Sozial starktun & lassen

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«Mein Name ist Sarah, ich bin 33 Jahre alt und wohne in Niederösterreich. Im Alter von ungefähr 19 Jahren brach bei mir eine Autoimmunerkrankung aus. Das bedeutete wochenlange Krankenhausaufenthalte, schwere Therapien, viele Tabletten, Sprays, Spritzen und Infusionen. Sie nahm so heftig ihren Lauf, dass ich körperlich nicht in der Lage bin, mich durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu erhalten. ‹Selbsterhaltungsunfähiges Kind› nennt man das. Obwohl ich 33 Jahre alt bin.» Sarah habe ich bei einer Diskussion getroffen. Sie hat mir einen Brief geschrieben. «Schreib darüber», steht darunter.
Ihre Geschichte steht für all die negativen und giftigen Folgen der gekürzten Sozialhilfe. Für Sarah gibt es seit zweieinhalb Jahren keine Mindestsicherung mehr. Denn: Menschen mit Behinderungen können gezwungen werden, ihre Eltern auf finanziellen Unterhalt zu verklagen – auch, wenn sie längst volljährig sind. In Wien und manch anderen Bundesländern ist das verhältnismäßig neu, in Niederösterreich beispielsweise seit langem eine übliche, beschämende Praxis. Der Druck ist hoch. Wenn sich die Betroffenen weigern, wird die Leistung empfindlich gekürzt. In Niederösterreich werden längst volljährige Betroffene sogar gezwungen, ihren Eltern einen Teil der – oftmals geringen – Pensionsleistungen per Unterhaltsklage wegzunehmen.
Was das konkret heißt? Sachen sind nicht mehr leistbar, die wichtig wären, um Sarahs Erkrankung im Zaum zu halten und adäquat zu betreuen: Therapien, die Selbstbehalte und regelmäßige Fahrtkosten verursachen, Fahrten zu notwendigen Ambulanz- und Arztkontrollen, Zahnbehandlungen und einiges mehr. Aufwände, die überlebenswichtig sind.
«Aber das war, was mir eine gewisse Lebensqualität geschenkt hat. Ein Geldbetrag, über den ich, als volljährige Person, auch allein verfügen durfte.» Denn seit ihrer Behinderung und durch die Streichung der Mindestsicherung werde sie in die Rolle eines unmündigen Kindes gedrängt: Sie dürfe nicht wählen, wo, wie und mit wem sie zusammenleben möchte, sie erhalte keine Unterstützung bezüglich des Lebensunterhaltes, sie werde in eine Abhängigkeit von ihren Eltern gestellt, was viele Spannungen verursacht. Zusätzlich zu den alltäglichen Existenzängsten und den gesundheitlichen Ängsten, die man als Mensch mit Behinderung habe. Um das zu ändern, könnte hier zumindest eine Altersgrenze gesetzlich festgelegt werden, z. B. das 25. Lebensjahr, ab der Eltern von selbsterhaltungsunfähigen Kindern mit Beeinträchtigungen aus der Unterhaltspflicht entlassen werden.
Erwachsene Menschen mit Behinderungen gelten jetzt mit dieser schlechten Sozialhilfe ihr Leben lang als Kinder. «Ich bin also erwachsen und kann nicht mal frei entscheiden, welches Brot ich esse. Oder mit welchem Duschgel ich mich dusche. Kann ich den Schrank in meinem ‹Kinderzimmer› erneuern? Ist eine Mundhygiene momentan leistbar? Das sind alles Fragen, die ich als volljähriger Mensch meinen Eltern stellen muss. Ich kann nicht einfach Freunde einladen, wenn ich sie sehen will. Ich habe aber auch nur selten die Mittel, mit ihnen etwas zu unternehmen. Ins Kino zu gehen, Konzerte zu besuchen, ein regelmäßiges Hobby, das Geld kostet – all das ist unleistbarer Luxus. Und doch wäre es ein Ausgleich zu all den Sorgen und Ängsten, die man mit einer Erkrankung durchstehen muss. Und ganz banal: Lebensqualität.»
Armutsbetroffene werden oft als «sozial schwach» bezeichnet. Das ist eine Beleidigung. Sozial schwach sind diejenigen, die den Armen aus der Armut helfen könnten, es aber nicht tun.