So ein Pflanz!Dichter Innenteil

Ein Bauerngarten (am Hof meines Schwagers und meiner bereits verstorbenen Schwester) zur Sommerzeit (Foto: Hans Bogenreiter)

Auch um Insekten und Gewürm?

Kleintiere, insbesondere Insekten, als «Schädlinge» für die Landwirtschaft ausgemacht, werden am Bauernhof gar nicht gern gesehen. Genauso ergeht es Pflanzen, die im Ruf stehen, der Nahrungsproduktion Schaden zuzufügen. Ausmerzen heißt dann die Devise. Plädoyers für diese «Geächteten» haben daher einen schweren Stand. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen tragen jedoch auch Pflanzen Elemente von bewusstem Leben in sich. Das ist nicht nur für die industrielle Agrarwirtschaft «schwerer Tobak», der als Humbug abgetan wird. Geerdete indi­gene Gesellschaften haben solche Sichtweisen schon seit vielen Generationen verinnerlicht und ernteten dafür oft nur Häme und Geringschätzung. Nun sehen sie sich in vielen Punkten von der Wissenschaft bestätigt.

 

Stefano Mancuso, Botanik-Professor an der Universität Florenz ist nach jahrelangen Forschungen zur Überzeugung gelangt, manche Pflanzen seien intelligent: «Sie haben ein Gedächtnis und können sogar miteinander spielen.» In einem ­Interview im Zeit Magazin (Nr. 13, 22. März 2018) legte er dies anschaulich dar und vertritt in seinem Buch Pflanzenrevolution – Wie die Pflanzen unsere Zukunft erfinden die folgenden Thesen: Die Menschen müssten sich, um ihre eigene Zukunft auf der Erde zu sichern, von den Pflanzen inspirieren lassen, denn sie haben in Jahrmillionen vollkommen andere Überlebensstrategien entwickelt als wir. Wo der Mensch auf zentralisierte, hierarchische Lösungen setzt, handeln Pflanzen flexibel, dezentral und als Gemeinschaft. Sie verbrauchen sehr wenig Energie, überleben unter extremen Bedingungen, lernen aus Erfahrung und haben viele Lösungen gefunden, die auch für die Menschen wertvoll wären. Wie die Pflanze Licht einfängt und Energie nutzt, dient schon heute der Architektur als ­Inspiration; wie das Wurzelgeflecht Informationen aufschließt und verarbeitet, macht es zum Modell eines kollektiven Organismus. Von der Konstruktion neuer Roboter bis zur Organisation von großen Gemeinschaften gibt es keine bessere Inspirationsquelle als die Pflanzen. Die Strategien, mit denen sie ihre Funktionen regeln, sind ein außergewöhnlich effizientes Paradigma für ein nachhaltiges Leben, für eine demokratische Zukunft, ist Mancuso überzeugt.
Der Philosoph Emanuele Coccia denkt ähnlich bzw. zieht weitere Schlüsse: «Was wir Umwelt nennen, ist einfach der Atem des Lebens. Unser Leben ist ständig das Opfer anderer Lebe­wesen. Diese Wahrheit ist so offensichtlich, dass mich die Blindheit der Menschen immer wieder überrascht.» (Wiener Zeitung, 7./8. April­ 2018) In seinem Buch Die Wurzeln der Welt – Eine Philosophie der Pflanzen finden sich weitere revolutionäre Gedanken, die neben TV-Dokumentationen (wo einem ausgeklügelte bis perfide Techniken von fleischfressenden Pflanzen zur Überlistung von Tieren staunen lassen) meinen Horizont erweitert haben. Die Menschheit muss sich also wohl oder übel auch mit dem Gedanken anfreunden, neben den Tieren auch Pflanzen als eine besondere Art von Lebewesen zu betrachten.
Daher sehe ich eine Rückschau in meine Studentenzeit (Anfang der 1980er-Jahre) mit Teilzeitjobs in den grünen Villenbezirken Wiens in einem anderen Licht. Eines schönen Tages stand ich mit einem Hausherrn in dessen Garten, wo «Unkraut» die Frechheit besaß, den dichten Rasen an einigen Stellen zu
verunstalten. Nun bezweifelte er, ob seine «chemischen Keulen», kegelförmig über die störenden Pflanzen aufgehäuft, tatsächlich ihre Wirkung entfalten würden und fragte mich besorgt: «Was soll ich denn noch tun?» Worauf ich keck zur Antwort gab: «Lassen Sie es wachsen!» Mit einem ärgerlichen «Ach was, mit Ihnen kann ich über so was nicht reden», unterlegt mit einer ärgerlichen, wegwerfenden Handbewegung, wurde die Unterhaltung beendet. Die fundamentale Meinungsdifferenz wirkte sich aber auf meine studentische Nebenbeschäftigung nicht weiter negativ aus. An einem sonnigen Tag hatte ich den Auftrag bekommen, einige Äste von einem Baum abzuschneiden. Die Herausforderung war, unbedingt zu vermeiden, dass ein herabstürzender Ast mittels kantiger Schnittstelle, den (heiligen?) Rasen beschädigen könnte. Also sicherte ich den jeweils ausgewählten Ast mit einem Seil, das ich am Stamm festband. Von der Leiter aus, mit einer kleinen elektrischen Motorsäge ausgerüstet, schnitt ich den Ast ab und ließ ihn danach – zur Zufriedenheit des Hausbesitzers – am Seil sanft zu Boden gleiten. Pflanz von gestern? Beileibe nicht: 2018 wurde ich Zeuge, wie in einer TV-Werbung die Frage aufgeworfen wurde, ob der schönste Teppich draußen Flecken (sprich «artfremdes Gewächs») haben darf. Dieses urbane Rasenbesitzer-Bashing darf aber nicht dazu führen, den Umgang mit Pflanzen in der ruralen Landwirtschaft, der in so mancher Hinsicht noch schlimmer ist, zu vernachlässigen.
Im Mostviertel, wo ich in einer Bauernwelt (damals vor allem Milchwirtschaft) aufgewachsen bin, wurde an Pflanzen mit wenig Nährwert oder gar schädlichen Eigenschaften für das Rindvieh kein gutes Haar gelassen. Unkraut, ­alles nichts wert, also vernichten, ausmerzen mit allen möglichen Mitteln, notfalls auch mit giftiger Chemie. Dabei entpuppt sich der Anspruch auf eine ordentlich gepflegte Landschaft allzu oft als Sackgasse. Der verhängnisvolle Bibelspruch «Macht euch die Erde untertan» (der wahrscheinlich gar nicht so stimmt) wurde bzw. wird noch immer als ein Aufruf zur Bekämpfung des «Wildwuchses» bzw. zur «Verschönerung» verstanden. Letzteres bedeutet jedoch oft, alles zurechtzustutzen und zu ordnen, nach ­einer menschlichen Betrachtungsweise, die öfters fundamentale Naturgesetze ­außer Acht lässt.

Auf der Hube: Alles da, wirklich wahr!

Die Menschheit hat über ­Jahrtausende gelernt, die Pflanzenvielfalt zu ­nutzen. Selbst unser kleiner Bauernhof mit wenigen Hektar Grund und einem Mini-­Wald brachte seinerzeit, «When I Was Young» (Eric Burdon & The Animals lassen grüßen) pflanzliche Nahrungsmittel hervor, deren Fülle mich erst jetzt im Rückblick überrascht – ­dabei zählten wir beileibe nicht zu einem Vorzeigebetrieb. In der Folge eine Aufstellung aus dem Gedächtnis heraus, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.

• Im Garten: Küchenkräuter (Peter­silie, Schnittlauch etc.), Erdbeeren, Rote und Gelbe Rüben, Gurken, Zwiebeln, Knoblauch, Weiß-/Rot-Kraut, Bohnen, Fisolen, Karotten, Karfiol, Kohlrabi, Rhabarber, Paradeiser, Sellerie, Salbei, Grüner und Endivien-Salat.
• Ums Haus herum Ribisel, Holunder, Walnüsse, Kürbis, Kren (Meerrettich) und ein Pfirsichbaum, der geschützt vorm Küchenfenster wuchs, war weit und breit der Einzige seiner Art: Unvergesslich geschmackvoll die ersten Früchte.
• Auf den Feldern: Mohn, Kartoffeln, Zuckerrüben, Hafer, Gerste und Weizen, Kirschen, Zwetschken, Pflaumen, Kriecherl, Birnen, Äpfel (mindestens zehn Sorten).
• In der näheren Umgebung: Haselnüsse, Pilze, Himbeeren, Brombeeren. Walderdbeeren, beinahe kübelweise fanden wir sie damals in der «Steigerhofhalde», mit dem von der Kuhmilch abgeschöpften Rahm eine Köstlichkeit, von der ich noch immer träume. Die Aussicht, dies nochmals genießen zu können, ist gleich null. Da bleibt mir als Ersatz nur der Uhudler, weil der im Abgang zumindest flüchtig den Walderdbeergeschmack mitbringt, und das wundervolle Lied «Naturgeschichte» der steirischen Band Broadlahn, insbesondere mit der folgenden Strophe:

[…] aussi durch gras rennst blossfüaßig / zu di ribisel hin zu de haselnußstaudn / beim walnußbam do host dei mahl / an frischn apfel und a nuss / und unta de stana im gartn san goldlaufkäfer und regenwürm / siachst de moos aufm dach von da ladenhüttn / beim kriecherlbam, kost nagowitzerbirn / beim küahhiatn findst auf da wiesn nebm / a lackn in der klane viecher lebm / de ma erst siacht wenn ma lang, lang einischaut.

Die im Lied zu Ehren ­gekommene ­Nagowitzer-Birne gab es auch bei uns, in der Erinnerung eine sehr kleine Frucht, aber mit einem ganz eigenen, köstlichen Geschmack, den ich jedoch leider nicht mehr beschreiben kann. Leicht und schwungvoll zu genießen und gut verpflanzt in meinem musikalischen Beet ist jedoch die Gartenlust, die Laura Mvula auf den Flügeln eines Schmetterlings im Song «Green Garden» zum Besten gibt. 

PS: Diese «Pflanzgeschichte» ist hier nur in stark verkürzter Form zu lesen. Der ­Autor möchte sie in voller Länge mit all den anderen schon im «Augustin» veröffentlichten «Bauernhofgeschichten» in einem Buch herausgeben. Interessent:innen bitte
unter taotan@gmx.at anmelden.

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