Sima sucht den U-Bahn-Startun & lassen

Straßenkunstsorgen in der Musikweltstadt Wien

Musik in der U-Bahn? Das klingt nach Weltstadt. Warum Wien es dennoch schafft, sich mit einer Straßenmusik-Kampagne lächerlich zu machen, haben sich Lisa Bolyos (Text) und Michael Bigus (Musiker_innen-Porträts) angesehen.

«Wovon wird handeln der Gesang / wohl von Verspätung, Schnee, Gestank / Gratiszeitung, Schweiß und Tschick / Darum dreht sich die Musik.» Auch der SPÖ-Politsatiriker Maximilian (Be)Zirkowitsch hat sich mittlerweile zu denen gesellt, die sich über die «U-Bahn-Stars»-Kampagne der Wiener Linien lustig machen. Im Frühjahr veröffentlichten die Wiener Linien ein Video, in dem Stadträtin Ulli Sima (ihre Ressorts sind Umwelt und Wiener Stadtwerke) zum musizierenden Volk spricht. Dass sie dabei wie eine schlecht ausgebildete Jugendzentrums-Animateurin wirkt, wäre ihr auf der Stelle verziehen, wäre die Causa, die sie vertritt, nicht ebenso peinlich. Was wird verlautbart? Dass sich «nur die Besten» in einem mehrstufigen Casting bei den Wiener Linien als Bahnsteigmusikant_innen bewerben könnten; weil, so Sima, akustische Gitarrenmusik das subjektive Sicherheitsgefühl steigert.

Subjektive Sicherheitsmusik.

Dass Kunst und Sicherheit miteinander verknüpft werden, ist nichts Neues. Kunst und Kulturarbeit haben widerständiges Potenzial, sie haben das Potenzial, auszuprobieren, auszuloten, Neues zu denken; aber genauso haben sie das Potenzial, sich in den Dienst der Regulierung zu stellen – gerade was die letzten ungeordneten Nischen großer Städte betrifft. Laute Soundinstallationen unter Donaukanalbrücken machen den Aufenthalt (gar zum Schlafen) unmöglich, vorgegebene Graffitiwände sollen illegalem Sprayen vorbeugen, und nun möge Gitarrengeschramme dem ängstlichen Zittern der Fahrgäste im unterirdischen Wien beikommen. Kunst zum Wohlfühlen – ein biedermeierliches Programm, das einer Metropole erst so richtig Kleinstadtgeist einhaucht. Um wessen Wohlgefühl es dabei geht, ist kein Geheimnis: um das der zahlenden Gäste.

In den Teilnahmebedingungen für die «U-Bahn-Stars» finden sich ein paar delikate Details; sehen wir uns zwei davon an. Erstens: Man muss Deutschkenntnisse vor- und nachweisen, offiziell, damit man die Durchsagen am Bahnsteg verstehen kann (nicht etwa, weil rumänischsprachige Armutsmigrant_innen in den Auditions unerwünscht sind); als würden Tourist_innen, die des Deutschen nicht mächtig sind, reihenweise vor die U-Bahn stürzen, die Türen beim Abfahren blockieren, den Aufzug im Brandfall benutzen und bei den Worten «Wir sind am Ziel» stur in der U-Bahn sitzen bleiben. Zweitens: Man kriegt kein Geld. Über diesen Punkt erhitzen sich die Gemüter vor allem in der Profi-Branche. Der Musiker Alex Kohtaro Yoshii hat unter dem Motto «Musik ist nicht wertlos» eine Petition initiiert. Entweder sollen die Wiener Linien einfach Standplätze zur Verfügung stellen, an denen Musiker_innen dann ihrer Arbeit nachgehen können; oder sie sollen Musiker_innen buchen – dann müssen sie auch bezahlen. Die Verkehrsbetriebe aber wollen von Gagen nichts wissen und kommentieren infantil und flapsig: «Dass ein Verkehrsunternehmen Straßenmusikern Geld zahlt, gibt es nirgends auf der Welt.» «Die Aktion der Wiener Linien ist für mich nur ein Beispiel unter vielen», sagt Alex Kohtaro Yoshii. «Sie ist in keiner Weise herausragend und entspricht der gängigen Mentalität: Alles hat seinen Preis, nur Musik darf nix kosten, sie hat einfach da zu sein.» Die Musikerin Tini Trampler ist durchaus der Ansicht, «dass die Straße bedingt, auf Hut zu spielen», aber erstens: «Wenn Huteinwürfe erlaubt sind, dann nicht nur für Musiker_innen, sondern auch für Bettler_innen», und zweitens: «Wenn die Wiener Linien bestimmen wollen, wer wie und wo spielt, dann müssen sie Gagen zahlen.» Irgendwie scheint Stadträtin Sima den prekären Arbeitsbedingungen aber verbunden zu sein: Bekannt wurde sie in den letzten Jahren schließlich mit ihrer Positionierung im Arbeitskampf der Abfallberater_innen, die ihre prekären Beschäftigungsverhältnisse bei der MA48 gerichtlich beanstandeten. Ulli Sima verharrte schweigend auf der Seite der Arbeitgeberin. Einige der Abfallberater_innen führen die Gerichtsprozesse heuer im fünften Jahr.

Lärmbelästigter Standortwettbewerb.

Ganz so als gäbe es ein Wiener Naturell (oder gar eine Wiener Stadtpolitik), die der Musikalität zugewandt und förderlich wäre, kommt natürlich auch das Image der «Musikstadt Wien» in der Kampagne nicht zu kurz. «Musikstadt» wurde Wien nicht, wie oft suggeriert wird, durch eine lange Tradition des Musizierens, sondern durch handfeste städtische Identitätspolitik, die nach 1945 einen erneuten Höhepunkt erlebte. Österreich betrieb kulturellen Wiederaufbau und verpasste sich mit einer Hauptstadt, in der am allerliebsten musiziert, getanzt und Wein getrunken wurde, ein verharmlosendes Kleid. Und neben den Bergen war sogleich auch der zweite Grundstein für den Massentourismus gelegt. Die Historikerin und Kuratorin Martina Nussbaumer bezeichnet das Theater um die «Musikstadt Wien» in ihrem gleichnamigen Buch nicht nur als zentral für die städtische Identitätspolitik, sondern auch als «Unique Selling Proposition», als Standortvorteil im internationalen Städtewettbewerb. Zu diesem Buhlen um Standortvorteile gehören eine Menge sinnentleerter Marketing- und Bauprojekte, etwa die steuergeldschluckenden Bahnhofsneubauten, aber auch die Neugestaltung der Tonbandansagen in den Wiener Linien – keine schnarrende Stimme mehr durchs Mikrofon, sondern aalglatte und moralisierende Disziplinierung: Sie verzögern die Abfahrt; jemand anderer braucht diesen Platz vielleicht dringender als Sie; wir sind am Ziel. Kürzlich schloss ein U-Bahn-Fahrer in der Station Westbahnhof die Türen, räusperte sich statt loszufahren durchs Mikrofon und sagte mit dieser betont gelangweilten Stimme, die durch die Schule der Wiener Vorstadt gegangen ist: «Jetzt sog i Eana amoi wos. Wann Sie mi mit Ihrer vü zspäten Ein- und Aussteigerei sekkieren, fohr i hoid gor nimma weita. Kennan Sie si aussuachn.» Ein freudiges Aufatmen ging durch den Waggon. Wie schön, endlich wieder mal aus tiefstem Herzen und ganz individuell gemaßregelt zu werden!

Während Wien die Kunstarbeit im öffentlichen Raum mit immer neuen Regulierungen immer bürokratischer gestaltet, freut sich der U-Bahn-Stars-Kooperationspartner «Buskers» darüber, «dass nun auch die Kultur- und Musikweltstadt Wien sich der Straßenkunst öffnet». «Buskers», ein Verein, der am Karlsplatz jährlich ein internationales Straßenkunst­festival ausrichtet, will laut Selbstbeschreibung Sprachrohr für Straßenkünstler_innen sein. Ob die Klientel ihm die Projektpartnerschaft mit den Wiener Linien auf der Haben-Seite verbucht, ist fraglich. Kommentare auf der Facebookseite lassen eher auf einen Schuss ins Knie schließen.

«Ich halte gar nichts von dieser Initiative», sagt die Akkordeonistin und Sängerin Maren Rahmann. «Statt windige Castings abzuhalten und damit in bessere und schlechtere Musik zu polarisieren, sollten lieber die Regulierungen gelockert werden.» Tini Trampler stellt Wien überhaupt ein schlechtes Zeugnis aus: «Straßenmusik und -kultur haben hier schon sehr lange keine Tradition mehr.» Trampler hat selbst Erfahrung als Straßenmusikerin, nicht nur in Wien, sondern auch in Paris und Toronto, Städten, die sie der Straßenkunst gegenüber als wertschätzend erlebt hat. Straßenmusik gehört nicht nur zum Stadtbild, findet Trampler, sondern auch zur guten Ausbildung jeder Musikerin: «Man lernt sehr viel auf der Straße. Man muss mit dem Augenblick und dem Publikum umgehen können. Auf den großen Bühnen lernt man das nicht.» Dass ausgerechnet in Wien so eine bochene Kampagne initiiert wird, wundert sie nicht weiter: «Es gibt einfach keine Erfahrung mit Straßenmusik. Es gibt keinen Raum für nomadische Kulturen, sondern nur für Reglementierungen, Lärmbelästigung und Auflagen.»

Musikalisches Bettelverbot.

Das bestätigen auch die Erfahrungen, die in der Rechtsberatung der Bettellobby zusammengetragen werden. Hierher kommen Menschen, die fürs Betteln und andere geldeinbringende Aktivitäten auf der Straße bestraft werden. Etwa Sänger_innen, die mit ihrem Gesang den Ausgang «blockieren» und mit hohen Strafen nach dem Eisenbahngesetz belegt werden, oder Leute, deren Musikinstrumente von der Polizei als «Mittel zum aggressiven Betteln» konfisziert werden. So groß scheint der Bedarf an subjektiver Sicherheit dann offensichtlich doch nicht zu sein, dass man die Musizierenden einfach musizieren ließe, auf und unter den Straßen der Musikweltstadt.