Der Handaufleger und die Tigerlilly
Die Tenne sperrt zu. Probleme mit den Hausparteien. Dick und fett steht es in der Zeitung, und mir wird fast schlecht. Nie wieder Boogie tanzen bis zum Umfallen? Nie wieder Leute beobachten und Mandy von den Bambis beim nennen wir es Singen zuhören? Ich kann es nicht glauben und beschließe spontan einen Tenne-Besuch, um zumindest einen Nachruf zu verfassen. Ein Erlebnisbericht.Zur moralischen und fototechnischen Unterstützung beantrage ich die Begleitung eines Fotografen, der AUGUSTIN-Redakteur zeigt wenig Mitleid und gibt mir einen nach seinen Angaben „sauschlechten Tänzer “ mit. Natürlich will ich zum Oldie-Abend (Oldie bezieht sich auf die Musik, offiziell zumindest), Fotograf Mario ist Gott sei Dank indifferent, und schon haben wir ein date.
Bereits auf dem Hinweg überkommen mich Erinnerungen: an den Zwanzig-Deka-Mann, der meine Schulfreundin ansatzlos abschleppte (die zwanzig Deka beziehen sich auf das Gesamtgewicht der Goldketterl, die an seinem Hals hingen wo sind eure Gedanken, meine Damen!?), an sechs Jahre moralisch bedingter Zurückhaltung, die bei einem Foxtrott endgültig endete – mit einem alles um mich vergessen lassenden Kuss eines Herrn, dem vom Standesbeamten leider bereits eine andere Dame zugemutet worden war, und an mein erstes und bisher einziges blaues Auge, entstanden auf der randvollen Tanzfläche bei einem Cha-Cha durch eine benachbarte Kampftänzerin. Die Geschichte glaubte mir übrigens damals kein Mensch.
Beim Eintreten werden wir von einem etwas umgestalteten Lokal, aber von einigen alt bekannten Gesichtern empfangen. Ich erkenne den (gnadenlos schlecht tanzenden) Toupetträger wieder und den Vollprofi mit Minipli, aber nach dem Michael-Douglas-Verschnitt, der zwar gut tanzt, aber nach einer Viertelstunde immer schon ramponiert aussieht, halte ich vergeblich Ausschau. Vielleicht ist heute sein Bauernstuben-Tag.
Wir stellen uns an die neue Bar direkt an der Tanzfläche. Die ist eine echte Verbesserung, weil sich hier auch allein hergekommene Damen lässig platzieren können. Es herrscht bereits reger Betrieb, wie immer flanieren die Herren emsig durchs Lokal, um das Angebot zu durchforsten. Die Neulinge, denen es noch ein wenig peinlich ist, tun so, als ob sie auf dem Weg zum Örtchen wären und huschen dort der außergewöhnlichsten Klofrau der Innenstadt in die Hände. Sie kennt ihre Kundschaft genau und ist meines Wissens die einzige, die Pauschalpreise für einen ganzen Abend akzeptiert Zusatzdienste wie die Aufbewahrung von diversen Utensilien mit Aufpreis, versteht sich.
Natürlich kann man in die Tenne auch als Paar kommen, weil man nur tanzen will, aber dann nimmt man nur einen geringen Teil von dem in Anspruch, was dieses Lokal bietet. Die meisten kommen in Damen- oder Herrenverbänden, besetzen die Logentischchen oder die Bar und hoffen auf einen anregenden Abend.
Wir bestellen bei Frau Anni was zu trinken, und nach kurzer Zeit macht Mario sich auf die Runde, um zu fotografieren. Das gibt mir siehe oben Gelegenheit, mal zu gucken, was sich an Männern so tut. Während ich gerade meine Kurzsichtigkeit verfluche, weil mir im Detail entgeht, wie ein fescher Herr mit einem wasserstoffblonden Mittelalter anbandelt, rückt mir ein Schüchti auf den Leib. Höflich konversierend stört er mich beim Beobachten, und ehe ich michs versehe, ruht seine Hand auf meinem Oberschenkel. Mit einem forschen „Entschuldigung?!? “ rücke ich ab, und er sucht verschreckt das Weite. Hilfesuchend blicke ich mich nach Mario um, aber der lächelt nur freundlich vom anderen Ende des Lokals und zieht sich dann wieder zum Fotografieren zurück.
Mittlerweile ist die Wasserstoffblonde bereits auf der Tanzfläche, allerdings hätte sie sich besseres verdient. Das Toupet wiederum kriegt einen Korb nach dem anderen, offensichtlich kennen ihn alle schon. Ähnliche Qualitäten hat ein Tweedsakko, das auch nie mehr als einen verkrampften Tanz mit derselben Dame schafft. An der Bar parkt ein gut aussehender Herr mit lockerem Grinsen, der es aber mit dem Tanzen offensichtlich nicht so hat. Krampfhaft hält er sein Glas umklammert, Frau Anni schenkt gerne nach.
Endlich ist Mario wieder da und zeigt mir seine Ausbeute so eine Digitalkamera ist schon ein kleines Wunder. Ich befinde die Fotos alle für hervorragend und beuge so einer etwaigen Wiederholungsrunde vor. Der Handaufleger hat sich aber ohnehin ein neues Opfer gefunden, bei dem er auf der Tanzfläche gerade die Hüften befühlt. Dem gut aussehenden Herrn an der Bar verrutscht sein Grinsen immer mehr, Frau Anni hat es wohl zu gut gemeint.
Warum lässt der den Ehering am Finger?
Die viel gepriesene Live-Musik ist zu einem Alleinunterhalter mit Midi-Kenntnissen geschrumpft, punktuell verstärkt durch eine Sängerin, die ihre exzellente Stimme an 80er-Jahre-Gemeinheiten verschwendet. Nun aber ist es endlich soweit. Mandy von den Bambis gibt sich die Ehre und verwöhnt unsere Ohren mit … mit … nun, mit Songs, die auf Platte gar nicht mal so schlecht klingen. Er erntet tosenden Applaus von den Tanzenden, darunter auch wieder die Wasserstoffblonde, diesmal aber in den richtigen Händen: der Vollprofi hat sie unter seine Fittiche genommen. Der Handaufleger jedoch betrachtet das Ereignis aus sicherer Entfernung von der Bar aus.
Gegen Mitternacht passieren zwei interessante Dinge: die Struktur des Publikums ändert sich die ersten von denen, denen das Tanzen weniger wichtig war, verlassen beschwingt das Lokal, um offensichtlichen Geschäftsreisenden Platz zu machen, die in Anzug und Krawatte erforschen, ob der Vienna Tourist Guide wohl die Wahrheit schreibt. Ein Bundesdeutscher will es ganz genau wissen und nähert sich einer dauergewellten Tigerlilly, die ihm sehr entgegenkommt. Mario und ich philosophieren über die Strategie des Deutschen, seinen Ehering am Finger zu lassen. Was kann dahinter stecken?
Ein anderer von den Krawattenträgern fällt einem roten Glitzertop ins Dekolletée, nach dem Motto „Tanzen wir vorher noch einen? “
Mandy schwingt sich tatsächlich zu einem zweiten Live-Event auf. Der Handaufleger immer noch am Sitzen der hat seinen Zwanziger Eintritt heute vergeblich investiert. Fast könnte man Mitleid kriegen. Die Wasserstoffblonde dagegen blüht auf mit dem Vollprofi, das gibt Präsentations-Bonuspunkte fürs nächste Mal. Die Tigerlilly gibt sich immer noch redlich Mühe, ist aber beim Deutschen an den Falschen geraten. Der nimmt das mit dem Ring entweder ernst oder hat damit eine perfekte Abwehrstrategie.
Das zweite Interessante ist, dass mein „sauschlechter Tänzer “ sich einen Ruck gibt und mir einen Boogie anbietet. Wir tanzen bei mittlerweile viel Platz auf der Tanzfläche und wieder Konservenmusik, Gott sei Dank! ganz phänomenal, der Chefredakteur wird was zu hören kriegen.
Als uns kurz vor halb drei der rosarote Panther „Wer hat an der Uhr gedreht? “ -hinauskomplimentieren will, gesteht Frau Anni, dass es sich hier um ihre Lieblingsmelodie handelt. „Wenn ich um vier heimkomme, ist das Vogelzwitschern Musik in meinen Ohren. “ Und noch was ganz Wesentliches erzählt sie uns: „Die Tenne soll zusperren? Aber woher denn. Natürlich, ein Lokal hat immer Probleme mit den Hausparteien. Aber nur weil irgendeine alte Kleehummel sich aufregt, machen wir noch lang nicht zu! “
Der Besuch des Etablissements kann also weiterhin wärmstens empfohlen werden.