Gürtel Nightwalk: Man könnte auch Pressetexte abschreiben
Der Gürtel Nightwalk X am 25. August erinnert daran, dass zwischen 1995 und 2000 mitten in einen Slum eine Gastronomie-Oase gebaut wurde.
Du sollst keine Pressetexte abschreiben. Nachdem mir die Idee gekommen war, eine Ankündigung des Gürtel Nightwalk X mit einem stadtplanerischen Ansatz zu verbinden, habe ich via Suchmaschine rasch herausgefunden, dass hier ein Gebiet (der West-Gürtel) durch Stadtplanung und EU-Gelder vor einer Verslumung bewahrt worden sei. Genau so habe ich das dann dem koordinierenden Augustin-Redakteur gemailt in der unreflektiven Vorfreude, endlich wieder einmal über eine positive Entwicklung zu schreiben.
Das hätte ich dann ungefähr so getan: Aus der ursprünglich als Starthilfe für die Revitalisierung des Westgürtels gedachten Initiative Gürtel-Nightwalk ist schon so etwas wie eine Institution geworden. Heuer findet sie zum zehnten Mal statt. Wenn die Jugendlichen und Junggebliebenen am 25. August von Lokal zu Lokal wandern, so bekommt der Gürtel zumindest für eine Nacht jenes Flair, das er einstmals ausstrahlen hätte sollen. Denn diese Straße entstand ab 1892 an Stelle des Linienwalls, den Prinz Eugen zum Schutz gegen die aufständischen Kuruzzen errichtet hatte lassen. Wie die Wiener Ringstraße sollte auch der Gürtel als Boulevard mit reichem Baumbestand angelegt werden. Doch durch den Bau einer Gürteleisenbahn fiel die Straße schließlich beträchtlich schmäler aus. Dieses nach Plänen des Architekten Otto Wagner ausgeführte Hochbahn-Projekt, auf dem heute die U6 fährt, sollte in der Kaiserstadt ursprünglich für einen schnellen Transport der Soldaten zwischen den großen Kopfbahnhöfen sorgen. Als Nebeneffekt trennte er jedoch die Innenbezirke sichtbar von den Außenbezirken.
Zusätzlich führte ab den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts das enorme Verkehrsaufkommen auf dem Gürtel zu einer drastischen Abnahme der Wohnqualität. Für die 95.000 Anrainer bedeutet(e) das: Schmutz, Gestank und Lärm. Bald gab es Überlegungen, den kompletten Straßenverkehr des Gürtels in einen Tunnel zu verlegen, was an den damit verbundenen enormen Kosten scheiterte.
Doch dann wurden im Rahmen des EU-Projekts URBAN zwischen 1995 und 2000 mehr als 29 Millionen Euro in eine der meistfrequentierten Straßen Europas investiert, etwa in den Bau der neuen Hauptbibliothek, eines fast durchgehenden Fahrradweges und eines die Sicherheit fördernden Beleuchtungssystems. In unserem Zusammenhang sind natürlich die wiederbelebten Stadtbahnbögen wesentlich, in denen sich eine Jugend-, Kultur- und Lokalszene etabliert hat.
Dort wird seit 1998 der Gürtel Nightwalk veranstaltet. In zahlreichen Lokalen und auf einigen Open-Air-Bühnen präsentiert sich seither jährlich die junge Musik- und DJ-Szene Österreichs. Im Vorjahr nutzten 25.000 Musikbegeisterte das Angebot. Und auch heuer locken sicher nicht nur die Hauptacts am 25. August auf dem Neubau-, Lerchenfelder- und Hernalsergürtel.
Doch der koordinierende Augustin-Redakteur antwortete auf meine Mail folgendermaßen: die aufwertung einer zone hat ja immer auch zur folge, dass die einkommensschwächsten schichten daraus vertrieben werden und die stadtplanung hätte signale setzen können, indem sie die gürtelbögen auch für migrantische kommunikationszentren, anlaufstellen für sexarbeiterInnen, ,jugo-beiseln und ähnliches zur verfügung gestellt hätte.
Ich dachte, das ist ein wertvoller Hinweis auf eine Sachlage, die ich beim Sichten der schließlich doch recherchierten Fakten nicht beachtet hatte, und ich beschloss, meinen Artikel um einen Lokalaugenschein zu ergänzen.
Lob der Stadtplanung
Ergebnis meines Vorab-Gürtel-Nightwalks: Die Diskussion zwischen Redaktion und freiem Mitarbeiter entbehrt einer wesentlichen Grundlage. Denn der Westgürtel wurde gar nicht vor einer drohenden Verslumung bewahrt, es wurde gewissermaßen mitten in den Slum eine Gastronomie-Oase gebaut und die ununterbrochen stark befahrenen Straßen links und rechts davon schauen eigentlich mindestens genauso aus wie vor 1995.
Vielleicht gibt es mittlerweile mehr leer stehende Gassenlokale, ansonsten befinden sich dort abgesehen von der Lugner-City immer noch vor allem Bordelle und Ausländer-Beisln mit dem gleichen Publikum wie damals. In der Mitte aber sitzen jetzt die jungen, urbanen, dem Anschein nach eher wohlhabenden BesucherInnen der Stadtbahnbögen-Gastronomie. Zusätzlich. Böse Zungen könnten behaupten, hier wäre mit EU-Geldern eine Szenelokal-Meile mit U-Bahn- und Radweg-Anbindung geschaffen worden, einer Touristen-Ferienanlage inmitten von Armut samt Prostitution nicht unähnlich.
Im Stadtentwicklungsplan 2005 ist allerdings zu lesen, dass die Wiener Stadtregierung im Mai 2001 den Auftrag erteilt hat, ein strategisches Handlungskonzept für den Gürtel zu erstellen, um den imagemäßigen Aufwertungsprozess am Gürtel weiter fortzuführen und die bereits gesetzten positiven Entwicklungsimpulse auch für die angrenzenden Gründerzeitviertel zu verstärken. Gemeinsam mit der ansässigen Bevölkerung soll das Zielgebiet Gürtel Schritt für Schritt attraktiver und zu einem lebendigen, pulsierenden Teil der Stadt gemacht werden.
Merkt man schon was? Falls nicht, es geht um:
die Verbesserung des Images der Gürtelzone durch Hebung der Wohnqualität und Reduktion der Lärmbelastung und Verbesserung der Luftqualität,
die Verbesserung der Versorgung mit Grün- und Freiflächen,
die Hebung und Entwicklung der Standortpotenziale,
die Hebung der Gestaltungs- und Nutzungsqualität und
die Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen.
Die Programmziele sollten jedenfalls innerhalb von sieben bis acht Jahren erreicht werden. Also bis nächstes oder übernächstes Jahr.
Das bedeutet, spätestens zum Gürtel Nightwalk XII könnte mein Lob der Stadtplanung im Augustin veröffentlicht werden. Aber was soll ich heuer schreiben?
Gürtel Nightwalk25. 08. 07 ab 18 Uhrunter anderem mit Christoph und Lollo, Ernst Molden, a life, a song, a cigarette, Velojet, nitromahalia, BulBul, TNT Jackson, Kreisky und Peter SzelyEintritt freiInfos unter www.guertelnightwalk.at