«Sie waren doch so gut integriert …»tun & lassen

Ein Aufschrei ging durch die Zivilgesellschaft in Anbetracht der Abschiebung von Tina und ihrer Familie nach Georgien am 29. Jänner. Das ist gut. Weniger gut ist das zentrale Argument, mit dem man die Abschiebung verhindern wollte.

Kommentar: Richard Schuberth

Alexander van der Bellen verstand die Welt nicht mehr: «Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist.» Wer hier in Sprache mehr sieht als das Dekor braver Gesinnung, wird es nicht als semantische Spitzfindigkeit abtun, den Bundespräsidenten zu fragen, in welcher Form er es denn für notwendig hielte.
Auch er wiederholte jene Floskel, die in den Sozialen Medien rauf und runtergebetet wurde und Öl ins Feuer der Empörung goss: «Es gibt keine zwingende rechtliche Verpflichtung zur Abschiebung von Schulkindern, die hier in Österreich aufgewachsen sind und gut integriert sind.» Das ist richtig und human gedacht. Und die Absurdität des sich dieser Tage brutalisierenden Abschieberegimes, mit dem die Regierung ihre coronabedingt abtrünnigen rechten Wähler_innen bei der Stange halten will, mag sich bei hier aufgewachsenen Jugendlichen, eingebettet in funktionierende Netzwerke aus Freundschaften, Jobs und Nachbarschaft, besonders schmerzlich aufdrängen. Beim konkreten Engagement für Asylwerber_innen wird man aus taktischen Gründen selbstverständlich die Integriertheit der gefährdeten Personen ins Treffen führen und sich dennoch fragen müssen, ob die Qualifikation «bestens integriert» als Argument dafür, Menschen nicht abzuschieben, nicht ein grober moralischer wie kognitiver Fehler ist.
Denn es suggeriert leider auch, dass «weniger gute Integration» (was immer das heißen mag) eine Abschiebung irgendwie nachvollziehbarer macht. Nolens volens unterschreibt man damit nicht nur die Hierarchien der moralischen Österreichtauglichkeit von Migrant_innen und geflüchteten Menschen, sondern tappt auch in die Falle, den ideologischen und höchst kritikwürdigen Begriff der Integration zu akzeptieren, und konkret: es irgendwie schlüssiger zu finden, junge Afghanen mit schlechten Deutschkenntnissen, die keine Innenstadtklassengemeinschaft und kein Falter-Abo vorweisen können und – kriegstraumabedingt oder nicht – sich nicht immer vorbildlich benehmen, in die Talibanhölle oder ins Slum zurückzuschicken, oder die Kopftuch tragende Wiener Friseuse für weniger «integriert» zu halten als den auf die Praterwiesen kotzenden Lederhosensteirer.

Das Märchen der Wertegemeinschaft.

Nun ist es weder rassistisch, mit diskutierbaren Argumenten das Kopftuch zu kritisieren, noch, den volkstümelnden Heimatmief abzulehnen. Der Rassismus beginnt erst dann, wenn der Staat unsere aufklärerischen Argumente gegen Konservatismus dazu missbraucht, die Marginalisierung von Migrant_innen zugunsten heimischer Konservativer zu rechtfertigen.
Wer Integration zum Maßstab der «Aufenthaltsberechtigung» hier lebender Menschen macht, übernimmt die Sprachregelung derer, welche die hunderten Antagonismen, die Gesellschaft zwingend ausmachen, mit dem uralten Märchen der Wertegemeinschaft kaschieren, das den Zugang zu ihren ungleich verteilten Gütern regelt. Integration, die Frage, wer warum worin integriert wird, bleibt zwingend undefiniert und kann nach Belieben ihre Gewichtungen ändern, denn ihre vordringliche Funktion ist nicht ihr Inhalt, sondern die Choreographie von Ein- und Ausschluss. Ohne Umschweife bezeichnen das Eva Maria Bachinger und Martin Schenk in ihrem gleichnamigen, sehr lesenswerten Buch als «Integrationslüge»: «Die Integrationslüge verschluckt die wichtigen Fragen, die hinter den Konflikten stecken: Bildung, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Wohnen, Menschenrechte, soziale Rangordnungen, sozialer Abstieg, Ohnmacht, Anerkennung.»

Barbarische Frotzelei.

«Der Schrei nach Integration der Desintegrierten», schrieb ich vor einigen Jahren, «nicht als freundliche Serviceleistung, sondern Drohung, ist sozialpsychologisch (…) immer der verhohlene Ausdruck der eigenen Desintegration. Nur wer in seinem Kern unsicher ist, muss die Grenze nach außen sichern. Das ist die Wahrheit: Die Menschen kennen das Märchen vom gemeinsamen Haus der Gesellschaft, je qualvoller sie dessen Falschheit spüren, desto lauter müssen sie dessen Richtigkeit proklamieren. Je imaginärer das kollektive Eigene ist, desto drastischer muss das Fremde erfunden werden, und darf man es (noch) nicht vernichten (weil es Zerrbilder der eigenen Abwertung vor Augen führt), so muss man es zumindest bei jeder sich bietenden Gelegenheit bevormunden, abwerten, disziplinieren.»
Lasst uns also damit aufhören, im Kampf gegen die Macht deren Sprache zu sprechen, oder wie es die Wiener Journalistin Marija Barišić dieser Tage ausdrückte: «Wer also die ‹gelungene Integration› als Argument gegen derartige Abschiebungen anführt, spielt einer diskriminierenden Erzählung in die Hände. Einer, die uns vermittelt, dass es ‹gute› und ‹schlechte› Migrantenkinder gibt. Solche, die eine unbeschwerte Kindheit mehr verdienen als andere, nur, weil sie es schaffen, den Erwartungen gerecht zu werden, die die Mehrheitsgesellschaft an sie stellt.»
Was der unterschiedliche Grad an Integration freilich lehren kann: dass er letztlich nichts nützt und die Unterwerfung unter die disziplinierende Schikane der Integriertheit den rassistischen Staatsapparat, wie die gewaltsame Entfernung von Tina und ihrer Familie zeigt, mitnichten daran hindert, Exempel seiner menschenfeindlichen Allmacht zu statuieren, und – mit einem Wort – eine barbarische Frotzelei ist. 

Foto: picture alliance / AA – über Pro Asyl

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