die Bambuszahnbürsten, Bioleinensackerl, Hanfsaunatücher und Fairphones der Welt gilt, was die Global-2000-Ressourcencampaignerin Lena Steger sagt: «Am klimafreundlichsten ist das, was gar nicht erst produziert werden muss.» Dabei muss man beim grünen Konsum mitbedenken, dass die Öko-, Holz- und Kokosnussschalenprodukte in den seltensten Fällen die Plastikprodukte ersetzen. In den meisten Fällen komplementieren sie das Sortiment. So wie etwa auch die Elektroautos zu den Autos mit Verbrennungsmotoren hinzukommen und der Gesamtverbrauch an Produkten stetig steigt.
Allein machen sie dich ein. «Kritischer Konsum von einzelnen ist nicht der entscheidende Hebel», ist Bruno Kern, Autor des Buches Das Märchen vom grünen Wachstum, überzeugt. «Wir sind als Konsumenten viel stärker vom herrschenden Angebot abhängig, als dass wir es umgekehrt durch unsere Nachfrage beeinflussen können.» «Damit Konsument_innen eine relevante Größe sind, müssen sie sich organisieren», sagt Nina Tröger aus der Abteilung Konsumentenpolitik der AK Wien. Und selbstorganisierte Konsument_innen gebe es in Österreich über kleine Verbrauchergemeinschaften und Foodcoops hinaus kaum. Die Entscheidung für das «richtige» Produkt sei der einzelnen Person nicht zumutbar. Zu undurchsichtig sei mittlerweile der Markt «selbst für mich, die sich beruflich damit beschäftigt». Und mit dem «sehr bewussten Umgang vieler Konsument_innen» werde vor allem eines gemacht: viel Umsatz. Dazu kommt, dass es zwar irreführend ist, wenn Unternehmen fälschlicherweise suggerieren, der Kauf ihrer Produkte sei ein Akt gegen den Klimawandel seien, aber die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, sind unzureichend. «Es gibt Ambitionen auf EU-Ebene, dieses De-facto-Greenwashing, also die Werbung mit grünen Aussagen stark zu reglementieren,» erklärt Nina Tröger. Eine öffentliche Konsultation zu den «Nachweisen der Umweltleistung von Produkten & Unternehmen» wurde am 3. Dezember abgeschlossen. Das Ziel des Verfahrens: Ähnlich wie im Gesundheitswerbebereich sollen Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre Aussagen nach standardisierten Verfahren der Fußabdruckmessung zu belegen.
Bruno Kern, der heute in Mainz lebt, ist in Wien aufgewachsen, seine Politisierung begann mit den Protesten gegen den Bau des Kernkraftwerks in Zwentendorf an der Donau. Für die sozialen Bewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre sei die Konsumdebatte noch relevant gewesen, sagt er. Herbert Marcuses Begriff der «Großen Verweigerung» war Programm. Verweigern des Konsums, Ausstieg aus dem Kapitalismus. An die Auseinandersetzung sozialer Bewegungen mit Konsum, seinen Gütern und seinen Produktionsbedingungen erinnern auch Überbleibsel wie der fair gehandelte Kaffee oder die Biomilch, über deren widersprüchliche Bedeutung im Supermarkt­sortiment sich heute so schön streiten lässt.
Diese Art, sich mit Konsum politisch und kollektiv auseinanderzusetzen, vermisse er heute, sagt Kern. Warum er es trotzdem nicht für ganz sinnlos hält, auf den Konsum zu achten – «Ich zum Beispiel bin sehr streng mit mir, was Flugreisen betrifft, aber weit weniger konsequent, wenn es um den Fleischkonsum geht» – hat mit politischer Ernsthaftigkeit zu tun. «Der Kapitalismus reproduziert sich ja über uns als Subjekte. Und im Sinne der Selbstermächtigung denke ich schon, dass es wichtig ist, zum Thema zu machen, was und wie viel wir konsumieren.» Eine Bewegung gegen Fluglärm, nennt Kern ein Beispiel, sollte sich die Verweigerung des Fliegens zu eigen machen; um das Repertoire des Widerstands zu erweitern und um glaubwürdig zu sein.

Die Verantwortung denen, die sie tragen.

Umweltschonend einzukaufen kann auf mehreren Ebenen sinnvoll sein: Es ist in den meisten Fällen gesünder; auch sehr kleine Gruppen an Konsument_innen können überlebenswichtig für kleine Betriebe oder Produzent_innen sein; und das individuelle Verhalten ist relevant für die eigene Integrität. Individueller Konsum ist auch in seinem Gesamtvolumen nicht unbedeutend. Würden alle Konsument_innen ihre Handys länger nützen, würden alle ihre Kleidung Second-Hand kaufen, würden alle ein bisschen weniger Auto und ein bisschen mehr Rad fahren, dann würden die CO2-Emissionen selbstverständlich sinken. In einer Studie hat das Europäische Umweltbüro, ein Dachverband von Umwelt-NGOs, folgende beeindruckende Zahl festgestellt, erzählt Nina Tröger: «Wenn in der EU alle Haushaltsgeräte um ein Jahr länger genützt würden, würde das so viel eingespartem CO2 entsprechen, wie wenn zwei Millionen Autos für ein Jahr von der Straße genommen würden.» Aber «was wäre wenn» ist kein politisches Programm.
«Ich will keine Einkaufstipps, ich will keine Life-Hacks, und ich will schon gar keine Empfehlungen für nachhaltige Produkte. Das wird die drohende Umweltkatastrophe nicht aufhalten», schreibt die Standard-Redakteurin Ana Grujić in ihrem Plädoyer Warum Ihr Bio-Einkauf nicht die Welt rettet. «Ich will Standards und Richtlinien, die es Firmen unmöglich machen, unsere Umwelt für ihren Profit zu zerstören.» Die Armutsaktivistin Daniela Brodesser will diese Kritik um die Frage der Leistbarkeit erweitert sehen: «Bewusst einkaufen gehen? Schöne Idee. Aber es gibt sehr viele Leute, die sich das nicht leisten können. Es ist falsch, die Verantwortung auf den Konsumenten abzuwälzen. Die muss bei den Unternehmen liegen.»

Den Hebel ansetzen.

Der springende Punkt, meint Bruno Kern, sei, dass es eben nicht um den Konsum, sondern um die Produktion geht. «Es wird immer wieder diskutiert, ob man Fleisch verteuern könnte, um den Konsum zu regulieren. Viel vernünftiger wäre aber, den Hebel bei der Produktion anzusetzen: Flächenbindung bei der Tierhaltung, Futtermittelimportverbot.»
«Man muss die EU-Mitgliedsstaaten verpflichten», sagt Lena Steger, «ihren absoluten Ressourcenverbrauch zu reduzieren.» Das heißt, dass der Gesamtverbrauch eines Landes – vom Zement für den Straßenbau über die Braunkohle, die im zugekauften Strom steckt, bis zum Erdöl für die Düngemittel der importierten Bananen – weniger werden muss. Laut Bericht zur Ressourcennutzung in Österreich 2020 des Umwelt- und des Landwirtschaftsministeriums liegt Österreich beim Ressourcen­verbrauch mit 33 Tonnen/Kopf/Jahr an 5. Stelle in der EU.
Ein anderer Ansatzpunkt ist die Einführung eines Lieferkettengesetzes, das Unternehmen dazu verpflichtet, für die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten und ökologischen Mindeststandards entlang der Lieferkette der von ihnen eingekauften Waren zu sorgen. Als Beispiel werden gerne katastrophale Arbeitsbedingungen oder Umweltverbrechen im globalen Süden genannt – zu Recht, aber man muss gar nicht so weit blicken, um sich am Green Smoothie zu verschlucken: «Es genügt, wenn man sich die Arbeits- und Wohnbedingungen der Erntearbeiter im Eferdinger Becken anschaut», sagt die Oberösterreicherin Daniela Brodesser. Sie ist in der Initiative Lieferkettengesetz zum Thema Armut aktiv. «Die verdienen teilweise drei Euro und ein bisschen was in der Stunde. Es genügt nicht, wenn man die Bauern und Bäuerinnen dafür anprangert. Die Konzerne müssen ihre Abnehmerpreise so gestalten, dass die Höfe ihre Arbeitskräfte ordentlich bezahlen können.»
Wenn Arbeitnehmer_innen nicht für Niedriglöhne oder in schlecht abgesicherten Dienstverhältnissen arbeiten müssten, könnten sie sich auch leisten, ihr bisschen an Konsumverantwortung zu übernehmen, sagt Brodesser. Sie und ihre Familie haben selbst herbe Armutserfahrungen gemacht, und sie weiß, was es heißt, jeden Cent umdrehen zu müssen. «Wenn man den Kindern dann ein einziges Mal neue T-Shirts kaufen will, muss man zum Diskonter gehen, obwohl man weiß, wie schlecht die Arbeitsbedingungen in der Textilproduktion sind. Aber fair gehandelte Kleidung ist einfach nicht drin.»
Mit dem Volksentscheid über die sogenannte Konzernverantwortung Ende November hat die Schweiz ein Möglichkeitsfenster geöffnet, um in ganz Europa Nägel mit Köpfen zu machen. Zwar wurde wegen der spezifischen Schweizer Abstimmungspolitik gegen die Verantwortung der Konzerne entschieden, numerisch waren die Pro-Stimmen aber in der Überzahl. Dass eine Mehrheit der Schweizer_innen «die mächtigen Konzerne und ihre Lobbys herausfordert – das gab es noch gar nie», schreibt die NGO Public Eye beinahe euphorisch. Ähnliches geschieht in Deutschland: Dort wird ein potenzielles Lieferkettengesetz bereits im Bundestag diskutiert. Auf EU-Ebene soll kommendes Jahr ein Gesetzesvorschlag vorliegen. Von Bemühungen, ein nationales Lieferkettengesetz zu entwerfen, ist in Österreich noch nichts zu bemerken.

Was ist grün und wächst?

«Klimawandel und Umweltzerstörung sind existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt. Deshalb braucht Europa eine neue Wachstumsstrategie». Die Europäische Union ist ganz auf ihren «Grünen Deal» konzentriert, und während sich in der im März vorgestellten Strategie für Kreislaufwirtschaft durchaus vielversprechende Ideen zur Ressourcenschonung finden, bleibt insgesamt Wirtschaftswachstum zentrales Ziel. «Die große Illusion, die mit der Idee vom grünen Wachstum einhergeht, ist, dass man das auf Dauer gestellte Wachstum von den Ressourcen abkoppeln könnte – dass man also nur andere technische Möglichkeiten und Formen der Energiegewinnung entwickeln muss, und dann kann alles bleiben wie bisher», sagt Bruno Kern. «Aber tatsächlich müssen wir uns fragen: Wie bauen wir eine solidarische Gesellschaft auf einer wesentlich schma­leren materiellen Basis auf?» Dem stimmt Lena Steger von Global 2000 zu: «Eine wachsende Produktion ist per se nicht nachhaltig.» Steger ist als Ressourcencampaignerin Expertin auf dem Gebiet. Eines ihrer realpolitischen Steckenpferde ist das Pfandgebinde, über das sich Umwelt-NGOs und Handel regelmäßig in die Haare kriegen.
In den Regalen des Lebensmitteleinzelhandels frönt man einer Mischung aus Ökobewusstsein und Nostalgie: Das Einmachglas ist zurück. Fast wie ein Trost gegen das Ungemach der Gegenwart stet auf den Schraub-
deckeln der Joghurtgläser: «Das gute alte Glas». Jetzt kostet das Joghurt ein bisschen mehr als im Plastikbecher, dafür ist das Gewissen erleichtert, und dass das Glas eben nicht «gut und alt», weil gebraucht, sondern «neu», also zum Wegwerfen ist – in Fachsprache ein «Einweggebinde» –, nimmt Ja! Natürlich, die Bio-Eigenmarke von Rewe, zum Anlass für Online-Bastelanleitungen. Wie viele upgecycelte Blumenvasen und Teelichter der joghurtessende Mensch in seinem Wohnraum unterbringt, sei dahingestellt. Fakt ist: Einweggläser haben aufgrund des enormen Energieaufwands beim Einschmelzen eine extrem schlechte Ökobilanz. Und in der «guten alten Zeit», den 1990er-Jahren, lag die Mehrwegquote laut Lena Steger in Österreich bei 90 Prozent. Heute liegt sie bei 19 Prozent. Warum? Mehrweg ist gut für die Umwelt, aber nicht für die Verpackungsindustrie. «Um gegenzusteuern, braucht es eine verpflichtende Mehrwegquote», sagt Steger. Ob die Joghurtgläser die EU-Strategie für Kreislaufwirtschaft überleben, wird davon abhängen, ob adäquate verpflichtende Maßnahmen daraus entstehen. Im Aktionsplan zur EU-Strategie ist das Ende des Einweggebindes jedenfalls schon zu Papier gebracht.

Das V-Wort.

Wird Verzicht zum Gebot der Stunde? «Das ist das böse V-Wort, das man nicht verwenden darf», sagt Bruno Kern und verwendet es gerade darum gern. «Es ist reine Augenauswischerei zu sagen, dass wir die ökologische Transformation nicht spüren würden.» Gerade weil es sich für jene, die nicht armutsbetroffen sind, im Kapitalismus recht komfortabel leben ließe, sei es so schwer, sich auf den Wandel des Wirtschaftssystems hin zu einem System, das die Erde tatsächlich nachhaltig länger bewohnbar macht, zu freuen. «Wenn wir möglichst viele Menschen auf diesem schwierigen Weg der ökologischen Transformation mitnehmen wollen, fangen wir klugerweise da an, wo es am wenigsten weh tut», schlägt Bruno Kern vor und erklärt, was er mit dem Postwachstumsökonomen Niko Paech als «Befreiung vom Überfluss» bezeichnet. «Vieles, wo wir abspecken müssen, ist nur kapitalistischer Leerlauf. Sehen wir uns die berühmte geplante Obsoleszenz an, den eingebauten Verschleiß, der uns dazu zwingt, bestimmte Produkte in immer kürzeren Zyklen anzuschaffen. Es mindert keines Menschen Lebensqualität, wenn ein Kühlschrank statt fünfzehn auf einmal vierzig Jahre hält. Und das könnte man ordnungspolitisch einfach durchsetzen.» Länger nutzbar und leichter reparierbar, auch das sind Stichworte der EU-Strategie für Kreislaufwirtschaft. «Es handelt sich hier um eine grobe Allgemeinstrategie, zu der einzelne Maßnahmen entwickelt werden müssen», sagt Nina Tröger auf die Frage nach der gesetzlichen Verbindlichkeit. «Das verbindlichste Mittel ist in dem Bereich bisher die Ökodesignrichtlinie, die regelt, dass energieverbrauchsrelevante Produkte wie Waschmaschinen oder Fernseher gewisse Mindeststandards erreichen müssen, um auf den EU-Binnenmarkt zu kommen.» Mit der neuen Kreislaufwirtschaftsstrategie sollen diese Bestimmungen auf Produkte wie Möbel und Textilien ausgeweitet und um Mindestkriterien der Reparierbarkeit erweitert werden.
Als Konsument_in verzichten zu können oder verzichten zu müssen, das ist eine Frage des Einkommens. «Die Debatte fängt immer bei uns unten an, aber sie müsste ganz oben anfangen», findet Daniela Brodesser: Gesetzliche Regelungen müssen Unternehmen zum Verzicht zwingen – auf hohe Gewinnmargen und auf Steuervermeidung. Dann ließen sich einerseits die externalisierten Kosten, die das Lieferkettengesetz sichtbar machen wird, begleichen, ohne sie an die Endverbraucher_innen weiterzugeben; und zweitens würde der Staat Steuereinnahmen machen, mit denen er ein soziales Netz finanzieren und ökologische Infrastruktur aufbauen kann, die allen zur Verfügung steht.
In ihrer Empirischen Untersuchung zu Diskrepanzen im Umweltverhalten der österreichischen Bevölkerung schreibt die Grazer Soziologin Beate Klösch (2019), dass die Befragten ihren Value-Action-Gap gern geschlossen sähen: durch Infrastrukturen und Regulative, die die klimafreundliche zur normalen, weil naheliegenden Entscheidung machen. Ein Lebensstil mit wenig Ressourcenverbrauch, sagt jemand in Klöschs Befragung, müsste zum Statussymbol erhoben werden: «Ich arbeite nicht Vollzeit, ich fahre auf Urlaub in Oberösterreich, ich fahre mit dem Bus oder der Bahn zu meiner Wanderung, solche Dinge, dass das in wird. Das wäre, glaube ich, der Weg.»