Lokalmatadorin Judith Pühringer
Judith Pühringer vermittelt zwischen Welten, auch Arbeitswelten. Wider den Widerspruch. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).
Die Turnhalle im Haus Herklotzgasse Nr. 21 im 15. Wiener Gemeindebezirk: Wo früher einmal die Kinder eines jüdischen Kindergartens Ball spielten oder Purzelbäume schlugen, unbeschwert, trinkt man heute ebenso unbeschwert eine Melange und erfreut sich an der ruhigen Atmosphäre des gleichnamigen Hinterhof-Cafés.
Darf man das? Man darf. Beruhigt Judith Pühringer, Expertin für die Auflösung nur scheinbarer sozialer Unverträglichkeiten. Ja, es stimmt schon. Zwischen dem Frühjahr 1938 und dem Frühjahr 2018 liegen Welten. Doch die dunkle Geschichte dazwischen konnte behutsam aufgearbeitet werden.
«Damals, vor achtzig Jahren, versammelten sich hier Mitglieder der jüdischen Gemeinde des 14. und 15. Bezirks», macht Pühringer auf ein bis dato wenig bekanntes Detail der Stadtgeschichte aufmerksam. Das Vereinshaus und die Turnhalle waren für die meisten letzte Station in Wien, vorletzte Station in ihrem Leben. Von hier brachten sie die Nazi-Schergen in Hitlers Ermordungslager.
Die Mutter von zwei Kindern kennt alle Kinder des Hauses Herklotzgasse 21 beim Namen. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Erinnerung an sie nicht verloren geht: «Wir haben die wenigen Überlebenden gesucht, die noch Lebenden gefunden und gemeinsam mit ihnen ihre Geschichte aufgearbeitet.»
Ein konkretes Ergebnis des von Privatpersonen getragenen Erinnerungsprojekts ist der Film Strom der Erinnerung, ein anderes die Wiederbelebung der alten Turnhalle. Hier trifft man Judith Pühringer, um bei einer Melange staunend festzustellen, welche Welten sie noch zusammenführen konnte.
Zunächst: Die Tochter von Bauernkindern ist nicht Historikerin, und sie ist auch nicht Sozialarbeiterin, wie man aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit und ihres sozialen Engagements annehmen könnte. Nein, sie hat an der Wirtschaftsuniversität studiert, zu einer Zeit, als die WU noch am Alsergrund fixiert war und das BWL-Studium in erster Linie als Karriereleiter für neoliberale Finanzschnösel diente. Doch es fand sich parallel zum Dünkel auch das dreckige Dutzend – in einer Vorlesung des heutigen WIFO-Chefs Christoph Badelt. «Das war die einzige Lehrveranstaltung auf der ganzen WU mit dem Wort sozial im Titel.»
Schon seit 2004 ist Judith Pühringer Geschäftsführerin der Plattform arbeit plus, die gut 200 soziale Unternehmen österreichweit vertritt. Kein Pimperlverein, aber auch kein Sozialkonzern. In diesem kooperativen Zusammenschluss arbeiten gut 15.000 fix Beschäftigte und 30.000 Transit-Mitarbeiter_innen. Der früh verstorbene Sozialreformer Alfred Dallinger hätte seine Freude an der Beibehaltung seines Credos: «Die experimentelle Arbeitsmarktpolitik ist uns allen in die DNA eingeschrieben.»
Tausende Menschen in diesem Land haben dank innovativer Betreuungsformen den Weg zurück in die Arbeitswelt und ein damit selbstbestimmtes Leben gefunden. Damit wurde ihnen weiteres Leid erspart – und der Volkswirtschaft laut Studien viel Geld.
Und es ist nicht klug, der gelernten Betriebswirtin mit dem populistischen Soziale-Hängematte-Kalkül zu kommen. Mit Zahlen kennt sie sich ebenso aus wie mit der persönlichen Perspektive von Langzeitarbeitslosen. «Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Menschen eine faire Chance bieten, eine Chance, die sie auch nützen können.»
Das Gespräch entfernt sich nun ein wenig von der alten Turnhalle. Aber. Genau. Nur auf den ersten Blick. Denn im ersten Stock des Hauses Herklotzgasse 21 befindet sich neben dem Büro der Armutskonferenz, deren Vorsitzende Judith Pühringer ist, das Büro von arbeit plus.
«Für mich war diese Arbeit Liebe auf den ersten Blick», erzählt sie. Von Anfang an brachte man der WU-Absolventin viel Vertrauen entgegen. Mit diesem Vorschuss geht sie heute noch sorgsam um. «So konnten wir gemeinsam langsam wachsen. Ich glaube, das war für alle Seiten ein Gewinn.»
Zwischen zwei Welten ist die Betriebswirtin auch aufgewachsen. Die Weitsicht ihrer Eltern und die eine oder andere Intuition führten dazu, dass sie in einer katholischen Privatschule im 19. Bezirk maturieren konnte.
Die emanzipierten Lehrerinnen dort («Unsere Physik-Professorin erklärte uns, wie wir mit einer Strumpfhose einen kaputten Keilriemen ersetzen können»), ihre Rolle als Klassensprecherin mit sehr guten Noten («Ich gehörte nicht zur Döblinger Elite, aber ich wurde von allen respektiert»), ihre Eltern («Sie haben mir nie Stress gemacht») und ihre Sozialisiation in der Katholischen Jungschar («Dort habe ich das Führen eines Teams und die politische Argumentation gelernt») ließen sie zu dem werden, was sie heute auszeichnet.
Am Ende des Treffens in der Turnhalle noch ein Ausblick von Judith Pühringer: «Meine Vision ist, dass der zweite Arbeitsmarkt als inklusiver, erweiterter Arbeitsmarkt dient, sodass hier alle Menschen ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechend einen Platz haben. Damit fiele auch die Kategorie jener weg, die nicht vermittelt werden können.»
Ein guter Gedanke.
Mehr über das Erinnerungsprojekt: www.herklotzgasse21.at.
Mehr über das arbeitsmarktpolitische Netzwerk: www.arbeitplus.at.