So nah und doch so fernArtistin

Roman

Der Ohrid- und der Prespasee sind in Westeuropa mehr oder weniger unbekannt. Welche Kleinodien im gebirgigen Grenzland zwischen Nordmazedonien, Albanien und Griechenland im Verborgenen liegen, zeigen gegoogelte, farbenprächtige Fotos: Postkartenidylle pur. Doch Kapka Kassabova räumt rasch mit Schönfärberei auf, indem sie schildert, wie der Regen die Farben aus den Seen fischt, und erzählt, wie über Jahrhunderte hinweg kriegerische Auseinandersetzungen dominieren. Dabei war und ist die Region auch ein Bindeglied zwischen Orient und Okzident. Doch die zahlreichen Ethnien befinden sich, angestachelt von der Lokalpolitik, von den Religionen und Großmächten, mehr im Widerstreit als im fruchtbaren Austausch. Die über 40 Jahre dauernde Herrschaft von Enver Hoxha in Albanien sticht dabei besonders grausam heraus. Keine Familie scheint ihr Glück zu finden, viele gehen frustriert ins Exil, nur wenigen gelingt die Flucht, viele werden verhaftet, müssen Zwangsarbeit leisten oder werden gar ermordet. Die Autorin hat es selbst von Sofia nach Neuseeland und dann nach Schottland verschlagen, doch sie kehrt öfters zu ihren familiären Wurzeln am Ohridsee heim, wo sie in vielen berührenden Begegnungen eine ungeheure Fülle an Schicksalen und historischen Ereignissen ausbreitet. Zu guter Letzt plädiert sie für ein friedliches Miteinander, das noch weitgehend der Umsetzung harrt.

Kapka Kassabova: Am See
Reise zu meinen Vorfahren in Krieg und Frieden
Verlag Paul Zsolnay 2021
416 Seiten, 26,80 Euro