Siechtum wird fortgesetzttun & lassen

Steuerinitiative für gerechtere Verteilung des Reichtums beobachtet ÖGB von innen:

Die Gründungsmitglieder der überfraktionellen Steuerinitiative im ÖGB sind Funktionäre aus unterschiedlichen Gewerkschaften und Fraktionen des ÖGB. Ihr gemeinsamer Nenner: Sie halten eine Änderung des Steuersystems für das zentrale Mittel, um eine gerechtere Verteilung des gesamtwirtschaftlichen Reichtums in unserer Gesellschaft zu erwirken. Ihrer Website www.steuerini.at entnehmen wir den enttäuschten Kommentar zum vergangenen ÖGB-Kongress und setzen damit das ÖGB-Watching fort, das Lutz Holzinger im Augustin Nr. 194 einleitete.Der Bundeskongress hat einige positive Neuerungen gebracht: verstärkte Einbeziehung der Frauen in den Gremien, Ausbau der Finanzkontrolle, Erprobung von Elementen der direkten Demokratie. In der Hauptsache aber war der Kongress ein Misserfolg und deshalb wird sich das Siechtum des ÖGB in den nächsten Jahren fortsetzen. Der ÖGB hat schon seit einiger Zeit seine ideologische Geschäftsgrundlage verloren und es gibt keine Anzeichen, dass er in absehbarer Zeit eine neue erfolgreiche ideologische Ausrichtung findet. In der Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer(Ausbildung, Beruf, Pension, Gesundheitswesen) haben die Gewerkschaften weder eine klare Strategie (was sie in welcher Zeit mit welchen Mitteln erreichen wollen) noch eine geeignete Taktik (wie sie zum jeweiligen Zeitpunkt die Einzelschritte setzen). Außerdem ist die personelle Erneuerung nicht gelungen. Die alten Verwalter, sofern sie nicht in Pension sind oder vor Gericht stehen werden, sitzen wieder in den führenden Gremien (Trotz der beiden spektakulär fehlgeschlagenen Kandidaturen bekleiden die Betroffenen noch immer hohe Positionen).

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war die ideologische Geschäftsgrundlage des ÖGB die Sozialpartnerschaft. Der Wiederaufbau von Wirtschaft und Staat unter den Schutzgesetzen einer (vom räuberischen und Menschen vernichtenden Weg der Nationalsozialisten) ernüchterten Gesellschaft hat auch den ArbeitnehmerInnen einiges gebracht. Das war die Strategie der Sozialpartnerschaft.

Mit dem Eintritt in die EU und dem Aufkommen des Neoliberalismus hat sich die Lage grundlegend verändert. Der Kern der heutigen Sozialpartnerschaft ist strategisch eine Umverteilung von unten nach oben und taktisch das Ruhighalten der ArbeitnehmerInnen durch kleine Verbesserungen, frei nach dem Motto: Es könnte ja noch schlechter kommen. Den ideologischen Schutzschild der Neoliberalen (auch in der Sozialpartnerschaft) gibt das Totschlagargument der Globalisierung ab.

Für 35 Stunden in der Woche!? Für 12 Stunden am Tag!?

In dieser Szenerie schwankt der ÖGB halt- und hilflos! Die Gewerkschaften haben seit ihrer Gründung einen weiten Weg zurückgelegt: von einer kämpfenden Organisation der Arbeitnehmer zur menschlichen Kraft. Unter diesem Titel schreibt der alte und neue Präsident Hundstorfer einen Gastkommentar im Kleinformat des bekannten Milliardärs (Ausgabe vom 23.01.07). Darin gibt er auch gleich eine Kostprobe seiner wirtschaftspolitischen Flexibilität. Er will unter anderem kürzere Arbeitszeiten für mehr Arbeitsplätze (und meint damit wohl die ÖGB-Forderung nach der 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich, Anmerkung der Verfasser). In seiner treuherzigen Art hat er vergessen, dass er im Rahmen eines Sozialpartnerabkommens bereits einer grundsätzlich möglichen Ausweitung des Arbeitstages auf zwölf Stunden zugestimmt hat. Und das bedeutet neben dem gesundheitlichen Raubbau auch die Möglichkeit einer geringeren Bezahlung mit Hilfe einer entsprechende Durchrechnung.

Natürlich ist klar, dass unter den Bedingungen der jetzigen Form der Globalisierung die Gewerkschaften nicht einfach einen Streik nach dem anderen durchführen können. Die heutige Lage erfordert Aufklärung über den grundsätzlichen Gang der Dinge (stark wachsender Reichtum der Gesellschaft), Möglichkeiten der Veränderung(wie Umverteilung durch andere Steuerpolitik, Gesetze zum Schutz der Menschen und zur Zähmung des großen Kapitals) und Wege der Durchsetzung (lang andauernde, gründliche Aktionen in Einheit mit anderen Organisationen und gegebenenfalls die Abhaltung von Volksabstimmungen). Anders gesagt, die Gewerkschaften müssten aufzeigen und vormachen, wie der wachsende Reichtum der Gesellschaft durch politisch demokratisches Handeln der Mehrheit der Menschen (auch in der EU) eben dieser Mehrheit zu Gute kommen kann.

Dazu ist der ÖGB seit Jahren nicht mehr imstande. Ein wesentlicher Grund liegt in dem Umstand, dass Weggefährten des Neoliberalismus auch im ÖGB an den Schalthebeln der Macht sitzen. Der BAWAG-Skandal ist geradezu ein Musterstück neoliberaler Umverteilung. Und er ist keineswegs nur das Werk von Dreien, die vom Weg der Solidarität (mit entsprechenden persönlichen Vorteilen) abgekommen sind. Jedermann, der in einer großen Firma arbeitet, weiß, um einen Konzern zu ruinieren (und die BAWAG und der ÖGB ist ein Konzern), bedarf es eines Netzwerkes an den Schalthebeln der Macht. Dieses Netzwerk muss nicht nur das Schurkenstück organisieren helfen (zumindest in dem Sinn, dass es leider nichts bemerkt), sondern vor allem ein Betriebsklima schaffen, das die notwendigen und zufälligen Mitwisser so entmutigt, dass sie den Ungereimtheiten nicht nachgehen und die Sache auffliegen lassen. Dazu ist ein Klima diffuser Angst notwendig und das wirkt, indem die ersten Kritiker niedergebügelt und kaltgestellt werden und solcherart weitere bohrende Nachfragen verhindert werden.

Bei ÖGB-Kongressen ist die Hälfte der Delegierten nicht im Saal

Heute geben alle führenden GewerkschafterInnen (inklusive derer, die seit Jahren in der Führung sitzen) zu, dass im ÖGB jahrelang vieles falsch gelaufen ist und sie sprechen von der Notwendigkeit eines lang andauerndem Reformprozesses. Die Basis hat sie nie gehindert, rechtzeitig die notwendigen Reformen in Gang zu setzen. Leider haben sie nichts gewusst, nichts bemerkt! Wenn das stimmt – was befähigt sie dann heute wieder obenauf zu sitzen? Wie kann das Nichtwissen und Nichtmerken zu einer entscheidenden Qualität ihres Führungsanspruches werden? Die Antwort ist einfach: Während die Basis mit offenem Mund den ökonomischen Zusammenbruch des ÖGB erlebt, haben sie flink in aller Stille ein neues Netzwerk aufgebaut. Weil sie in der Führung sitzen, haben sie einen erheblichen Machtvorsprung bei der Neuverteilung der nun noch knapper gewordenen Mittel. So funktioniert ein Netzwerk: Wer dabei ist, gehört zu den Gewinnern! Also versucht man selber dabei zu sein und andere fern zu halten.

Bei ÖGB-Kongressen ist traditionellerweise die Hälfte der Delegierten während der Debatten nicht im Saal. Wozu auch? Die Mehrheiten sind organisiert, die Minderheit der KritikerInnen soll sich aussprechen – das ergibt ein schönes Bild der demokratischen Tradition!

Es ist höchste Zeit, dass die Umstände und die Methoden, mittels derer auf allen Ebenen der Gewerkschaft Delegierte ausgewählt werden, einer genauen Prüfung unterzogen werden. Ein weiterer wichtiger Grund für die Lähmung der potentiellen Kraft des ÖGB ist die jahrelange Desinformation in allen Gewerkschaftsmedien und Gremien. Die Erfolge wurden aufgeblasen, die Misserfolge klein geredet oder verschwiegen. Grundlegende Analysen der Lage und daraus folgende notwendige Strategiedebatten wurden nach Möglichkeit verhindert oder behindert. Das ist auch der Grund, warum sich so wenige Mitglieder bei der Aufarbeitung des BAWAG-Skandales zu Wort gemeldet haben. Die meisten waren empört, aber auch verwirrt, und die besser Informierten merkten bald, dass der Wind wieder aus der alten Richtung weht und resignierten.

Was soll man nun tun? Auf keinen Fall soll man warten, ob und bis die Führung von oben einen Aufschwung der Gewerkschaften zustande bringt! Die Basis, wir müssen es schaffen. Wenn uns zuwenig geholfen wird, dann müssen wir uns selber helfen. Die Betriebsräte können ihre eigenen Medien aufbauen (Betriebszeitungen, Flugblätter, Internet) sowie geeignete Medien in Anspruch nehmen. Sie und andere Mitglieder sollen zu den Veranstaltungen der Gewerkschaften gehen, dort mitreden, Vorschläge machen und gleich auch selbst die Umsetzung in die Hand nehmen. Eine gründliche Analyse der Situation und eine erfolgreiche Strategie der Verwirklichung von gefassten Beschlüssen erfordert qualifizierte Information, Beratung und Partnerschaft in der Aktion.

Deshalb sollten wir uns auch an andere NGOs (Nichtregierungsoranisationen) wenden. Auf allen Feldern der Gesellschaft gibt es Organisationen, die für das Wohlergehen der Menschen arbeiten und die wertvolle Fähigkeiten angehäuft haben. Von ihnen wird so manches vorangetrieben, wofür sich früher Gewerkschaft und Sozialdemokratie verantwortlich gefühlt haben. Ein breites Netzwerk der Zivilgesellschaft kann eine Einheit und Kraft der Aktion erreichen, die das neoliberale Netzwerk von oben überwinden kann! Der ÖGB muss reformiert werden. Am ehesten kann er von unten her reformiert werden.