Sonnenaufgang über AssisiDichter Innenteil

Der heilige Franziskus und seine Familie

Der Theologe und Autor Adolf Holl verfasste auf Wunsch der Augustin-Redaktion Hintergründiges zu Franz von Assisi. Anlass dafür ist die liturgische Posse mit Gesang Transkatholische Vögel, die im brut-Theater Mitte Oktober über die Bühne gehen wird (siehe Seite 28 der Ausgabe 260).Eine wollene Kutte, ein Strick um den Bauch, Unterhosen. Mehr wollten wir nicht haben. Mit diesem Vorsatz wanderten vor achthundert Jahren zwölf junge Männer aus Assisi nach Rom, um vom Papst die Erlaubnis zum Predigen zu erwirken.

Einer von ihnen, Francesco Bernardone, wurde weltberühmt. Die Minderbemittelten (minores), wie er seine Genossenschaft nannte, waren zwanzig Jahre später zu einer Familie von zahlreichen Männern und Frauen geworden. Ans Heiraten dachten sie nicht, weil es mit Besitzansprüchen verbunden ist.

Francesco starb im Alter von 44 Jahren. Sein Leben ist rasch erzählt. Man erfährt, dass er mit zwanzig Jahren an einem Waffengang Assisis mit der Nachbarschaft Perugia teilnimmt und in Gefangenschaft kommt. Nach seiner Befreiung ist er längere Zeit krank, bleibt nach seiner Genesung eher in sich gekehrt, sucht die Einsamkeit und unternimmt auch eine Wallfahrt nach Rom. Dann redet ein Kruzifix zu ihm, und er beschließt, ein verfallendes Kirchlein in der Nähe von Assisi zu restaurieren. Zu diesem Zweck verkauft er einen Ballen Tuch aus dem Geschäft seines Vaters, wird von diesem zur Rede gestellt und muss das Geld zurückgeben. In einer Art Verhandlung vor dem Bischof von Assisi sagt Franz sich von seinem Vater los, bleibt jedoch in der Umgebung seiner Heimatstadt, lebt von Almosen und arbeitet an der Renovierung verlassener Kapellen. Mit sechsundzwanzig Jahren weiß er, was er will. Er beginnt, öffentlich vom erforderten Sinneswandel und der Friedfertigkeit zu sprechen, er lebt als Asket. Bald hat er mehrere Genossen. Im Jahr 1209 gelingt es ihm, eine Audienz beim Papst zu bekommen, der seine Absichten billigt und ihm das Predigen erlaubt. Während der nächsten zehn Jahre führt Franz ein Wanderleben, er kommt bis Dalmatien und Spanien, schließlich nach Palästina, ins Heilige Land. Von dort ruft man ihn dringend zurück. Unter seinen Genossen, sie zählen bereits nach Tausenden, ist es zu Auseinandersetzungen gekommen, es gibt Fraktionen. Franz ernennt einen Stellvertreter und verzichtet damit auf die Führung. Seine letzten Jahre verbringt er, durch Krankheiten geschwächt, häufig an abgelegenen Orten. Er gibt die Zustimmung zu einer schriftlichen Regel. Während eines Aufenthaltes auf einem einsamen Berg brechen an seinen Händen und Füßen die Wunden des gekreuzigten Christus auf. Er stirbt, nahezu blind und völlig entkräftet, in seiner Heimat, als weitum verehrter Heiliger.

Bedürfnislosigkeit führt zum Wohlbefinden

Der Schlüssel zum Programm dieser Vorbildperson ist ihrer Selbsteinschätzung zu verdanken, die wohltuend knapp formuliert ist: Wegen meines seelischen und leiblichen Wohlbefindens habe ich die Bedürfnislosigkeit gewählt.

Das ließe sich auch buddhistisch lesen, wenn es nicht jenen Sprengstoff enthielte, den der evangelische Vikar und Historiker Paul Sabatier 1893 so formulierte: Wie in den meisten italienischen Städten gab es auch in Assisi Vornehme und Geringe. Franz gesellte sich mit voller Entschiedenheit zu den letzteren. Diese politische Seite seines Apostolates muss im Auge behalten werden.

Allen Genossen befehle ich, niemals Münzgeld in irgendeiner Form anzunehmen, auch nicht durch Mittelspersonen, so steht es in der vom Papst genehmigten Franz-Regel aus dem Jahr 1223, deren Original in der Schatzkammer von Assisi aufbewahrt wird.

Aus den Franz-Geschichten geht hervor, dass dieses Geldverbot kein theoretisches Konzept war. Öfter war das Geld in verschiedenen Erzählungen als Kot bezeichnet, als Exkrement. Franz ekelt sich vor den Münzen, die seinem Herrn Vater so wichtig waren. Man liest, wie eine mildtätige Seele ein Beutelchen mit Münzen auf den Altar der Kapelle legte, neben der Franz mit den ersten Gefährten lebte. Ein Genosse beförderte das Geld vom Altar in eine Fensternische, und machte damit einen schweren Fehler, weil er dazu seine Hände benutzt hatte. Franz wies ihn an, den Beutel mit den Zähnen zu packen und so auf den nächsten Misthaufen zu befördern.

Franzens Friedfertigkeit ist mit der Ethik ohne Eigentum eng verbunden, und zwar so: Der Bischof von Assisi, den Franz gelegentlich konsultierte, nahm ihn stets freundlich auf. Doch sagte er gerne: Euer Leben erscheint mir hart, und nichts Irdisches zu besitzen, schwer! Darauf Franz: Wollten wir etwas besitzen, dann müssten wir auch Waffen zu unserer Verteidigung haben. Daher kommen ja alle Kämpfe und Streitereien, und verhindern die Liebe. Deshalb wollen wir nichts besitzen.

In seinem Testament schrieb Franz: Mir wurde geoffenbart, dass wir einander auf diese Weise begrüßen sollen: Der Herr gebe dir Frieden. Tatsächlich bediente sich Franz von allem Anfang an dieser Formel. Er leitete mit ihr seine Predigten ein, und die Ermahnung zur Friedfertigkeit und Versöhnungsbereitschaft bildete den Kern seiner öffentlichen Unterweisungen. Als er seine ersten Genossen zum Predigen auf die Reise schickte, trug er ihnen auf, den Menschen die Friedensbotschaft zu bringen.

Der Nomade Franz

Ferner bestand Franz auf einer prinzipiell beweglichen Lebensform. Ähnlich wie der Buddha wehrte sich Franz gegen die Errichtung fester Häuser für seine Genossenschaft, am liebsten waren ihm provisorisch errichtete Unterkünfte aus Lehm und Zweigen im Wald, eine halbe Gehstunde vom nächsten Dorf entfernt.

Als Franz einmal, es war in Rom, das Anerbieten eines Kardinals annahm, in einem halbwegs bequemen Turm zu übernachten, gab es sofort eine Strafe. Dämonen, so wurde es erzählt, kamen des Nachts und verprügelten Franz fürchterlich.

Eine weitere Tugendhaltung im Lebensprogramm Franzens wird üblicherweise Demut genannt. Ich nenne sie lieber Unscheinbarkeit. Franz hat die Sache, um die es hier geht, so ausgedrückt: Schaut euch die Lerchen an! Unscheinbar und fröhlich suchen sie am Wegesrand ihre Körner. Sie fliegen zum Himmel empor, und singen dabei. Ihr Gewand hat die Farbe der Erde, und mit ihrer kleinen Kapuze am Kopf gleichen sie uns, den minderen Brüdern.

Die christliche Demut, humilitas, assoziiert man mit Gehorsamsbereitschaft; Franz hingegen denkt an die Erde, humus, die er im Federkleid der Haubenlerchen wiederfindet und eben auch in den erdfarbenen Kutten, wie man sie damals trug. Erdförmig soll sein der Wille zu unauffälliger Lebensführung, konträr zur Farbigkeit der Mode von Fürsten und Kardinälen, der Herren von damals, mit ihrem Hervortretenwollen. Tatsächlich war der Franz-Verein, in den ersten Jahren jedenfalls, prinzipiell egalitär, jeder Standesunterschied war verpönt, es gab keinerlei Befehlszentrale. Die einzige Verfassung, die Franz damals zuließ, bestand in ein paar Sätzen aus dem Evangelium.

Die letzte Maxime im franziskanischen Programm, simplicitas, im englischen simple noch erhalten, übersetze ich mit Lauterkeit, anspielend auf Meister Eckehart und dessen Rede vom lauteren Gemüt. In den Franz-Quellen ist in diesem Zusammenhang der Mut zur unverschleierten klaren Rede gemeint, das Unterscheidungsvermögen zwischen Kern und Beiwerk, das Misstrauen gegen Abstraktionen und Gedankenspiele, die Freude an einer genauen und knappen Sprache, am Mutterwitz, an der Schlagfertigkeit und der Direktheit.

Simplex heißt wörtlich einmal gefaltet, da ist die Eins drin, also Einfalt, Einfachheit, und damit eine reich und merkwürdig dokumentierte Sehnsucht nach dem Einen überhaupt, nach Verschmelzung der Gegensätze in der mystischen Union.

In der Liebe also. Im Leben Francescos verkörperte sie sich als adliges Fräulein aus einem Palazzo im Domviertel Assisis, das nicht heiraten wollte. Chiara di Offreduccio hatte in der Gefolgschaft Francescos einen Cousin, der diskrete Aussprachen arrangierte. Dann lief es ab wie im Kino: Die Mutter ist mit im Spiel, Chiara flüchtet in der Nacht nach dem Palmsonntag 1212 mit einer befreundeten Dame aus dem Elternhaus, lässt sich von Francesco, der mit seinem Verein im Wald unterhalb von Assisi auf sie gewartet hat, bei Fackelschein die Haare abschneiden und wird damit zu einer Entsagerin, unter dem Protektorat des Bischofs.

Eine Commedia im Sinne Dantes, der Francesco als Sonne pries, die in Assisi aufgegangen sei? Auf alle Fälle trat Chiara in diesem göttlichen Theater als ebenbürtige Partnerin Francescos auf, noch dazu ohne die geringste Spur von Hysterie und ohne die Wundmale Christi am Leib. Sie hat ihren Freund um 27 Jahre überlebt, bis die päpstliche Zusicherung der Besitzlosigkeit ihrer Frauenkommune auf dem Tisch lag.

Der Armutsstreit

Was damals passierte, hat die politische Ökonomie Europas als Armutsstreit hundert Jahre lang in Atem gehalten, bis zum Schiedsspruch des Papstes im Jahr 1323, der die These von der Besitzlosigkeit Jesu und der Apostel zur Häresie erklärte. Ohne Geld keine Musik.

Auch heutige Franziskaner haben Probleme mit Rom. Am bekanntesten wurde die Maßregelung des 1938 in Brasilien geborenen Theologen Leonardo Boff durch Joseph Ratzinger, den gegenwärtigen Papst. Es ging dabei, deutlicher als vor 800 Jahren, um kritische Umgangsformen mit den politischen Machtverhältnissen in Lateinamerika, um christlich inspirierte Parteinahme für die Bevölkerungen in den Elendsvierteln im Sinn des heiligen Franziskus, der es nicht ertrug, dass jemand ärmer war als er. Zum Vieraugengespräch mit seinem ehemaligen Doktorvater in Rom war Boff sicherheitshalber in Begleitung zweier Prälaten aus dem Franziskanerorden (Arns, Lorscheider) erschienen. Sie durften im Vorzimmer warten.

Boffs Zermürbung durch die Glaubenskongregation, der Ratzinger 1984 vorstand, ist hinlänglich dokumentiert. Erwähnenswert ist sie deshalb, weil sie ein spätes Licht auf jenen Vorgang wirft, der die letzten beiden Lebensjahre des Poverello bestimmte. Der Stein, auf dem jener Erzengel stand, der sich Francesco im September 1224 zu erkennen gab, ist in der Kapelle der Wundmale auf dem Berg La Verna (Toskana) zu besichtigen. Die Erscheinung glich einem schönen jungen Mann mit sechs Flügeln, deren mittleres Paar seitwärts ausgestreckt war, während die übrigen Paare nach oben und unten gerichtet waren. Das habe Francesco seinem engsten Freund und Begleiter Leo erzählt. Die Belehrungen durch den Engel behielt Francesco für sich. Sein profundes Glücksgefühl wich erst nach dem Verschwinden der Vision, als er die fünf Wunden Christi an seinem Körper entdeckte.

An der Stelle abgeschmackter Psychologisierungen des Geschehens (Autosuggestion etc.) darf hier auf dessen Realitätsgehalt hingewiesen werden. Francesco hatte begriffen, dass seine Ethik ohne Eigentum keine Massenbasis finden konnte, nicht einmal in seiner Bewegung. Deshalb die Identifikation mit dem Gekreuzigten. Die Gewissheit wiederum, das Richtige gewollt zu haben, blieb bestehen.

Und so begann Francesco ein Jahr vor seinem Tod zu dichten, im Klostergarten von San Damiano unterhalb von Assisi, wo seine Chiara lebte. Ein Lied zum Lob dieser Welt, Sterbenmüssen inbegriffen, der erste Text auf Italienisch, dessen Verfasser bekannt ist. Das Gedicht ist immer noch ein Labsal für trübe Stunden.