«Bitte seien Sie achtsam …»
Alkohol, Drogenkriminalität, Betteln und schwarze Schafe. Der Diskurs um vermeintliche Bedrohungsszenarien und die daraufhin ergriffenen Maßnahmen bestimmen nicht nur, wie wir uns auf dem Terrain der Wiener Linien zu verhalten haben, sondern auch, was im öffentlichen Raum generell erlaubt sein darf. Von Josefa Maria Stiegler und Emilia Jawad.
Foto: Maya McKechneay
Auch beim aktuell diskutierten Essverbot wird mit dem hohen Gut des Wohlbefindens der Fahrgäste argumentiert, denn wo es sauber ist, herrscht Sicherheit, meinen die Wiener Linien. Der Überbegriff Sicherheit dient dabei als Platzhalter für eine Vielfalt an Themen und Phänomenen, die auf die (stadt-)politische Agenda gesetzt werden. Ein aktuelles Interview mit der für die Wiener Stadtwerke zuständigen Stadträtin Ulli Sima in der Falter-Ausgabe 30/18 zeigt deutlich, welche Probleme im Namen der Sicherheit verhandelt werden: Die besondere Schutzbedürftigkeit von Frauen und Kindern, Drogenkriminalität, bettelnde Menschen, die angeblich die Sicherheit gefährden, sowie das jüngst erwirkte Alkoholverbot am Praterstern.
Wer bedroht wen?
Kern jeder Sicherheitsdebatte ist eine Differenzierung zwischen vermeintlich objektiv bestimmbaren Bedrohungen einerseits und schützenswerten Personen und Gütern andererseits. Veranschaulicht wird das durch das Bild von schutzbedürftigen, angeblich von Natur aus ängstlicheren Frauen, die sich im öffentlichen Raum besonderen Gefahren und vor allem subjektiven Unsicherheiten ausgesetzt fühlen. Im eingangs erwähnten Falter-Interview äußert Sima etwa Besorgnis darüber, dass Frauen und Kinder sich nicht mehr an bestimmte Orte trauen würden. Die Darstellung der schützenswerten Frau braucht auch ein Gegenstück, die Konstruktion einer bedrohlichen Männlichkeit einerseits, zugleich aber auch jene des männlichen Beschützers. Geschlecht ist in Sicherheitsdebatten also zentral, denn über Annahmen stereotyper geschlechtsspezifischer Bedürfnisse werden stadtplanerische Sicherheitsmaßnahmen gerechtfertigt. Zusätzliche Beleuchtung oder eine weitere Kamera mag vordergründig mit einem höheren «subjektiven Sicherheitsempfinden» argumentiert werden. Allerdings erschweren oder verunmöglichen sie für andere Personen, die auf öffentliche Räume angewiesen sind, den Zugang zu diesem.
Sorge um Sicherheit.
Am Beispiel des Musizierens in öffentlichen Verkehrsmitteln lässt sich dagegen sehr gut zeigen, wie im Namen von Sicherheit und Ordnung eine Hierarchisierung und Kriminalisierung bestimmter Personengruppen stattfindet. So ist das Musizieren auf eigene Initiative – das häufig mit Betteln assoziiert wird – verboten und wird mit einer Geldstrafe von 50 Euro geahndet. Das vor einem Jahr initiierte Projekt der U-Bahn-Stars hingegen funktioniert faktisch nach dem gleichen Prinzip: Musizieren in Öffi-Stationen, das Fahrgäste durch eine Geldspende würdigen können. Trotzdem besteht ein großer Unterschied, wie die beiden Fälle wahrgenommen, diskutiert und schließlich geahndet werden. Die Wiener Linien haben eine klare Vorstellung davon, welche Personengruppen sie auf ihrem Gebiet (nicht) dulden. Dass das Sicherheitsthema bei den Wiener Linien auf so großen Widerhall stößt, ist allerdings keine Besonderheit des Unternehmens. Die Sorge um die Sicherheit liegt auf jeden Fall im Trend.
Das größere Ganze.
Indem Sauberkeit und Ordnung zum obersten Prinzip erklärt werden, werden Möglichkeiten der Disziplinierung und Kontrollausübung geschaffen. Der Verweis auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Fahrgäste macht Überwachung und freiheitseinschränkende Maßnahmen unantastbar, Sicherheit dient hier als Totschlagargument. Letztlich wird durch die Konstruktion von Bedrohungen einerseits – etwa der Alkoholkonsum am Praterstern – und schützenswerten Gütern und Personen andererseits – beispielsweise das Wohlbefinden bestimmter Fahrgäste – festgelegt, wer den öffentlichen Raum in welcher Form nutzen kann und wem dieses Recht verwehrt bleibt. Diese Nutzungskonflikte werden immer mehr in Bezug auf die Prämisse der Ästhetik diskutiert. Im modernen Kapitalismus, geprägt durch zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Räume, stehen Städte in direkter Standortkonkurrenz – das jeweilige Stadtimage ist hierfür das zentrale Aushängeschild. Auch Sicherheitspolitiken folgen den Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise: Das heißt, dass ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Sicherheit nicht natürlich gegeben ist, sondern warenförmig hergestellt und befriedigt wird. Unsichere soziale Verhältnisse sind grundlegend für die kapitalistische Produktionsweise und erzeugen somit einen Wunsch nach Sicherheit.
Ins Abseits gedrängt.
Der Fokus auf unliebsame, unschöne soziale Phänomene anstatt auf konkrete Bedrohungen ist kennzeichnend für städtische Sicherheitsdebatten. Die formelhaften Begriffe Sicherheit und Sauberkeit rechtfertigen schließlich eine Politik der Ausgrenzung, die sich klar gegen Personen und Gruppen richtet, die bereits ins gesellschaftliche Abseits gedrängt wurden. Der Ideenreichtum ist dabei vielfältig und erstreckt sich von der Umgestaltung von Bänken, auf denen man nicht schlafen kann, bis hin zum Bettelverbot und einer damit einhergehenden Ausgrenzung aus dem informellen Arbeitsmarkt. Ziel ist dabei immer die Herstellung einer Norm, die kein Abweichen zulassen soll. Wesentlich ist, dass sich die beschriebenen Diskussionen um Sicherheit nicht nur auf die Wiener Linien beschränken, sondern auch im größeren städtischen Kontext geführt werden: Wie über Sicherheit, Bedrohung und zu Schützende gesprochen wird, regelt schließlich, wie öffentliche Räume genutzt werden dürfen. Und welche Verhaltensweisen – und damit de facto Personen – verboten werden sollen.
Kooperation: Autor_innen der Zeitschrift juridikum. Zeitschrift für Kritik – Recht – Gesellschaft bereiten aktuelle Rechtsfragen für den AUGUSTIN auf. Die Langversion dieses hier adaptierten Textes ist in der aktuellen Ausgabe des juridikum zu lesen. Das juridikum gibt’s vier Mal im Jahr – die Nullnummer erschien 1989. www.juridikum.at