Soziale Arbeit als Geben & Nehmentun & lassen

Sonja Hopfgartner bringt "Ganslwirt"-Erfahrungen in den Augustin ein

Sonja.jpgDonauabwärts, von Linz nach Wien. Biografisch folgte Sonja Hopfgartner der Stromrichtung. In anderen Belangen schwimmt sie gegen den Strom. Darum fühlt sie sich beim Augustin, wo sie seit 1. Mai dieses Jahres als Sozialarbeiterin tätig ist, gut aufgehoben. In einem selbst organisierten, nicht von der Gemeinde Wien ausgehaltenen und deshalb autonomen Projekt wie dem Augustin könne ein sozialarbeiterisches Konzept verwirklicht werden, das selbst die Hilfesuchenden ermuntert, selbstständig gegen den Strom zu schwimmen …

Seit 16 Jahren lebt die gebürtige Linzerin in Wien, unter anderem in ihrem verlängerten Wohnzimmer Kuku, einem Beisel an der Linken Wienzeile, wo sie gelegentlich auch an der Schank aushalf. Viele Jahre war sie Krankenschwester, dann ließ sie sich in der Sozialakademie St. Pölten (die Linzer Sozak galt damals als extrem konservativ) zur Sozialarbeiterin umschulen. Nach neunjähriger Drogenarbeit in der Anlaufstelle Ganslwirt im 6. Bezirk erreichte sie der Ruf des Augustin.

Was da nach ihr rief, hatte in ihrem Bewusstsein längst einen guten Ruf. Während die Drogensozialarbeit im Ganslwirt im Grunde dazu verurteilt ist, zu reparieren, was eine überholte Drogenpolitik an gesellschaftlichen Schäden hinterlässt, seien beim Augustin die Bereitschaft und auch das Potenzial, einen Beitrag zur Änderung der Verhältnisse zu leisten, spürbar. Freilich müssten bei diesem Vergleich, relativiert Sonja Hopfgartner, die anderen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, in denen der Ganslwirt agiert. Wegen der (finanziellen) Abhängigkeit des Ganslwirts von der Gemeinde Wien stoße man als Kritikerin der offiziellen Drogenpolitik sehr schnell an Grenzen.

Und zwar an welche?, wollen wir von der neuen Kollegin wissen. Es ist spannend, eine Kollegin zu interviewen, die aus ihrer Erfahrungssammelstelle neues Spezialwissen in das Augustin-Team mitbringt, und das ausgerechnet in einem thematischen Bereich, in dem die Wiener Straßenzeitung Munition zum öffentlichen Widerspruch sammelt. Weil nämlich die Kampagne der Ausgrenzung von drogenabhängigen Menschen oder die Politik der Lösung des Drogenproblems mithilfe des Gefängnisses jeden Widerspruch verdient.

Sonja Hopfgartner bringt ein Beispiel: Wir haben die Einrichtung von Konsumräumen im Ganslwirt und an anderen Orten in Wien gefordert. Ich selbst arbeitete, vor etwa acht Jahren, an einem Konzept mit, das der Gemeinde eigentlich entgegenkam und Konsumräume in bestehenden niederschwelligen Einrichtungen vorschlug. Konsumräume sind Angebote, den Betroffenen ein hygienischeres, risikofreieres, stressarmes Konsumieren zu ermöglichen. Da schlug uns totale Ablehnung und Inakzeptanz entgegen, auch die Drogenkoordination der Stadt Wien unterstützt diese Idee nicht, wider besseres Wissen. Traurig, dass wir innerhalb der Sozialdemokratie keine BefürworterInnen unseres Konzepts gefunden haben.

Wo spritzen, wenn es keine Konsumräume gibt?

Und das, obwohl die Ganslwirt-ExpertInnen eine rechtliche Expertise vorweisen konnten: Es gibt keine rechtlichen Bedenken gegen ein sofortiges Aufsperren von Konsumräumen. Das Njet zu Konsumräumen war demnach eine rein politische Entscheidung, ein Produkt auch der Angst der Politik vor dem Aufschrei der Kronen Zeitung und ihrer Leserbrief-Schreiberlinge. Sonja Hopfgartner weist auf die paradoxe Haltung der Öffentlichkeit hin: Die Leute der Drogenszene sind zu einem Großteil obdachlos und leben in Notunterkünften. Wo spritzen sie also, wenn es keine Konsumräume gibt? In den Parks, in Toilettten, in den Telfonzellen, in den Hauseingängen. Dieselben Menschen, die dieses Chaos skandalisieren, rufen den skandalösen Zustand selbst herbei, wenn sie die Errichtung von Konsumräumen hintertreiben.

Rasch, unter Stress, in Furcht vor Entdeckung im Schutz der Dunkelheit abzudrucken, bedeutet, dass beim Drogenkonsum die Hygiene auf der Strecke bleibt; umgekehrt sind die Utensilien der Drogensucht, vor allem die Nadeln, die man dann im Park findet, für die Öffentlichkeit ein Ärgernis. Diese Logik müsste doch allen zugänglich sein, meint Sonja Hopfgartner: Das Fehlen von Konsumräumen schadet also beiden: den Drogenkonsumenten und ihren BeobachterInnen. Konsumräume wären geschützte Räume, wo Betroffene unter Anleitung eines kompetenten Personals in gesundheitsfördernden Bedingungen ihre suchtbedingten Handlungen setzen können. Wer keine gebrauchten Spritzen auf Kinderspielplätzen will, der müsste doch konsequenterweise Konsumräume verlangen! Kein Bedarf, hören wir immer wieder von der Stadt Wien die es vorzieht, die Drogenszene mit polizeilichen Mitteln zu zerschlagen. Die etwa 300-köpfige alte Drogenszene am Naschmarkt ist mithilfe der Wiener Linien zerschlagen worden, sie hat sich zum Karlsplatz verlagert, wo man sie jetzt zu zerschlagen versucht. Was kommt dabei raus? Dass sich kleine Subszenen bilden, die in der Stadt verstreut sind. Die Abhängigkeit der Einzelnen von den Drogen löst sich ja nicht auf, wenn ein Szenentreffpunkt aufgelöst wird.

Dabei wären Konsumräume noch das Mindeste, was eine kluge Drogenpolitik durchsetzen müsste. Solche Schutzzonen ändern ja noch nichts an der Tatsache, dass Substanzen wie Kokain oder Heroin illegal bleiben. Natürlich bin ich für kontrollierte Abgabe von Heroin. Wie soll man sonst die Beschaffungskriminalität eindämmen? Wie soll man den Zusammenhang von Suchtverhalten und Kriminalisierung knacken? Fast jeder in der Drogenszene ist mit dem Gesetz in Konflikt geraten, fast jeder ist verschuldet, fast jeder hat mit dem Elternhaus gebrochen, viele sind beziehungsunfähig geworden, skizziert die Ex-Ganslwirtin die Folgen der Verbotspolitik, welche der Gesellschaft materielle und immaterielle Kosten verursachen, die leicht vermieden werden könnten.

Weiß nicht, was alles auf mich zukommt

Während meiner neunjährigen Tätigkeit ist die Drogenszene in Wien stärker geworden. Das kann man auch anhand der BesucherInnenzahlen im Ganslwirt festmachen, bilanziert Sonja Hopfgartner. Das merkten wir ganz konkret auch an der Überauslastung unserer Räumlichkeiten. Im Schnitt haben wir in letzter Zeit täglich 7000 Spritzen getauscht; die Aktion Spritzentausch ist eines der Angebote des Ganslwirtes, um das Ansteckungsrisiko zu vermindern. Das scheint eine Wiener Spezialität zu sein: dass sehr viele illegale Substanzen, auch viele Substitutionsstoffe, intravenös konsumiert werden. Die Wiener Drogenszene ist nadelgeil, könnte man salopp sagen.

Trotz allem: Sie habe gerne im Ganslwirt gearbeitet. Es stimme schon, dass Drogensozialarbeit kaum etwas ändern kann, sondern nur die Schäden repariert. Der Umkehrschluss sei aber nicht erlaubt: dass die Legalisieung von Drogen schlagartig die Drogensozialarbeit überflüssig machen würde. Der Drang, sich mit Valium oder Rohypnol zu dämpfen, wenn man in der oben geschilderten Situation ist nämlich isoliert vom ehemaligen sozialen Umfeld, vorbestraft und hoch verschuldet bleibe ja. Aus diesem Kreislauf komme der Betroffene so rasch nicht heraus. Sozialarbeiterische Hilfe erübrige sich also nicht gleich. Diese Stoffe seien ja nicht illegal, man könne sie in Apotheken kriegen.

Unser Gespräch wendet sich nun von der Vergangenheit ab (die allerdings zu überraschenden Austrieben in Sonjas berufliche Zukunft fähig war: Unter den AugustinverkäuferInnen traf sie so manchen Ganslwirt-Klienten wieder). Die Neue im Straßenzeitungsvertrieb: Der Augustin bringt mich auf Arbeitsfelder, die ich im Ganslwirt nicht kannte. Der Augustin ist zum Beispiel auch ein Ort der politischen Diskussion. Ich denke, dass ich meinen sozialpolitischen Anspruch hier besser verwirklichen kann. Das ist das Spannende hier, dass man nicht auf rein sozialarbeiterische Tätigkeit beschränkt ist. Ich weiß nicht, was da alles auf mich zukommt. Der Augustin, ich meine jetzt auch die inhaltliche Linie der Zeitung, kommt meinen weltanschaulichen Werten sehr nahe, er ist sicherlich jenes Projekt, bei dem ich am wenigsten veranlasst bin, meine politischen Überzeugungen draußen vor der Tür zu lassen, wenn ich die Arbeit beginne.

Gescheitert beim Aufbau einer gewerkschaftlichen Vertretung

Uns kommt vor, dass Sonja Hopfgartner einem Typus von SozialarbeiterInnen entspricht, der früher gar nicht so selten anzutreffen war in diesem Genre. Ich glaube auch, dass sich da einiges geändert hat, bestätigt sie uns. Früher hat man ja gar nicht SozialarbeiterIn sein können, ohne politisch zu sein. Die soziale Arbeit ist jedoch abhängiger vom großen Geldgeber geworden. In Wien ist das hauptsächlich der Fonds Soziales Wien, wie geübte AugustinleserInnen wissen, und sie wissen auch, dass der FSW eine Geburt der großen Sozialdemokratie ist, der ein gewisser Kontrollwahn nachgesagt wird ein Drang, überall die Hände drinnen zu haben. Den SozialarbeitterInnen von heute weht ein schärferer Wind entgegen. Aber auch SozialarbeiterInnen der älteren Generation haben es nicht geschafft, eine starke gewerkschaftliche Vertretung aufzubauen. Wir sind beim Aufbau einer Lobby gescheitert, konzediert die 42-Jährige, die ihrerseits in den Friedenskomitees der 80er Jahre und in den Linzer Frauengruppen politisiert worden ist.

Ich bin froh, dass innerhalb des Augustin-Teams starke Frauen arbeiten. Es gibt eine Frauen-Männer-Parität im Vorstand. Wahrscheinlich gibts in dieser Stadt nicht allzu viele Vorstände, in denen es diese Ausgewogenheit gibt, lobt sie die neue Arbeitsstelle.

Das Hauptlob gilt aber dem vergleichsweise aufregenden Konzept sozialer Arbeit: Im Ganslwirt habe ich klassische Sozialarbeit gemacht was beim Augustin nicht in dem Ausmaß passiert. Klassische Sozialarbeit heißt, dass Betreuungsarbeit im Vordergrund steht. Obwohl ich in diesen neun Jahren beim Ganslwirt viel gelernt habe, so handelt es sich doch um eine Institution, in der sozialpolitisch engagierte Sozialarbeit rasch an Grenzen stößt. Weil es eben keine selbst verwaltete unabhängige Organisation ist, sondern eine von der Gemeinde Wien finanzierte und abhängige. Beim Augustin als selbst verwaltetes, nicht subventioniertes und unabhängiges Projekt, kann sich jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin viel stärker einbringen. Und AugustinverkäuferInnen, die ihre Verkaufsstrategien selber entwickeln, sind mehr Partner als Klienten. Die Einseitigkeit der klassischen Sozialarbeit die SozialarbeiterInnen bieten was an, die Klienten nehmen es sei beim Augustin durchbrochen. Ohne die Erfolge der KolporteurInnen beim Vertrieb der Zeitung gäbe es das Projekt nicht. Sie nehmen und geben.

Wer wie Sonja Hopfgartner bei einem Work in Progress vom Typ Augustin landet, weiß nie, was er/sie am Ende geben und nehmen wird.