Sommer ohne Pommes?tun & lassen

Frauenkörper und Bademode

Ist mein Körper bikinitauglich? Ist meine Gesellschaft burkinitauglich? Über Frauenkörper und was sie zum Baden tragen, werden Kämpfe aller Art ausgefochten. Lisa Bolyos über Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten des Sommers.

Illustration: Nanna Prieler

Ein Sommer ohne Pommes ist kein richtiger Sommer. Trotzdem ist ein hoher Anteil der sonnenbadenden Frauen unfähig, sich an ihnen zu erfreuen: Sie sind der Inbegriff von Fett und Genuss, das Gegenteil von Bikinidiät und Fit for Fun.

Schönheit konstruieren


«Liebe Dich so wie Du bist», steht auf Postkarten, die für «Freundschaft mit dem Körper» werben. In kunstvollen Doppelbelichtungen umarmen Frauen unterschiedlichen Alters sich selbst. «Es kam oft die Rückmeldung, die abgebildeten Frauen seien extra schön. Aber das waren ganz normale Bekannte von uns, mit ganz normalen Kleidergrößen, und sie sind nicht retuschiert», erzählt Rahel Jahoda. Die klinische Psychologin und Psychotherapeutin hat vor etwas mehr als zehn Jahren Intakt, ein Therapiezentrum für Menschen mit Essstörungen, mitgegründet.

Körperideale sind nicht nur ständigen Konjunkturen, sondern auch den Konditionen des Marktes ausgesetzt. Zwar machen Modeketten immer wieder Werbelinien mit nicht-mageren Frauen, was Rahel Jahoda begrüßt, denn «Bilder schaffen auch Wirklichkeit in unseren Köpfen», aber der Trend zur «dünnen, weißen Frau» bleibe weiterhin dominant. Twiggy, dieses magere Model, ist nicht Vergangenheit? «Das glaube ich nicht. Twiggy ist vielmehr zur Normalität geworden. Früher gab es die eine Twiggy, heute gibt es einen ganzen Haufen».

Mit dem eigenen Körper zufrieden zu sein, ist ein Lernprozess, sagt Maira Caixeta aus eigener Erfahrung. Caixeta ist Anfang zwanzig, sie ist Poetry-Künstlerin, fotografiert und studiert Kunst. In dem Projekt «Das Leben hat Gewicht» hat sie sich mit mehreren Mitstreiter_innen mit den Funktionen von «Bodyshaming» beschäftigt, also mit der Diskriminierung aufgrund von körperlichen Eigenschaften. «Mit sechzehn wollte ich meine Haut bleichen, meine Haare glätten, mein Aussehen so modifizieren, dass es in europäische Standards passt, ich hab extrem unter Bulimie und Anorexie gelitten. Und irgendwann hat es mir gereicht. Auf meiner Suche nach Lösungen bin ich auf zwei Ansätze gestoßen: Body-Positivity und Antirassismus.» Plötzlich habe sie verstanden, woher der Wunsch, anders zu sein, die ganze Zeit gekommen war. «Schönheit ist ein Konstrukt! Wenn man das weiß, kann man es zumindest ein bisschen selbst in die Hand nehmen.»

Gewalt ausüben


Unter den psychiatrischen Erkrankungen ist Anorexie jene mit der höchsten Mortalitätsrate. Rund ein Drittel der Patient_innen überleben die Krankheit nicht. Das liege einerseits daran, dass der Körper im Verlauf der Krankheit relativ plötzlich zusammenbreche, andererseits an dem erhöhten Selbsttötungsrisiko, sagt Rahel Jahoda. «Wenn ich nicht an Heilungsmöglichkeiten glauben würde, würd ich nicht mehr da sitzen. Aber natürlich, manchmal ist es auch eine Sterbebegleitung.» Im Netz gibt es so genannte «Pro-Ana»-Foren, kurz für «Pro Anorexie», in denen hauptsächlich junge Frauen sich darüber austauschen, wie sie Anorexie bekommen könnten. Eine Nutzerin schreibt: «Ich bin 18 und ich hasse den Körper, in dem ich bin. Ich schau mich an und möchte weinen. Ich nehme jegliche Tipps an, wie ich Ana bekommen kann.»

Wieso greift man mit Gewalt auf den eigenen Körper zurück? Essstörungen entstehen durchaus unter dem Druck von Schönheitsvorstellungen, aber bei weitem nicht nur dadurch, sagt Jahoda: Oft gehe es darum, den Körper gegen Übergriffe zu schützen, ihn der Außenwelt zu verweigern. «Wenn ich sonst auch über nichts mehr Kontrolle habe, aber über meinen Körper hab ich sie.» Bulimie könne man auch im übertragenen Sinne als «Freikotzen» verstehen. Sich den Platz nehmen, den man nie bekommen hat, sei wiederum eines der «Motive» hinter der Binge Eating Disorder, die bisher nicht als eigenständige Krankheit anerkannt ist. «Um Essstörungen vorzubeugen, sollte man sehr früh anfangen: Körperwahrnehmung schulen, was brauche ich, woher bekomme ich das, wohin wende ich mich, wenn es mir schlecht geht.» Denn dass Essen im Rahmen von Trost oder Bestrafung eingesetzt wird, beginnt oft schon in den ersten Lebensmonaten. Tendenziell werden die Menschen, die an Essstörungen erkranken, immer jünger. «Wir bekommen manchmal Anrufe von Volksschullehrerinnen.»

An- und Ausziehen


Nicht nur der (Frauen-)Körper ist ständiges Kampffeld medialer und gesellschaftlicher Debatte. Auch was er trägt oder nicht trägt, ist ein Dauerbrenner. Der letzte Sommer ohne Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz hat begonnen, die Burkini-Debatte ist ebenso abgeebbt wie die lokale Aufregung darüber, dass das Badeschiff Burkiniträgerinnen freien Eintritt gewährt. Der Burkini wurde übrigens 2003 in Australien von der Designerin Aheda Zanetti entwickelt. In die Verbotsdebatte in Frankreich mischte sie sich mit klaren Worten ein: «Ich glaube, ihr habt da was missverstanden. Der Burkini steht für Freizeit, Spaß und Sportlichkeit, und ihr wollt Frauen zwingen, vom Strand zurück in die Küchen zu verschwinden?» Seinen kleinen Bruder, den Bikini, gibt es auch nur ein paar Jahrzehnte länger: 1946 wurde er vom Designer Louis Réard gezeichnet, patentiert und nach dem Bikini-Atoll benannt, auf dem die USA Atomwaffentests durchführten. Bis er es in den 60er-Jahren langsam zum Massenartikel schaffte, war aber auch der Bikini mehrfachen Verboten unterworfen – unter anderem an der französischen Atlantikküste. Ein gewitzter Beitrag zur Burkinidebatte waren jene Schwarzweißfotos, auf denen die französische Polizei «nur» mit Bikini bekleidete Frauen vom Strand zu vertreiben versucht.

Während in der muslimischen Kleidungsdebatte gern die Frauenbefreiung als Ursuppenwürze der Demokratie propagiert wird, erhitzt auch der sommerlich entkleidete Frauenkörper nach wie vor die Gemüter. Im Restaurant des Schönbrunnerbads kam es kürzlich zu einem Eklat über einen nackten Busen: Der war zum Stillen eines Säuglings ausgepackt worden, was dem Gastronomiemanagement als Affront erschien. Barbusigkeit ist bei allem Verhüllungsverbot nun auch kein Anblick, dem man das prüde Badevolk aussetzen darf.

Freischwimmen


Wie schwimmt man sich von all den Zwängen frei, die von außen und innen den Körper bedrängen? Erst einmal muss man verstehen, dass auch der eigene Schönheitsbegriff «mit Kondition zu tun hat», meint Maira Caixeta. Er ist angelernt, im besten Fall also auch wieder verlernbar. Und die Zeit, die man mit Sorgen um den idealen Körper und seine Verkleidungen verbringt, wäre besser in Karriere oder Freizeitvergnügen investiert: «Sich all diese Gedanken zu machen, bindet wahnsinnig viel Energie», sagt Rahel Jahoda. «Da haben die Frauen sich emanzipiert, und jetzt gibt es eine neue Möglichkeit, uns in ein Korsett zu drängen.» Maira Caixeta beschreibt Selbstakzeptanz als Befreiungsschlag: «Man muss lernen, den Körper zu nehmen, wie er ist – weil das ist halt der eine, den man hat.»