Der 40. Jahrestag der Arena nähert sich
Kinder, wie die Zeit vergeht! Diese Erkenntnis wird im kommenden Jahr viele quälen, wenn die Erinnerungen, Analysen, dummen und klugen Kommentare zum 40. Jahrestag der Arena-Besetzung auf sie einstürmen werden. Reminiszenz zum Quadrat: Dieter Schrage, intensiv teilnehmender Beobachter des Kampfs um die Arena, wäre im Juni 80 geworden. Im Folgenden ein Auszug aus einem Buch Robert Sommers über Schrage («Der halbstarke Dozent»), das im Frühjahr 2016 herauskommen wird.
Foto: Robert Newald
«Die Schmetterlinge» führen in der Arena die «Proletenpassion» auf
Die einen langen anarchistischen Sommer währende Schlacht gegen den geplanten Abbruch des Wiener Auslandsschlachthofes ist vor allem von den Intellektuellen dieses Sommers als die um acht Jahre verspätete österreichische Variante des 68er-Aufruhrs bezeichnet worden – möglicherweise aus ihrem schlechten Gewissen heraus, weil sie es 1968 nicht geschafft hatten, einen adäquaten Wiener Beitrag zum globalen Aufschrei beizusteuern. Der als «Arena-Besetzung» bekannt gewordene Sommer der Anarchie hatte eigentlich diese «Veredelung» zum Wiener Ausläufer der 68er-Revolte nicht nötig. Die Arena hatte ihre spezifische Qualität. Wien bekam eine «Stadt in der Stadt», die internationale Beachtung fand (was sich auch in Gratis-Solidaritätskonzerten internationaler Musik-Stars, siehe unten, ausdrückte). Die Bewohnerschaft dieser «Stadt in der Stadt» fand den soziologischen Analysator, den sie verdiente. «Wer trug die Besetzung?» So lautete Schrages Fragestellung, und seltsamerweise nahmen selbst die Mainstream-Medien, wie wir später hören werden, Abstand von ihrer herkömmlichen Praxis, «linkslinke Chaoten» als Träger_innen zu konstruieren. Bereits in der ersten Nacht der Besetzung schliefen auch Arbeitslose, Lehrlinge und junge Arbeiter_innen in der leerstehenden Industriearchitektur. Es kam dann vor allem zu einem Zustrom von Jugendlichen aus dem Arbeiterbezirk Simmering, zumal es bald ein «Simmeringer Haus» im okkupierten Komplex gab, als Hommage der Arena-Leute an jene proletarischen Jugendlichen, die 1975, ein Jahr vor der Arena-Rebellion, zehn Tage lang ein Simmeringer Abbruchhaus behaupteten und es gegen die Übermacht von Polizei und Bagger verloren.
Zum Selbstverständnis der Arenaut_innen gehörte, dass Werktätige und Studierende den Weg zur Utopie gemeinsam beschreiten müssten. Hier habe er eine entscheidende Schwäche der Bewegung ausgemacht, erklärt uns Dieter Schrage: Die Jugendlichen aus den Gemeindebauten des elften, zehnten und dritten Bezirks blieben mehrheitlich der Arena fern. Anspruch und Realität fielen weit auseinander. Wohl zwecks politischer Korrektheit (diesen Ausdruck kannte man damals freilich noch nicht) romantisierte ein Sprecher der Besetzer_innen aus der Arbeiterklasse das soziale Klima in der Arena: «Hier redet ein Student mit einem Arbeiter und ein Lehrling mit einem Künstler. Da sind so viele Möglichkeiten, mit Leuten ganz normal zu reden, ohne Vorurteile. Es gibt so irrsinnig viele Vorurteile, die man abbauen muss.» Das Simmeringer Haus zerfiel nach wenigen Wochen, erklärt Schrage, weil seine Nutzer von der Majoriträt der jungen Simmeringer_innen isoliert blieben, aber leider scheiterte es auch an den internen Auseinandersetzungen zwischen den Cliquen. Schrage erinnerte sich an eine Bemerkung eines jungen Arbeiters: «Nach einer größeren Schlägerei im Simmeringer Haus sagte einer der Involvierten einen bezeichnenden Satz zu mir: Du hast es ja leicht. Brauchst nur zum Mikrofon gehen, wenn du was sagen willst. Aber unsereins kann nur hinhauen.» Und hingehauen haben sie dann wirklich sehr oft, fügte Schrage hinzu. Zu einer Eskalation kam es, als schließlich einige der «Simmeringer» als bezahlte Schläger der NDP wirkten, die die Arena überfiel und die Besetzer_innen zwangen, eines ihrer wichtigsten selbst aufgestellten Regeln zu brechen: «Wir lösen Konflikte unter uns und werden nie die Polizei einschalten.» Kiwara san kane Hawara, steht heute auf der Fassade des EKH, als Imperativ der Autonomen. Schmarrn: Die NDP musste mit Polizeihilfe aus dem Verkehr gezogen werden.
Bob Downes, Leonard Cohen, John McLaughlin etc.
Die Romantiker_innen einer Überwindung der Klassengegensätze in der «Republik» Arena schöpften Hoffnungen, als Motorrads-Clubler, von allen «die Rocker» genannt, in der Arena ihr Motorradhaus errichteten. Sie nahmen aber bald an keinem Plenum mehr teil und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Dieter Schrage zog das Arena-Resümee: «Insgesamt war es uns nicht gelungen, eine tragfähige Einheit zwischen den größeren Teilen der Jugendlichen aus den angrenzenden Bezirken und der Arena-Besetzung herzustellen. Getragen wurde die Arena-Besetzung, die ja nur durch die Tag-und-Nacht-Anwesenheit von jeweils hundert bis zweihundert Personen funktionierte, trotz der genannten Probleme zu einem guten Teil von Jugendlichen, die in der Nähe lebten. Schrage gliederte die Besetzer_innen in einen «harten Kern», deren Mitglieder ständig, auch nächtens, in der Arena waren; einen größeren Kreis der Engagierten, die für die Arena mit großem Einsatz arbeiteten, oft bis spät in die Nacht hinein, die aber hier nicht schliefen; den umfangreichen Kreis der Sympathisant_innen, die in regelmäßigen Abständen zu den Vollversammlungen oder politischen und kulturellen Veranstaltungen kamen; schließlich die große Anzahl der Wochenend-Besucher_innen. Bei den wichtigen Arena-Tagen im Juli, August und September 1976 waren bis zu 10.000 Menschen im Gelände.»
Dem harten Kern, so Schrage, gehörten wenige Künstler_innen und Menschen mit Migrationshintergrund an (dieser Begriff war damals noch nicht in Verwendung), aber viele Arbeitslose, Haftentlassene und Deklassierte; auch viele Frauen aus feministischen Gruppierungen. Intellektuelle waren vor allem im Sympathisant_innen-Kreis massenhaft vertreten. Die rund 50.000 Personen (Schrage augenzwinkernd: «Auf unseren Flugzetteln hatten wir zuletzt von 70.000 gesprochen»), die die Forderung nach dem Verbleib des Sozial- und Kulturzentrums unterzeichneten, wurden von der Arena-Bewegung für sich reklamiert, auch wenn viele Unterzeichner_innen nur einen einzigen Tag am Gelände waren. Zur Bewegung zählten schließlich auch die politischen Organisationen, die sich als solidarisch mit dem Kampf gegen den Abriss des Auslandsschlachthof erklärten. Schrage nannte die Österreichische Hochschülerschaft, die Katholische Arbeiterjugend und den Kommunistischen Bund (eine maoistische Gruppierung, R. S.). Auf Menschen ohne Wohnung, darunter Drogen- und Alkoholsüchtige, wirkte der Freiraum Arena wie ein Magnet. Unter ihnen, aber auch zwischen den Engagierten der Bewegung und den Mitgliedern marginalisierter Gruppen, kam es immer häufiger zu Konflikten. Besonders schwer mit diesem deklassierten Milieu taten sich die Mitglieder der KPÖ in der Arena. Sie isolierten sich laut Schrage nicht nur aus diesem Grund vom Arena-Plenum, sondern auch, weil sie allzu deutlich Parteiinteressen in den Vordergrund rückten («Ein Kommunist muss ins Komitee!»). Andrerseits waren mit der KPÖ verbundene Künstler_innen bis zum Schluss allgemein akzeptierte Träger_innen der Bewegung.
Schrage verschaffte uns auch einen Überblick über die Künstler_innen des Arena-Aufstandes. Dass selbst die bürgerlichen Massenmedien von der ersten Stunde an positiv über die Arena-Bewegung berichteten, sei vor allen den solidarischen Auftritten der Künstler_innen zu verdanken. Die Live-Acts internationaler Größen wie Bob Downes, Leonard Cohen und John McLaughlin beförderten das gute Verhältnis zwischen Presse und Besetzer_innen. Allerdings war eine Kluft zwischen den Konzertbesucher_innen und den Arena-Besetzer_innen spürbar. Das konsumistische Verhältnis der Musikfans zur Arena war evident. Dem politisierten Kern der Arena-Aktivist_innen fehlte die Energie zur Auseinandersetzung mit diesem sich solidarisch gebenden Konsumismus, weil ein Großteil der Energien in den zermürbenden Auseinandersetzungen mit der Gemeinde Wien verpuffte.