«Sie gehen jetzt. Weil ich es sage»Artistin

In der Republik Kugelmugel ging es um die Freiheit der Kunst

Im März 2016 hat sich in Wien eine Schar unterdotierter Kunstschaffender und Kulturinitiativen zusammengerottet, um unter dem Schirm der «IG Kultur Wien» und dem Motto «Eine andere Kulturpolitik ist nötig» ihren Unmut, ihre Verzweiflung und ihre Forderungen in fünfzehn offenen Briefen an Politik und Administration zu formulieren. Einer dieser Briefe kritisierte die bürokratischen Schikanen gegen künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum. Der Absender ist Journalist und Künstler_innen-Agent Erich Félix Mautner. Robert Sommer fasst zusammen.

Foto: Hannes Wolf 

Im sogenannten öffentlichen Raum finde ein wesentlicher Teil der Kunst statt. Er werde verwaltet, als wäre er Eigentum von Behörden oder wie im Falle von Plakatwänden, von politischen Parteien. Jede künstlerische Intervention im Park oder auf der Straße erfordere einen hoheitlichen Gnadenakt, heißt es in dem Brief, der wie alle 14 andere an den Bürgermeister, die Vizebürgermeisterin und den Kulturstadtrat adressiert waren.

Zur selben Zeit, als der Brief verfasst wurde, gab es eine Perfomance des Tänzers Daniel A. im Bereich zwischen Rathaus und Kulturamt. Daniel A. protokolliert später: «Argumentativ war kein Weiterkommen – die Diskussion endete beim persönlichen Ermessen der jungen und vielleicht etwas übereifrigen Beamten, die sich selbst mit dem Gesetz verwechselten und von denen einzelne mit hoher potenzieller Gewaltbereitschaft agierten, die nur schwer zu deeskalieren war. Streitpunkt blieb die Frage, ob ich als Tänzer eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstelle, den Verkehr gefährde und auch mich selbst und also zu meiner eigenen Sicherheit vom Ort weggebracht werden müsse. Ich wies auf mehrere Passanten hin, die gerade auch den Streifen benutzten, um klar zu machen, dass dies hier ein Teil des öffentlichen Raumes sei. Es endete mit der Begründung: Sie gehen jetzt, weil ich es sage – oder wir wenden Zwang an!»

Für jede Regung im öffentlichen Raum, so Erich Félix Mautner, gibt es Verbote – es sei denn, eigens eingeholte Ausnahme-Genehmigungen erlauben der Öffentlichkeit ein bisserl öffentlich zu sein. Für junge, bisweilen spontane Kunstschaffende ist das besonders schmerzlich. Dabei gebietet der §17a StGG (Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.) den rechtlichen Auftrag, Kunst auch außerhalb der Elfenbeintürme nicht zu verbieten.

Absurde Auflagen für Straßenmusik und -theater

Die Bürokratie dürfe nicht über die Kunst bestimmen, ist der Tenor des Briefes: «Mit der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums ist eine Verdrängung jener Personengruppen verbunden, die geringere finanzielle Ressourcen haben oder Straßen und Plätze alternativ zum konsumorientierten Angebot nutzen. Die Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes bildet die Basis einer solidarischen Gesellschaft. Um nichtkommerzielle Veranstaltungen in Parks zu ermöglichen, braucht es Pavillons mit Wasser- und Stromzugang. Um die Organisation und Ankündigung von gemeinnützigen Veranstaltungen zu erleichtern, ist es nötig, den bürokratischen Aufwand zu reduzieren, infrastrukturelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die Plakatierfreiheit wieder einzuführen. Ebenso müssen die Auflagen für Straßenmusik und -theater reduziert werden.»

Die Spitze des Skandals sei jedoch, dass immer, wo etwas nicht ausdrücklich verboten ist, wo es keine Paragraphen gegen die Kunstausübung gibt, jeder Exekutivbeamte einen Grund zum Eingreifen, Verbieten und Festnehmen in Sekundenschnelle erfinden könne. Dann drohe die Bestrafung der Verletzung der «Öffentlichen Ordnung», wegen «Anstandsverletzung», «Aggressiven Verhaltens» usw. In jenen Fällen, in denen Polizisten ihre Macht mit Ermessensspielraum aufdoppeln dürfen, sei der Rechtsstaat schon ausgehebelt.

Mautner hatte parallel zu seinem Offenen Brief zu Vortrag und Diskussion in das wohl interessanteste begehbare Kunstwerk Wiens, in die «Republik Kugelmugel» in der Leopoldstadt geladen. Kugelmugel ist selbst ein Beispiel für die «Routine», mit der Behörden mit Kunst in der Öffentlichkeit umgehen. 1971 hatte der aus Vorarlberg stammende akademische Maler Edwin Lipburger (gestorben 2015) in der niederösterreichischen Gemeinde Katzelsdorf, Bezirk Wiener-Neustadt, auf einer Wiese ein Kugelhaus errichtet. Und zwar auf einem winzigen, hügeligen Grundstück, das er von einem Landwirt gekauft hatte. Für die Kugel als Haus fehlte ihm die Baugenehmigung. Als Kunstwerk war es eine begehbare Skulptur und ein Dorn im Auge der niederösterreichischen Beamtenschaft. Weil offenbar nicht sein darf, was nicht sein kann, weil es solches zuvor noch nicht gegeben hatte.

Statt den behördlichen Verordnungen nachzukommen, entzog Lipburger sich ihnen, indem er seinen eigenen Staat gründete. Im Frühjahr 1976 rief er das Gebiet um sein Haus zur «Unabhängigen Republik Kugelmugel» aus. Nach und nach erschuf er viele Insignien einer richtigen Stadt. Er konstruierte Straßenschilder und Ortstafeln, die den offiziellen ziemlich ähnlich waren, und handelte sich damit gleich wieder Ärger mit den Behörden ein. Akribisch hat der österreichische Künstler seine Republik konstruiert und dabei sogar an Briefmarken gedacht. Auf denen prangt das Konterfei eines anderen großen Österreichers: Thomas Bernhard. Der «bilaterale» Konflikt mündete in ein Anrücken einer Hundertschaft Gendarmen, um Kugelhaus und Territorium Kugelmugel zu stürmen. Der Wiener Kulturstadtrat Helmut Zilk bot Lipburger später eine Übersiedlung des Kunstprojektes nach Wien an, wo das Kugelhaus nun im Prater, von der Öffentlichkeit eher versteckt als gewürdigt, steht.

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