Rosagrün, die zweite
Wienwahl: Die Verluste für SPÖ und Grüne hielten sich im überschaubaren Rahmen. Der Erdrutschsieg der rechtsextremen FPÖ ist ebenso ausgeblieben wie ein Überraschungserfolg der linken Opposition. Deshalb gibt es nun die zweite Auflage einer rosagrünen Stadtregierung. Martin Birkner hat sich die ökonomischen Aspekte der Regierungsvereinbarung vorgenommen.
Illu: Much
Nicht weniger als 14 Mal kommt das Wort «smart» in der neuen rosagrünen Regierungsvereinbarung vor. Überhaupt prägen eine Fülle von Anglizismen die Vereinbarung, und beim Lesen ebenjener drängte sich mir die Frage auf, ob all diese smarten Begriffe nicht vielleicht dazu dienen, von relativer Inhaltsleere abzulenken.
Think Tank, Green Job, Smart Energy, Social Entrepreneurship …
Die großspurige Ankündigung der SPÖ, über eine Leerstandsabgabe «nachzudenken», um der allgegenwärtigen Wohnungsspekulation in Wien ernsthaft entgegenzutreten, liest sich im Regierungspakt nun so: «Als Steuerungsinstrument zur Attraktivierung der Erdgeschoßzonen wird die Einführung einer Leerstandsabgabe überprüft.» Es geht also nicht mehr um Politik für Mieter_innen, sondern um die Forcierung von Einkaufsmöglichkeiten. Dies scheint überhaupt die treibende Intuition im wirtschaftspolitischen Bereich zu sein – Wien soll ja zur «Top Start-Up City» werden. Es geht also darum, die Ansiedlung und Gründung von Klein- und Kleinstunternehmen im Hochtechnologiebereich zu fördern, also um genau jene Arbeitsplätze, die Vorreiter_innen bei der (Selbst-)Ausbeutung und Prekarisierung waren und sind.
In Wien gibt es «mehr Arbeitsplätze als je zuvor», jubeln die Koalitionspartner_innen. Dass gleichzeitig Rekordarbeitslosigkeit herrscht und in Wien rund 400.000 Menschen, also ein Fünftel der Bevölkerung, an oder unter der Armutsgrenze leben, ist dazu nur ein scheinbarer – allerdings im Regierungsabkommen verschwiegener – Widerspruch. Sozialpolitik, so viel steht fest, bleibt auch weiterhin eine Mischung aus Kosmetik und Herrschaftsinstrument. «Die Stadt Wien bekennt sich zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung als ein sozialpolitischer Meilenstein (sic!). Die BMS läuft jedoch Gefahr, ihre ursprüngliche ‹Trampolinfunktion› zu verlieren. Diese muss wieder hergestellt und eine Verfestigung in Armut verhindert werden.» Zur Erklärung: Die «Trampolinfunktion» ist im neoliberalen Politsprech die Ablöse der «Sozialen Hängematte», also des Wohlfahrtsstaats durch eine Politik, die Menschen in autoritärer Manier wieder in irgendeinen Job, wie unzufriedenstellend und schlecht bezahlt auch immer, katapultieren soll. Ob es für diese «Wiederherstellung» tatsächlich eine «rot-grüne» Stadtregierung braucht, sei dahingestellt.
Viel Lärm um nichts
Wer sich also von den vielen humanistischen Floskeln im Regierungsübereinkommen nicht blenden lässt, wird bemerken, dass in Sachen Wirtschaftspolitik nicht mit dem neoliberalen Paradigma gebrochen wird. Die Ausgliederungen der städtischen Verwaltung (allen voran der Fonds Soziales Wien) werden nicht rückgängig gemacht, und auch die Möglichkeit, Vorreiterin in Sachen Arbeitszeitverkürzung zu werden, lässt die neue alte Regierung ungenutzt. Stattdessen Plattitüden: «Dabei geht es stets um die Erschließung von Potenzialen für die Gestaltung einer menschengerechten Arbeitswelt, Ökologisierung der Wirtschaft, Arbeitszeitverkürzung und Nachhaltigkeit.»
Bei den Beteiligungen der Gemeinde dürfen wir uns wiederum auf «[n]och mehr Transparenz» in Form eines jährlichen Beteiligungsberichts freuen. Diese Formulierung muss angesichts des vernichtenden letzten Rechnungshofberichtes wohl als Provokation aufgefasst werden. Keine schönen Worte finden sich hinsichtlich der existierenden «Private Public Partnership»-Projekte (PPP), vulgo «Privatisierung kommunaler Leistungen». Dies ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, da die IG Architektur gerade erst den «Planlos Award» an die Stadt Wien vergeben hat – für ihre Weigerung, sich mit den für die Gesellschaft negativen Effekten von PPP auseinanderzusetzen. Nicht so smart, oder?
Nach all der Kritik soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass sich die Koalition unmissverständlich gegen die neoliberalen Abkommen TTIP, TISA und CETA stellt. Dies ist ein wichtiger, wenngleich auch für die konkrete Stadtpolitik «ungefährlicher» Schritt, der sicher auch mit der Breite und Intensität der Widerstandsbewegung gegen die Abkommen zu tun hat. Welche konkreten politischen Schlussfolgerungen aus der TTIP-Ablehnung gezogen werden, darüber erfahren wir nichts. Fazit: Es wird ganz sicher eine Menge für uns Bürger_innen getan – solange es nicht im Widerspruch zum alles bestimmenden neoliberalen Paradigma steht. Brosamen also angesichts des gesellschaftlichen Reichtums und der ökonomischen Produktivität heute. Jenseits von Symbol- und Anerkennungspolitik beginnt der Bereich des Sozial-Ökonomischen. In diesen wird sich Rosagrün 2 – wie bekannt – nicht vorwagen. Die FPÖ wird’s ihnen danken.
Info:
Der Koalitionspakt ist hier abrufbar: www.wien.gv.at/politik/strategien-konzepte/regierungsuebereinkommen-2015
Planlos-Award der IG Architektur: www.ig-architektur.at/news-detail/planlos2015-ergebnis.html