Mit Nastija Fijoličs Fotografien lässt sich antrainiertes Schönheitswissen verlernen
Sieh mich an, und du wirst sehen – dass Schönheit etwas Subjektives ist. In Nastija Fijoličs Fotoausstellung werden Körperbilder herausgefordert. Auch die von Lisa Bolyos.
Foto: Nastija Fijolič
«Es scheint, dass die meisten Menschen Stereotype veraltet finden, aber je mehr ich mir die Menschen ansehe, ihre Meinungen höre, desto mehr scheint mir, dass das Gegenteil der Fall ist.» Nämlich, dass eine ganze Generation herangewachsen ist, die kritisch zu sagen weiß, dass Schönheitswahn und Körperregulierung bäh sind, aber die Praxis sieht dann doch ganz anders aus. Selber schön sein wollen, ist die Devise, und «schön» ist dabei nur Synonym für «normiert».
In einer biographischen Notiz der Künstlerin liest man: «Ich koche nicht gern. Ich liebe es, Party zu machen. Und wenn ich mich unter die Leute mische, wünsche ich mir am meisten, dass sie mit solchen Kommentaren aufhören würden wie z.B.: ‹Du bist so cool, dass du dich rauswagst. Wenn ich im Rollstuhl wäre, dann würde ich mich sicher nicht wagen.›» Nastija Fijolič, die in der Slowakei Fotografie studiert und jahrelang schon als Fotografin tätig ist, stellt mit ihrem Bildzyklus «Sieh mich an, und du wirst sehen» Schönheit zur Disposition – und fragt, was sie im Auge ihrer Betrachter_innen eigentlich für Kriterien erfüllen muss. «Beim Shooting hatten wir eine sehr gute Zeit. Für einige war es ganz normal, anderen war es peinlich. Und das ausgerechnet wegen unserer Ideale. Wenn du nicht dünn und 1,80 m hoch bist, denkst du dir, du kannst nicht vors Objektiv.» Kannst du aber. In Fijoličs Schwarzweiß-Fotografien («Schwarzweiß finde ich eleganter»), die «in zwei Tagen im Studio entstanden sind, und danach saßen wir noch vierzehn Tage an der Postproduktion», sieht man, was – erotische und nichterotische – Schönheit ausmacht: der Raum, der einem Körper gegeben wird, die Blicke, die eine Person treffen, und die, die sie zurückwirft, die Aufmerksamkeit, die einem Menschen zuteil wird. Eine Frau sitzt da mit dem Rücken zur Kamera, ihre Muttermale machen etwas Grafisches mit dem Bild; eine andere liegt mit ihrem kleinen Körper auf dem kleinen Sofa ausgestreckt, zufrieden mit ihrer eigenen Schönheit scheint sie dich anzuschauen: Na, was sagst? Ein Mann macht einen Kopfstand. Ein anderer, Tänzer mit muskulösem Oberkörper, gibt zu Protokoll: «Intimität ist nicht nackt sein, sondern einen Menschen zu sich lassen.»
Eigene Ideale entlarven
Die Assistenzgenossenschaft WAG, die die Fotoausstellung eingeladen hat, hat ihre Räumlichkeiten im dritten Bezirk in der Döblerhofstraße. Dort, wo der Dritte nichts vom räudigen Charme der ehemals dorfigen Simmeringer Hauptstraße hat und nichts vom derben Chique der Rochusmarktgegend, sondern sich nur Autobahnzubringergefühle breitmachen.
Dass Menschen sich tatsächlich noch auf ihren Beinen oder in ihren Rollstühlen fortbewegen, auch von Fahrrädern hört man munkeln, dürfte bei der Planung dieses Stadtteils nicht bekannt gewesen sein. Oder gleichgültig, weil das Stadtplaner_innengehalt einen flitzigen Familienwagen erlaubt. Die einzige Nahversorgung ist «Würstelmausi», ein Standl eingezwängt zwischen viel zu großen Bürogebäuden und einem urbanen Ausläufer der A23.
In der WAG wird man freundlich begrüßt, die Fotografien hängen an den Wänden der breiten Gänge und Vorräume der Büros. Die WAG ist eine Assistenzgenossenschaft, die vor 13 Jahren von Menschen mit Behinderung gegründet wurde. Selbstbestimmt leben mit Assistenz, wo und wie sie nötig ist, ist die Devise der WAGler_innen. Viele Leute mit, ein paar ohne Rollstuhl sind zur Vernissage gekommen. Die Fotografin beantwortet kurz und knapp ein paar Fragen, auch eines der Modelle ist dabei und erzählt vom Shooting, bei dem sie zum ersten Mal «like this» vor der Kamera gewesen sei. «Mit der Ausstellung haben wir die Vorurteile der Gesellschaft gegenüber Menschen, die anders und besonders sind, entlarvt. Genauer gesagt haben wir uns selber entlarvt», schreibt die Fotografin. Man versucht sich beim Betrachten der Fotografien selbst zu ertappen, aber man weiß nicht so recht, wobei: Die Bilder sind schön, die Fotografierten machen was her. Wo war jetzt noch mal das Problem? «Ich habe das Gefühl», schreibt Nastija Fijolič in einem Begleittext, «dass, wenn andere Leute dich im Rollstuhl sehen, sie sich immer fragen, ob du in der Lage bist, bestimmte Dinge zu tun, sich fragen, ob du Geschlechtsverkehr haben kannst, sie beschäftigen sich mit deinen Bewegungsmöglichkeiten.» Nebst dem ästhetischen Genuss guter Studiofotografie ist der Mehrwert ihrer Ausstellung, dass man das eingeübte Wissen darüber, wie ein Körper zu sein hat, ein bisschen verlernt.
«Sieh mich an, und du wirst sehen», bis 15. Juni, Mo.–Fr., 10–15 Uhr
WAG Assistenzgenossenschaft, Döblerhofstr. 9, EG, 1030 Wien