Sinfonie in H-lolArtistin

Klitclique: Avantgarde-Rap aus Wien

In der Wiener Szene sind sie längst keine Unbekannten mehr. Im Juni bringt das Rap-Duo Klitclique nun ihr Debutalbum Schlecht im Bett Gut im Rap heraus. ­Nina Prader (Text) und Marija Jociūtė (Foto) trafen G-Udit und $chwanger zu ­Affogato und Johannisbeersaft in der Nordbahnhalle.

Die Nachmittagssonne ist heiß und golden. Flauschiger Pappeflaum weht durch den Nordbahnhallenkomplex im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Konzertfläche, Kantine, Gleise, Graffiti-Galerie, Palettenmöbel, Urban Gardening, Hipster mit Fixie-Bike, Vorgartensiedlung und Wiener Weite in alle Richtungen. Eine Momentaufnahme mit Klitclique: Dieser Ort spiegelt eine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Rechts die Arena der Popkultur-Bühne in der Halle, wo sie bald ein Konzert geben werden. In der Mitte die alten Gleise – Metaphern für die Tonspuren die sie hierher führten – und links, woher sie kommen: der Zement-Streetart-Dschungel der Subkultur. ­«Unser neues Album ist eine Sinfonie in ­H-lol», will Rapperin G-Udit festhalten. Ein Album in einer Tonleiter, die es noch nie gab – bis jetzt – und die zum laut Lachen ist.

2014 wurde G-Udit von einem Auto angefahren, auf Jamaikaurlaub. Am Valentinstag erwachte sie aus der Bewusstlosigkeit in ihrer eigenen Blutlache, ihr Schlüsselbein ragte aus der Schulter – ein Nahtoderlebnis. Aber als Rapperin und bildende Künstlerin trägt sie ihre Narben an Knie und Schulter mit Stolz und Street-Credibility. Danach schwor sie dem Solo-Schaffen ab und verbündete sich intensiver mit $chwanger. Zusammen schärften sie ihre musikalischen und künstlerischen Klingen als unschlagbares Duo Klitclique. Ihr Produzent Mirza Kebo verstand, worum es ging. Aber schon vor diesem Wendepunkt arbeiteten die Jugendfreundinnen zusammen und taggten Wiens öffentlichen Raum, Galerien und Clubs mittels Spraycans, Kunst und Musik.

Zer*****n.

Klitclique leisten, egal wo sie auftreten, Widerstand, brechen mit Geschlechter-Normen und Kultur-Genres. Sie geben der Subkultur den goldenen Schuss und «zer*****n» (wie sie es nennen) gleichzeitig die Bastion der Hochkultur. «Wiens Antwort auf traurige Boys», ist ihre Selbstbeschreibung. In der Grellen Forelle, einem Club am Donaukanal, verwandelten sie 2015 die Wände der Toiletten zum andächtigen BeepBeepBeep-Museum und tauften die Porzellanmuscheln der Clubpissoirs in «R. Mutti» um – eine Anspielung an Marcel Duchamps berühmtestes Kunstwerk, dem umgedrehten Pissoir, dass er mit der Künstler-Signatur R.Mutt versah und damit signalisierte: Alles, was ein_e Künstler_in als Kunst markiert, ist Kunst. «Mir ist egal, was diese Kunstleute von uns verlangen», winkt G-Udit ab.

Produktive Zeiten haben die beiden vor und hinter sich, spätestens seit ihrem Mitte-2016-Release des Hit-Ohrwurms DER FEMINIST F€M1N1$T («… ich bin der ich will meine Eizellen teuer online verkaufen obwohl sie nicht in der Kühlkette waren Feminist …. ich bin der ich mach alles aber werd offiziell nie erwähnt Feminist …») – samt provozierendem Video, in dem auch die Wiener Performerin Florentina Holzinger, bekannt für ihre furchtlosen Körperdarstellungen, mitspielt. «Alle müssen, keiner will. Feminismus» geben die Lyrics am Ende des Tracks vor.

Dank einer Förderung der Stadt Wien nimmt ihre Tonstudio-Installation aus Pappe inklusive Bong, Synth und eingerahmter goldenen Platte — à la «fake it til you make it» — nun tatsächlich Form als echtes Vinyl an. Beim renommierten CTM-Festival in Berlin performten die Krawallkünstlerinnen im legendären queer-feministischen Club Schwuz. Florentina Holzinger twerkte wie eine amazonische Soldatin in Militärshorts und Sidomaske durch das pulsierende Publikum, anschließend kletterte sie auf das DJ-Podest mit erhobener Faust.

Doppelt so hart.

Klitclique geht es um feministische Solidarität, Zerstörung des Brudi-Kults in der Rap-Szene und Strategien zur Selbstermächtigung: Bühnen und Ruhm mit anderen Frauen teilen, ein junges und altes Publikum ansprechen. Hip-Hop und Rap sind traditionell patriarchal geprägt. In der Szene tut sich seit einiger Zeit aber einiges in Richtung queer und feministisch. Klit­clique sowieso. Mit ihrem Hool-Song ­Ingeborg 50000€ schufen sie gemeinsam mit Beat-Maestra Fauna (die auch gerade ihr erstes Album, ­Infernum, herausbrachte) binnen kürzester Zeit eine Hymne für Autorin Stefanie Sargnagel, als diese den Ingeborg-Bachmann-Publikums-Preis gewonnen hatte. Anschließend tourten Sargnagel und Klit­clique gemeinsam durch Deutschland, kreierten auf der Lesebühne des Berliner Kreuzbergsaals eine Mischung aus Clubatmosphäre und Bierfest und brachten sogar die biedersten Hipster zum Lachen. In Frankfurt befreundeten sie sich mit der feministischen Rap-Combo Die Römischen Votzen: Zuerst habe es sich angefühlt wie zwei Boxer_innen, die sich vor einen Kampf treffen und beschnuppern, erklären Klitclique. Aber jetzt seien sie «Home-Girls».

Beinhart ihr Ding durchziehen, im eigenen Rhythmus, egal, wie lange es braucht: Klitclique verwaltet und releast sich selbst, das Album erscheint beim eignen Label SCHLECHT IM BETT records. Sie bestimmen die Liga der Cloudrapper_innen – ein eigenes Subgenre des Rap, das mit schleppenden Beats arbeitet – neu und zwar mit Binnen-I, im Gegensatz zu den Bubis. Autotune und harte Beats sind ebenso musikalisches Werkzeug wie überzeugende Hooklines. «Ich bin echt dankbar, dass wir diese Platte autark ohne vorgeschriebene Regeln umsetzten, ganz nach eigenen Vorstellungen», sagt $chwanger. Ihr selbstbestimmter Swag (Rapwort für so etwas wie Lässigkeit, Anm.) und die Ablehnung von Kultur- und Musikinstitutionen beruht auf Kampfgeist: Platz machen und Sichtbarkeit für mehr Frauenstimmen. In einem ihrer jüngsten Tracks, Maria, feiern sie die österreichische Künstlerin Maria Lassnig als Gangsta-Heldin, und in M danken sie Müttern für den Support und thematisieren die Frage, woher das Geld für kommerziell nichtverwertbare Kunst überhaupt kommt: «Mami, send me money, I’m in Berlin, working on this non-profit off space art project and I need more money to add my name into art-history.» «Es ist wichtig, Tracks über andere Frauen zu machen», finden beide.

Fette Ketten.

Trend-Setterinnen sind sie in ihren Botschaften, Musik und Kleidung. «Alle müssen, keiner will» – Ja, aber nun wollen alle. Denn Schlecht im Bett Gut im Rap heißt auch gutes Merchandising: T-Shirts, Klit-Amulette (siehe das Cover dieser Ausgabe), Bettwäsche und Unterwäsche wird es geben. Als Rap-Fashionista trägt $chwanger beim Interview eine Kappe und ein besiebdrucktes «50000 Euro für Stefanie Sargnagel»-T-Shirt. G-Udit kommt in Beyonce-Feminismus-Bootyshorts, einer dicken Goldkette mit fettem Stern und flasht ihr Lieblings-T-Shirt unter ihrem Glitter Hoody: Beavis und Butthead blitzen hervor. Zwei sind stärker als eine, ihr Auftreten ergänzt sich: G-Udit spielt Diva und ballert Pointen, $chwangers Miene lässt sich nicht aus der Fassung bringen, sie bringt mit einem einzigen scharfen Kommentar die Sachen auf den Punkt. Gemeinsam sind sie ein Molotowcocktail von Attitüde. Und: Mit ihren unterschiedlichen Hintergründen sprechen sie addiert neun Sprachen.

Beim Fotoshooting auf den Gleisen witzeln sie, dass das wie Hochzeitsfotos schießen sei. Denn Team sein ist eine bestärkende Beziehung. Ihr Schaffungsprozess beruht auf Diskussion. «Wir haben uns immer gegenseitig angespornt, weil es viel wichtiger war, was die Kollegin denkt, als was irgendein Typ sagt», erläutert G-Udit. «Wir versuchen die Leute zu unterhalten», meint $chwanger, «intellektuell zu stimulieren», fügt G-Udit hinzu. Manches Publikum lässt sich leicht schockieren, aber was ihre männlichen Konkurrenten bieten, ist oft viel schockierender: Keine Frauen im Line-up und abfällige Kommentare über Frauen. «Mich wundert, dass es schockiert, wenn man selbstbewusst auftritt», meint $chwanger zur Lage. Sie definieren Darstellungen vom Rappertum um, denn «Deutschrap ist einfach ein trauriges Gebiet, in das man sich einmischen muss».

Nach ihrem Auftritt am Hyper Reality Ende Mai (dem Festival für Clubkultur der Wiener Festwochen), spielen sie am 16. Juni im Rahmen der Clubreihe BLISS das nächste Live-Konzert in der Norbahnhalle. Dort ist auch ihre Platte zum ersten Mal erhältlich. Auch im Line-up: Verbündete wie FAUNA und die Römischen Votzen. Klitcliques Parole ist angesagt: «Spaß haben und sich nichts sagen lassen!»

 

Bliss x Klitclique

Album Release

16. Juni, 20 Uhr

2., Nordbahnhalle,

Innstraße 16 / Leystraße 157

www.klitclique.com

www.facebook.com/klitclique