Sie können ja den Freitod wählenDichter Innenteil

Aus der Niederschrift des Gefangenen Franz Schmidt (1)

Wenn die Justiz ein schlechtes Gewissen bekommt, empfiehlt sie ihrem Opfer den Selbstmord. So jedenfalls liest es sich in den Memoiren des Franz Schmid. Es ist aber nicht die einzige Unglaublichkeit in seiner Leidensgeschichte.In diesen Indizienprozess fehlten nicht nur die Indizien, es gab überhaupt keinen Grund, eine Anklage zu erheben. Die Indizien, die vorgezeigt wurden, wurden hinterher vernichtet, weil sie einer Überprüfung nicht standgehalten hätten.

Der Fallfehler gehört zu ihm. Seine Sprache ist so unraffiniert wie dieser geradlinige Mensch selbst, der es unter den tristesten Voraussetzungen zum weithin begehrten Kunsthandwerker gebracht hatte. Ohne die Treue seiner Familie und ohne seine Liebe zum Beruf wäre er zerbrochen, weiß er. 53 Jahre hinter Gittern, die letzten 23 davon ohne jede Schuld, die kann man ohne festen Halt nicht überstehen. »80 Zentimeter breit ist mein Wohnzimmer, wenn man den Raum, den die Möblage einnimmt, von der Gesamtbreite abzieht.« Die Arme in jede Richtung ausstrecken, das kann er nur in der Gefängniswerkstatt wenn es gerade Arbeit gibt. Arbeit hilft zu überleben. Ein Überleben, das vom Gericht gar nicht vorgesehen war, wie seiner Niederschrift zu entnehmen ist.

Der Vorsitzende (Name von der Redaktion entfernt), der den Prozess in der Mordsache Reiter geführt hat, machte mir nach dem Urteilsspruch den Vorschlag: Sie können ja den Freitod wählen, dann ersparen sie sich das Strafeverbüßen.

Ob er keine Angst habe, sich zu schaden, wenn er Namen nenne? Nein, im Gegenteil. Es gehe ihm nicht um seine Person. Ob er vor seinem Tod noch freikomme oder Privilegien verliere oder gewinne, sei zweitrangig. Sein einziges Ziel sei die Wahrheit, und zwar die volle Wahrheit. Dazu gehöre das rückhaltlose Bekenntnis seiner eigenen Verfehlungen, aber auch die ungeschminkte Wahrheit dessen, was ihm angetan worden sei und von wem. Diese Wahrheit sei das einzige Vermächtnis, das er seiner Familie hinterlassen könne, seiner Frau, seinen Kindern und Enkelkindern. Die Glaubhaftigkeit seiner Unschuld wäre die Rechtfertigung der lebenslangen Treue, die seine Angehörigen ihm erwiesen haben. Das sei sein einziges Ziel.

Warum er so lange zugewartet habe? Habe er gar nicht. Man habe schon einmal das Geld für einen Anwalt zusammengekratzt, der versucht habe, die Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen. Es sei aber am Widerstand der zuständigen Stellen gescheitert. Der damalige Justizminister persönlich habe den Standpunkt vertreten: Das Ansehen der Justiz sei wichtiger als das Schicksal eines Einzelnen.

Eine zeitweilige Selbstreinigung wäre dem Ansehen der Institution bestimmt dienlich. Der Fall Franz Schmid könnte einen starken Impuls dazu liefern.

Wir werden für das Würmerl einen Platz finden

Am 24. Februar 1930 kam ich bei einer Schwester meiner Mutter, die bei einen Bauern als Dienstmagd in Weissenkirchen bei Frankenmarkt bis 3 Wochen vor ihrer Niederkunft gearbeitet hat, zur Welt. Meine Mutter, eine ledige Dienstmagd, musste ihr Dienstverhältnis bei dem Bauern, bei dem sie in Dienst war, lösen, denn er wollte keine Magd mit einen ledigen Kind Zur damaligen Zeit war es ja so schon ein Verbrechen, wenn eine ledige Frau ein Kind bekam. Eine solche Person hatte wenig oder gar keine Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, eine Bauernmagd schon gar nicht!

Aber auch die Schwester meiner Mutter gab ihr zu verstehen, dass sie mit mir nicht bei ihr bleiben könne, denn sie müsse selber schauen, wie sie durchkomme. Meine Mutter hatte noch eine weitere Schwester, die in Röth bei Weissenkirchen verheiratet war und auch 3 Kinder hatte. Nachdem die erste Schwester meine Mutter hinausgeschmissen hatte, zogen wir zu Ihrer zweiten Schwester, wo ich für die Zeit meines ersten Lebensjahres verblieb.

Aber nach diesem einen Jahr wurde es auch der zweiten Schwester meiner Mutter zu viel und sie legte meiner Mutter nahe, sich um einen Platz für mich umzuschauen. Dazu kam noch, dass meine Mutter um keinen Preis der Welt zu überreden war, bekannt zu geben, wer der Vater sei! Ich habe meinen Vater bis heute nicht kennen gelernt, denn meine Mutter hat auch mir nie gesagt, wer der Vater sei.

Nachdem die Schwester meiner Mutter zu ihr sagte, sie müsse sich um einen Platz für mich umsehen, ging sie kurz entschlossen auf die Gemeinde, legte mich auf den Tisch und sagte: Da habt’s mein Kind, ich weiß nicht mehr, wohin mit ihm! So sagte der Bürgermeister: Du hast ja auch gewusst, dass du mit einem ledigen Kind keine Arbeit mehr bekommen wirst! Wer ist denn der Vater des Buben? Soll sich doch der darum kümmern! Also wer ist der Vater? Darauf meine Mutter, das sag ich nicht! Jedenfalls das Kind lass ich hier! Ich weiß nicht, wohin mit ihm! Ich kann nicht mehr. Nimm das Kind wieder mit, ich werde mit meinen Amtskollegen reden und wir werden für das Würmerl einen Platz finden.

Was wie die klassische weihnachtliche Herbergssuche beginnt, wird zu einer Odyssee durch ein Stück Zeit- und Justizgeschichte voller Einblicke in einen Rechtsapparat, dessen eigener Unfehlbarkeitsanspruch ihn zu einer Maschine macht, die eher bereit ist, Existenzen zu vernichten und über Generationen weiter zu bedrohen als Kurskorrekturen vorzunehmen.

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