Einst wurden hier Rinder und Schafe vorgeführt, heute Stunts, Graffiti & Pflanzen. Der selbstgebaute Skatepark am ehemaligen Zentralviehmarkt Sankt Marx atmet die spezielle Atmosphäre von Gemeinschaft und Underground. Aber wie lange noch?
Text und Fotos: Matthias Jarolim
Skaten steht für etwas. Für den einen ist es nur belangloser Lärm, Hunde schrecken auf und bellen, manche wundern sich lediglich, weshalb man sich solchen Gefahren aussetzen sollte. Andere lernen unbezahlbare Lektionen auf dem rohen Beton. In erster Linie geht es beim Skaten darum, wieder aufzustehen, den Mut aufzubringen, sich dem Trick voll und ganz hinzugeben. Dafür einzustehen, was man ist oder sein möchte, über die Angst drüberzuspringen und es wieder und wieder zu probieren. Gemeinsam ein Bier, einen Kaffee oder Grüntee aus der Thermoskanne zu trinken und die alltäglichen Geister für den Moment hinter sich zu lassen. Ein neuerstandenes «Deck» zusammenzuschrauben und das gekörnte Grip-Tape – die Auflage auf dem Board – zu schleifen und zurechtzuschneiden kann für so manche in bittersüße Sucht ausarten. Kurz gesagt handelt die Geschichte des Skateboardens von Jugendkulturen, Gemeinschaft und einer gewissen gesunden Scheiß-drauf-Attitüde. Gegenseitiger Respekt steht an erster Stelle.
Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht wirken könnten, entdecken das «fahrzeugähnliche Spielzeug», wie es die Straßenverkehrsordnung übertitelt, in diesen lauen Zeiten für sich und wagen sich mit wackligen Beinen und Ellbogenschützern auf das anfangs kaum zähmbare Gefährt. Sobald man aber den ersten Trick erfolgreich meistert, fällt es schwer, das Skateboard wieder wegzulegen. Und es überkommt einen schleichend die Erkenntnis, dass einem die gesamte Stadt zu Füßen liegt. Diejenigen, denen das Wiener Straßenmosaik nicht ausreicht, haben die Möglichkeit, sich zwischen 44 Skateanlagen in der Stadt zu entscheiden, wobei eine unverkennbar heraussticht.
Der Skatepark von Sankt Marx – alias Minimundus DIY.
Skateboards, Kino, Grünzeug.
Inmitten von Autobahnen, die sich über Neu Marx schlängeln, wo das Grün es gerade noch durch einzelne Risse im Beton schafft, hat sich hier über die vergangenen Jahre eine besondere Art der Oase aus der Senkgrube erhoben. Unsichtbar für diejenigen, die nicht gezielt danach suchen.
Aufgereihte Industrierohre stemmen die besprayten Skaterampen, eine verlassene Badewanne, um Regenwasser für das Betongemisch einzufangen, Bruchstücke aus Metall und Holz, denen zu neuem Leben verholfen wurde. Im Do-it-yourself-Park Sankt Marx scheint es seit dem Baubeginn im Jahr 2016 für jeden und alles einen Platz zu geben. Zerrissene und neue Hosen, fünf Ohrringe oder keinen, ganz egal, hier ist nur wichtig, dass man ein Lächeln auf den Lippen trägt. Hier grölen und jubeln Profis, wenn Anfänger_innen einen Ollie – einen Sprung mit dem Skateboard – stehen. Gefilmt wird mit alten Kameras, und auf den selbstgebauten Terrassen werden Tricks diskutiert.
Gekeimt ist das Ganze aus einem Zwischennutzungsvertrag zwischen dem Alm-DIY – Verein zur Förderung von Skateboard D.I.Y.-Projekten – und der Wiener Standortentwicklung GmbH, einem Unternehmen der Wien Holding. Der Vertrag war eigentlich bis 2019 befristet. Parallel zu dem immerzu wachsenden Skatepark hat sich über die Zeit ein Gartenverein und ein Basketballplatz auf der brachen 500-m2-Fläche angesiedelt. Die angrenzenden Bewohner_innen haben Flohmärkte auf die Beine gestellt, Kinoabende und ja, sogar Eier werden auf dem weitreichenden Parkplatz durchgebraten.
Was im Vordergrund steht, ist der Wille zum selbstständigen Schaffen und zur Gemeinschaft. Ein Dauergast und anliegender Bewohner, den man hier fast täglich antrifft, ist der «Gärtner». «Skaten ist mir mittlerweile zu wild, mein Knie macht das nicht mehr mit», erzählt er mit Sonnenbrille auf der Stirn. Er widmet sich hingebungsvoll seinen Pflanzen oder schweißt an einem leeren Feuerlöscher herum. Es wirkt, als würde jeder hier im Park ihn schätzen und er die Gesellschaft.
«Hier kommen Teenies her, um ihre Krisen zu besprechen, und die Alten, um nach der Arbeit Sport zu machen oder ein Feierabendbier zu trinken. Marx ist für alle da, und das macht es so charmant», schwärmt der Gärtner, der am liebsten das ganze Areal mit «mobilen Palmen» schmücken würde. Voller Leidenschaft erklärt er die Erfindung: Palmen in rollenden Behältern, die mit jedem Winter in Sicherheit gebracht werden können.
Endlich angekommen?
Aufgrund der Befristung bis 2019 schwingt die Frage «Wann wird abgerissen?» wie ein Echo durch die Luft. Denn das Gelände soll einer riesigen Eventhalle namens Wien Holding Arena weichen, die zuletzt wegen den prognostizierten Kosten in die Schlagzeilen geriet. Der Baubeginn ist mit 2024 angesetzt, eine Nachricht von der Wien Holding bezüglich des Skateparks habe Alm-DIY noch nicht bekommen, wie Ben Beofsich, Sprecher des Vereins erzählt. Bislang wird in der Anlage in Sankt Marx weiterhin geskatet, gegärtnert und geplaudert.
Auf die übliche Frage, wie alles begonnen hat, schmunzelt Ben Beofsich. Nach kurzer Kontemplation nimmt er einen Schluck und warnt, dass er für eine gerechte Antwort weit ausholen müsste. Ihren Anfang nimmt die Geschichte vom Sankt-Marx-Phänomen mit einer Reise nach Berlin. 2009 beschließt die achtköpfige Alm-Crew, mit ihren Boards unter den Armen auf den Bus in die deutsche Hauptstadt aufzuspringen. Dort hatten sie ihren ersten Berührungspunkt mit dem Charme des Selbstgebauten. Gleichzeitig hat die Gruppe im Internet von einer brachliegenden Fläche bei der U6-Station Perfektastraße in Wien Wind bekommen, die mit Rampen und Stangen verziert werden kann. Nach einer Odyssee durch den Baumarkt stand dort nach nur kurzer Zeit ein sperriger Skatepark, der ein halbes Jahr durchgehalten hat, bis er von launischen Kids zertrampelt wurde.
Erst zwei Jahre später hat das Baukollektiv wieder zur Schaufel gegriffen. Diesmal wurde im 23. Bezirk gebaut, wovon die Eigentümer wenig angetan waren. Nach einigen Fehlschlägen, meist aus Haftungsgründen, hat der Alm-DIY-Verein das Licht der Welt erblickt. Alles offiziell und von der Stadt Wien gefördert. Die sogenannte Alm am Nordbahnhofgelände war damals das Herzstück und Grund für die Vereinsgründung. Trotz Verhandlungen konnte dieser Schritt den Park aber nicht retten, nach langem Kampf war das Projekt wieder Staub.
Selbstverwaltung.
Nach Medienberichten und Interviews erhielt der Verein plötzlich einen unerwarteten Anruf: Die Wiener Standortentwicklung GmbH hat ein freies Grundstück in Sankt Marx. Der Verein steckt den Spaten wieder einmal in die Erde. Heute steht dort der einzige selbstverwaltete Skatepark der Stadt – samt Palmen im Schutt und Graffiti, das der Szene Farbe verschafft.
Ben Beofsichs Schätzungen nach wurden 12.000 Stunden in den Bau gesteckt; die Kosten mit Spenden oder aus eigener Tasche gedeckt. Hilfe bei den Arbeiten bekamen sie damals von «Spoff-Parks», einem Unternehmen für den Bau von Skateparks, das angibt, zu «100 % aus Skateboardern» zu bestehen, und wovon auch Ben heute ein Teil ist. Sankt Marx hat den Verein und das Grätzl lange begleitet. Der noch offenstehende Abriss, auch wenn erwartet, wird hier für niemanden leicht zu verdauen sein.
Pioneers of Gentrification: Skater_innen und Künstler_innen laden am 5. März, 18.30 Uhr zum anarchistischen Theater und Feuerwerk am Parkplatz Sankt Marx
Banden bilden
Wer im Internet nach Skateboard-Bildern sucht, sieht gleich: Skaten ist als «Buben-Sport» definiert. Doch mittlerweile fahren in den Wiener Skateparks immer mehr Frauen, Lesben, inter Menschen, nichtbinäre Menschen, trans Menschen und agender Menschen (kurz FLINTA) auf den Brettln, die für manche die Welt bedeuten. Adrien Summerer hat 2018 die Wiener FLINTA-Skatecrew Brettl Bande mitbegründet und erzählt im Interview, warum das wichtig ist und Spaß macht.
Was ist die Brettl Bande und was macht sie?
Adrien Summerer: Wir sind eine Anlaufstelle für FLINTA-Personen, die skaten wollen. Die Skateszene ist sehr cis* männlich dominiert, viele FLINTA-Personen fühlen sich wohler, in der Gruppe in den Skatepark zu gehen. Die Brettl Bande ist eine lose Bande, jede kann dabei sein. Etwas neu anzufangen, ist nie leicht, aber als FLINTA-Person ist es noch mal eine Überwindung, weil sich viele fragen: Habe ich ein Recht, da hinzugehen?
Man hat den Eindruck, es skaten schon mehr FLINTA-Personen als noch vor einigen Jahren.
Es wird besser, ja. Aber es ist noch viel Lernprozess in der Szene nötig. In Skatemagazinen sind zu 99 % cis Männer drin. Was mir auch auffällt, ist die Sprache in der Szene. Viele Ausdrücke sind sehr problematisch. Zum Beispiel, wenn sie transphoben Hintergrund haben. Da merkt man, dass noch viel Arbeit zu tun ist. Aber es gibt eine Bereitschaft in der Szene, neue Erfahrungen zu machen. Und immer mehr Interesse von FLINTA-Personen, eigene Projekte zu starten. Wir haben zum Beispiel ein Magazin mit dem Titel Brav in Planung, das im Sommer erscheinen soll.
Ihr skatet auch im Skatepark in Sankt Marx. Wie kommt der bei der Brettl Bande an?
In Sankt Marx fühlt man sich wohl mit den Leuten, das Umfeld ist kollegial. Als FLINTA bekommt man ja oft nerviges Mansplaining, also ungefragt Tipps von Männern. In Sankt Marx habe ich aber das Gefühl, dass die Leute reflektiert sind, was das betrifft. Und dadurch, dass dort viele FLINTA-Personen sind und man nach dem Skaten zusammensitzt und darüber redet, welche Erfahrungen man macht, ist das eine gute Möglichkeit, einen Raum zu haben, um auch über Skaten zu reden. Das Gruppengefühl ist sehr stark.
Instagram: @brettl.bande
* Cis wird hier als Gegensatz zu Trans verwendet. Cis männlich bedeutet, dass man sich mit dem von außen zugeschriebenen Geschlecht als Mann identifiziert.