Sichtbarkeit für wenig GesehenesArtistin

Preis der freien Szene Wiens 2018: Räume als Politikum

Unabhängige und selbstverwaltete Kunst und Kultur ist meistens prekär produziert. Die IG Kultur, die sich für bessere Bedingungen einsetzt, vergibt darum am 18. Oktober wieder den Preis der freien Szene. Sichtbarkeit, ­Vernetzung und Ankerkennung sind die Stichworte. Veronika Krenn (Text) hat sich die eingereichten Projekte angeschaut.

Ameisen als organisierte Gemeinwesen sind Julia Bugram Inspiration für ihr soziokulturelles Kunstprojekt. Die Künstlerin arbeitet mit bunten, aus Mais hergestellten, kompostierbaren Ameisen, um Vernetzung im Gemeindebau zu fördern. Diese wachsen, mithilfe der Bewohner_innen des Sandleitenhofs, in einer Gemeinschaftsarbeit künstlerisch zu Ameisenstraßen zusammen. Als sichtbare Zeichen markieren sie den öffentlichen Raum und befruchten Gesprächsanreize unter den Menschen im Grätzl. Die Arbeit von Julia Bugram ist eine der 60 Einreichungen zum Preis der freien Szene Wiens 2018, der am 18. Oktober im rhiz vergeben wird. Der Preis ist mit 3.000 Euro dotiert, dazu winken zwei Förderpreisen zu je 2.000 Euro, mit deren Hilfe die IG Kultur Wien die freie Szene ins Licht rückt und Vernetzung befruchtet.

Ins Gespräch kommen.

«Wir sind im Preisfieber», erzählt Irmgard Almer, die Geschäftsführerin der IG Kultur Wien und hält den Katalog in ihren Händen, in dem alle Projekte ihren Platz finden und der als wesentliches Tool dient. Um die Szene abzubilden, auf sie aufmerksam zu machen, «auf ein Spektrum, das generell marginal Sichtbarkeit hat». Einmal im Jahr solle diese Szene an der Rampe stehen: «Bei der Preisvergabe lancieren wir politische Themen: Diesmal geht es um Räume – Raum in der Stadt braucht politische Unterstützung – und auch um die Clubszene.» Stadt ohne Räume? Un/abhängige Kulturräume in Wien und die Rolle der Stadtpolitik lautet der Titel, unter dem das Ganze steht. Mit Politiker_innen ins Gespräch zu kommen, ist zentrales Programm, deshalb sollen bei der Verleihung im rhiz auch Martin Margulies (Grüner Sprecher für Budget und Kultur) und Claudia Weinzierl (Referentin für Stadtteilkultur und kulturelle Vermittlung der Stadt Wien) am Podium sitzen. Natürlich, die Verleihung ist auch ein Event, schmunzelt Almer, musikalisch sorgt Fraufeld/Fieldwork Miniensemble für Stimmung, ab 22 Uhr ist Party mit Fatalismus Spunk angesagt.

Politik, Performance, Plastik.

Die eingereichten Projektinitiativen sind wie ein Strauß bunter Blumen: Sei es das Austrian Filmfestival, das in Wien Werkschauen österreichischer Filmemacher_innen zeigt und viele der Filme erstmalig nach Österreich bringt. Oder der ART Award 2018, der mit 1.000 Euro pro Kategorie dotiert ist. Mit dabei etwa auch das Vienna Improvisers Orchestra, das zum Singen einlädt, Dada Zirkus, antifaschistisches Ballett genauso wie eine Ausstellung, in der es um das Gesetz des Gemeinwohls geht, und eine Arbeit, die zu «queer altern» forscht. Dann wieder ein Gartenprojekt im Andreaspark in Wien Neubau (Pauls Garten), das dem Spannungsverhältnis zwischen Stadtplanung und Armut, Marktmechanismen und Ausgrenzung nachspürt. Es sind politische, genauso wie auf den ersten Blick unpolitische Projekte, in der ganzen Palette der Spielformen – Theater, Tanz, Performance, Ausstellung, Festivals, Konzerte oder einfach Räume mit Mission, ein Offspace, um Künstler_innen mit Städter_innen zusammenzuführen und vieles mehr. Die Inhalte spiegeln die vielen Facetten des Lebens wider, wenn es etwa um Die Fremden, eine Gruppe theaterschaffender Migrant_innen geht, die 25 Jahre politische Arbeit feiert und ihre Spielfreude an (gefühlter bzw. von anderen konstruierter) Sprachlosigkeit entfaltet. «Menschen, die ihrer Muttersprache, ihrer Ursprungsheimat und ihrer Ursprungskultur beraubt sind, fühlen sich einsam und sprachlos. Dies steht jedoch häufig im krassen Widerspruch zu dem Bedürfnis, viel von sich zu erzählen …», schreibt die Gruppe über sich. Die Künstlerin Eva Winter wiederum macht «Recycling Kunst» aus PET-Flaschen und Plastik. Sie baut Installationen, um von den Schattenseiten dieser heute inflationär verwendeten Produkte zu erzählen, die sonst als Müll nahezu unverrottbar die Welt füllen. Die Gruppe Hor 29. Novembar ist mit dem Projekt Kollektive Anordnung von unten – Politische Lieder von der Straße bis zum internationalen Festival musikalisch unterwegs, während [kat]lab an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft operiert.

Preis ohne viel Budget.

Den Preis gibt es seit 2004, damals hieß er noch Innovationspreis. Das Budget sei weiter niedrig, sagt Almer, die Kosten für den Katalog müssten über zusätzliche Gelder gedeckt werden. Deshalb hoffe man auf eine Erhöhung der Förderung. Der Plan sei gewesen, die Preisvergabe «anders» zu machen: «Es war ein Versuchsfeld, klassische Juryvergabe war gescheitert.» Seit 2005 gibt es daher ein partizipatives Verfahren, bei dem neben den IG-Mitgliedern (vor allem Initiativen und Vereine) auch die Einreichenden selbst mitwählen. Die IG empfiehlt den Künstler_innen, falsche Bescheidenheit abzulegen und sich selbst an erste Stelle zu stellen, oft sei das Rennen haarscharf. Das eigene Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, ist etwas, dass der gesamten freien Szene guttut. Darum: Scheinwerfer und Sound hochfahren – für den Preis der freien Szene Wiens 2018. Denn diese hat es sich verdient, gesehen zu werden. Und: Der AUGUSTIN ist auch heuer wieder Medienpartner!