Wenn Care-Arbeit technologisiert wird
Roboterarme, die Babys schaukeln. Online-Coaching für Online-Dates. Die Technologisierung der Sorgearbeit schreitet voran. Vina Yun (Text) und Lisa Bolyos (Fotos ) haben die Ausstellung TechnoCare im Kunstraum Niederösterreich besucht.
Kennen Sie Paro, den Kuschelroboter? Oder den persönlichen Robotergefährten Pepper? Beide sind spezialisierte Serviceroboter, die insbesondere in Altenheimen und Spitälern die Pflegearbeit erleichtern sollen. Paro, ein Plüschmodell in Gestalt einer kleinen Sattelrobbe, wurde in Japan für den therapeutischen Einsatz bei demenzkranken Menschen entwickelt und bereits 2001 der Öffentlichkeit präsentiert. Das Robotertier verfügt über eine taktile Sensorik: Es reagiert auf Streicheleinheiten und Geräusche, indem es seine Flossen bewegt, mit den Augen zwinkert oder die quäkende Stimme eines Robbenbabys imitiert.
Weiblicher Dienst.
Auch der 2014 vorgestellte humanoide Roboter Pepper folgt mit seinen großen Kulleraugen, dem zierlichen Mund und den kindlichen Proportionen der niedlichen «Kawaii»-Ästhetik. Als «Companion Robot» konzipiert ist Pepper in der Lage, Emotionen beim menschlichen Gegenüber zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren. Während Pepper in Japan als «Junge» vermarktet wird, ist der Roboter andernorts «weiblich» – wie etwa in ausgewählten Filialen der hiesigen Supermarktkette Merkur Markt, wo Pepper als «Roboter Lady» oder «Robotermädchen» Kund_innen unterhält und informiert. Kein Zufall: Noch immer gelten Einfühlungsvermögen und positive Zuwendung als «weibliche» Qualitäten, das Sorgen und Versorgen von sich und anderer – wie etwa Kinderbetreuung, Alten- und Krankenpflege oder Hausarbeit – als Verantwortung von Frauen.
Pflegen, putzen, umsorgen.
Als Care- oder Sorgearbeit werden in der sozialwissenschaftlichen und feministischen Debatte jene Tätigkeiten und Aufgabenbereiche bezeichnet, die im weitesten Sinn mit Pflege und Versorgung verknüpft sind. Der Begriff «Care» betont dabei – im Gegensatz zum Begriff der Reproduktion – insbesondere den relationalen Charakter, sprich jene Beziehungen zwischen Menschen, die durch die Fürsorge hergestellt und kultiviert werden.
Den Großteil der Care-Arbeit leisten Frauen, zumeist unbezahlt und im Privathaushalt. Dass vor allem sie für Sorgearbeit zuständig sind, hat entscheidende Konsequenzen für ihr Berufsleben: Es schlägt sich primär in der Reduktion der Erwerbsarbeitszeiten nieder. 2018 waren rund 48 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Österreich in der Teilzeitarbeit, bei Männern lag der Anteil dagegen bei nur elf Prozent. Angesichts der Mehrfachbelastung geben manche Frauen die Erwerbsarbeit gar gänzlich auf. Verschärft wird die Situation durch den Umstand, dass staatliche Unterstützungsleistungen im Gesundheits- und Bildungssystem systematisch abgebaut werden, während die individuellen Anforderungen kontinuierlich steigen – weshalb in linken feministischen Debatten wiederholt von einer «Care-Krise» und der Notwendigkeit einer «Care-Revolution» die Rede ist.
Relevanz und Geringschätzung.
Obwohl Care-Arbeit, sei sie professionalisiert und bezahlt oder informell und unbezahlt, aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken ist, erfährt sie nur wenig Anerkennung. Stattdessen wird, wie etwa die Beispiele der Pflegeroboter zeigen, kräftig in die Technologisierung der Fürsorge investiert – ein Paradoxon, dem sich auch eine aktuelle Ausstellung im Kunstraum Niederösterreich unter dem Titel TechnoCare widmet. «Die gesellschaftliche Organisation von Care-Arbeit ist eines der drängendsten Themen unserer Zeit», sagt Katharina Brandl, die die Ausstellung zusammen mit der Tierethikerin Friederike Zenker kuratiert hat. «Nicht zuletzt deshalb bekommt das Thema auch in der zeitgenössischen Kunst immer mehr Aufmerksamkeit.»
Im Spannungsfeld zwischen der gesellschaftlichen Relevanz von Fürsorge und ihrer gleichzeitigen Geringschätzung reflektiert TechnoCare, wie «Sorge» und die damit verbundenen, oftmals ungleichen sozialen Beziehungen in unserer digitalen Gegenwart vermittelt werden. Zu sehen bzw. erleben sind die Arbeiten von über einem Dutzend heimischen wie internationalen Künstler_innen aus bildender Kunst, Performance und Medienkunst. In Kooperation mit dem Architekturzentrum Wien, das sich fast zeitgleich in seiner Ausstellung Critical Care mit dem «Sorgetragen» in Architektur und Urbanismus auseinandersetzt, stehen außerdem ein Workshop, Lecture-Performances, Podiumsdiskussionen sowie eine Doppelführung durch beide Kunstschauen auf dem Programm.
Roboter als Babysitter.
In der interaktiven Skulptur «Optimization of Parenthood, Part 2» der in den USA und Österreich lebenden feministischen Künstlerin und Hackerin Addie Wagenknecht spiegeln sich zugleich Utopie und Pessimismus: Ein Roboterarm schaukelt eine Babykrippe, je nach Bedarf mal langsamer, mal schneller. Konsequent weitergedacht könnte ein technisch «optimierter» Babysitter in Zukunft all jene repetitiven und drögen Aufgaben übernehmen, die vielen jungen Eltern Nerven und Schlaf rauben – und Müttern Zeit freischaufeln, damit sie ihrer beruflichen Tätigkeit weiter nachgehen können. Das Zukunftsversprechen ist indes ambivalent, denn unter dem Druck neoliberaler Leistungsideologie heißt es auch: immerzu kreativ und produktiv sein.
Das Bild des Roboters als Nanny rüttelt zudem an gesellschaftlichen Tabus, schließlich gilt das Aufziehen des Nachwuchses als «heilige» und ureigene Pflicht der Frau. Jedoch: Wer könnte sich einen solchen Roboter überhaupt leisten? An wen wird die Sorgearbeit delegiert, solange die Automatisierung von Care noch nicht marktreif ist? Und warum wird in der Altenpflege etwas begrüßt, was in der Kinderbetreuung als verwerflich gilt?
Nord-Süd-Gefälle.
Neue Formen der Dienstleistung in Verbindung mit affektiver Arbeit thematisiert die italienisch-amerikanische Künstlerin Elisa Giardina Papa in «Technologies of Care». Sie führte Interviews mit Online-Arbeiter_innen, die sie über Plattformen wie Upwork oder Fiverrr anheuerte. Nicht nur hat die sogenannte Gig-Economy einen Teil des Arbeitsmarkts ins Internet ausgelagert, wo prekär tätige Freelancer_innen ihre Arbeitskraft anbieten – von ihnen können heutzutage emotionale Begleitung, Erfahrungen und Unterstützung gekauft werden: Social-Media-Fans, die auftragsmäßig Likes und Kommentare hinterlassen, Online-Dating-Coaches, ASMR- und Fetisch-Video-Performer_innen. Dass diese sehr oft in Ländern sitzen, die sich in politisch-ökonomischen Krisen befinden (wie Brasilien, den Philippinnen, Venezuela) und mehrheitlich weiblich sind, macht nicht zuletzt das hierarchische, geschlechtlich organisierte Care-Verhältnis zwischen dem globalen Norden und Süden deutlich.
Sorge und Macht.
«TechnoCare» wirft nicht nur Schlaglichter auf zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch auf jene zwischen Mensch und Tier, die von Fürsorge und besonderer Abhängigkeit geprägt sind. Das deutsch-französische und anonym agierende Künstlerinnenkollektiv Neozoon trägt seit seiner Gründung 2009 mit seinen Arbeiten auf ganz eigene Weise zum Diskurs über das Mensch-Tier-Verhältnis bei. In der Videocollage MY BBY 8L3W, zusammengesetzt aus Found-Footage-Schnipseln aus YouTube-Clips, gerät die wohlmeinende Tierliebe junger Frauen, die ihre Rassehunde- und -katzen öffentlich präsentieren, zunehmend außer Kontrolle. Auch die Synchronisierung sich wiederholender Phrasen und Gesten der YouTuberinnen hinterlässt ein unbehagliches Gefühl: Das vermeintlich Persönliche, Intime in der Zuwendung entpuppt sich als massenhafte Inszenierung, die zur Schau gestellte, übertriebene Zuneigung als warenförmiger Einsatz, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Arbeiten wie diese sind ein unbequemer Reminder: Wer in unserer Gesellschaft welche Fürsorge und Zuwendung erhält und wer nicht, hat vor allem mit asymmetrischen Machtbeziehungen zu tun. Doch ohne eine Veränderung der sozialen Verhältnisse werden auch die avanciertesten Technologien keine Befreiung herbeiführen – weder für die, die Sorge geben, noch für jene, die sie empfangen.■
TechnoCare
bis 15. Mai
Kunstraum Niederösterreich, 1., Herrengasse 13
www.kunstraum.net