«So verlässlich»vorstadt

Lokalmatadorin

Silvia Aschauer gibt ihr Wissen gerne weiter. Sie leitet die Nähwerkstatt der Nachbarinnen. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).

Bei der Politik wären sie schon einmal «streitert» geworden. Erzählt die im Weinviertel bodenständig aufgewachsene und in Wien schnell integrierte Schneidermeisterin, die sich selten ein Blatt vor den Mund nimmt, die aber auch nie von oben herab argumentiert. Auch deshalb genießt Silvia Aschauer bei den Frauen in der Nähwerkstatt der Nachbarinnen volles Vertrauen. «Am Ende unserer Debatte haben wir uns alle wieder in die Augen schauen können», betont sie.

Die «Nachbarinnen», so nennt sich eine der effizientesten Hilfsorganisationen für Frauen in Wien. Ihre zu Integrationszwecken eingerichtete kleine Schneiderei befindet sich in einem Haus am Tannhäuserplatz. Der rote Faden des Miteinanders geht hier durchs Nadelöhr.

Silvia Aschauer vermittelt den Frauen an den Nähbänken, drei von fünf tragen Kopftuch, nicht nur Kniffe der Haute Couture, sondern auch in kleinen Dosen das hiesige Benimmwerk. Sie tauscht sich mit ihnen zudem in Sachen Kulinarik, Familie, Partnerschaft, Werte und Religion aus. Und sie sagt begeistert: «Dabei habe ich viel Neues erfahren.»

Heute wird nicht politisiert. Fesche Herren-Stofftaschen für eine Fashion-Show in Wien, Lavendelsterne für ein Modemagazin, Bettwäsche für ein Kunstprojekt: Auftragsarbeiten da wie dort. Die Zeit drängt. Doch Hektik scheint für die Nachbarinnen ein Fremdwort zu sein.

In Gösing, Absdorf und Hippersdorf hat die Werkstättenleiterin gelebt, ehe sie endgültig nach Wien übersiedelt ist. Der schroffe Hinweis, dass Frauen nicht dieselben Berufe ausüben sollen wie Männer, ist ihr übrigens nicht fremd. Das Tragen eines Kopftuchs und der Glaube an einen Allmächtigen kennt sie ebenso von daheim.

Was die 51-Jährige mit niederösterreichischem Migrationshintergrund vom Gros ihrer Landsleute deutlich unterscheidet, ist ihre Offenheit gegenüber jenen, die anders sind als die Mehrheitsgesellschaft.

Die Frauen mit und ohne Kopftuch vertrauen ihr. Und legen sich für sie ordentlich ins Zeug. Was nie lange unbemerkt bleibt. «Es ist heute wirklich eng mit der Zeit», sagt Aschauer auffallend entspannt. «Doch sie werden mit allem rechtzeitig fertig. Sie sind ein Wahnsinn, so fleißig, so verlässlich. Da könnte sich so mancher ein Beispiel nehmen.»

Die Schneidermeisterin weiß, was arbeiten bedeutet. Der Mutter gehorchend, wurde sie nicht Chemikerin und auch nicht Technische Zeichnerin. «Für meine Mutter waren das reine Männerberufe.» Sie besuchte viel mehr die damals so bezeichnete «Modeschule für Damenkleidermacher» in der Herbststraße. Nach dem Abschluss hat sie bis zum Tod des bekannten Wiener Modedesigners Fred Adlmüller elegante Abendkleider genäht, insgesamt sechs Jahre lang. Ihre Aufgabe: «Haute Couture für Modeschauen und betuchte Kundschaft. Wir haben ja fast alles mit der Hand genäht. Deshalb hat so ein Kleid damals auch gut 100.000 Schilling gekostet.»

Immer unerreichbar für eine begabte und fleißige Schneidermeisterin, denn ihr Gehalt war auch in den Boutiquen, in denen sie später genäht hat, alles andere als exklusiv.

Der frühe Tod ihres Mannes, ihr unverschuldeter schwerer Autounfall sowie unfassbare Misswirtschaft bei einem stadtbekannten, von der Gemeinde geförderten Sozialbetrieb, bei dem sie mit psychisch Kranken genäht hat: Mehrfach hat sie den Saum der Gesellschaft hautnah erlebt. Doch die Krisenerprobte, die für ehrlichen Respekt mehr übrig hat als für geheuchelte politische Korrektheit, kam jedes Mal zurück in die Erfolgsspur.

Seit bald zwei Jahren stellt sich die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen Tag für Tag der Aufgabe, anderen Frauen zu helfen. Vorrangiges Ziel ist deren Tuchfühlung mit einem gut integrierten, von anderen respektierten Leben.

Sie ist damit ausreichend beschäftigt: Öfters hakt es bei den Nachbarinnen nicht an der Nähmaschine, sondern in ihren Familien. Es ist dort nicht selbstverständlich, dass die Frau außer Haus beschäftigt ist, während ihr Mann ohne Arbeit zu Hause sitzt. Eine Teilnehmerin erzählt, dass sie lange darum gekämpft hat, arbeiten gehen zu dürfen. «Mein Mann war am Anfang so eifersüchtig, dass er mich ständig angerufen hat.» Das hat sich in der Zwischenzeit gelegt. Sie sei nun stolz, ihr eigenes Geld zu verdienen.

Silvia Aschauer weist hier auf einen wunden Punkt hin, über den lange hinweg gesehen wurde. Die Leiterin der Nähwerkstatt sagt selbstbewusst: «Wer bei uns bleiben möchte, der soll nicht nur die selben Rechte haben wie wir, der muss auch die Pflichten akzeptieren, die für alle gelten.»

Sie will aber auch die hiesige Politik nicht aus ihrer Pflicht entlassen: «Sehen Sie doch nur, wir zeigen hier im Kleinen, wie Integration gut funktioniert. Es wäre daher längst an der Zeit, dass solche zivilgesellschaftlichen Initiativen im größeren Rahmen von der öffentlichen Hand gefördert werden.»

Mittags bald. Das Tagwerk der Nachbarinnen nimmt an allen Nähbänken konkrete Formen an. Zwei Frauen gehen jetzt einkaufen. Es wird dann gemeinsam gekocht und gegessen. Und die Leiterin der Nähwerkstatt sagt erneut anerkennend: «Sie kochen besser.»


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