Soziale Arbeit: ein Beruf, der keiner ist?tun & lassen

Illustration: Silke Müller

Der Bedarf an Fachkräften in der Sozialen Arbeit steigt. Doch neben der drohenden Einsparung in der Ausbildung gibt es immer noch keine berufsgesetzliche Regelung. Vertreter:innen der Sozialen Arbeit versuchen das zu ändern.

«Ich glaube, dass die Soziale ­Arbeit ein irrsinnig spannendes und weites Berufsfeld ist, eines, das viele Nischen hat und Spezialisierungen ermöglicht. Das macht den Beruf so attraktiv.» Julia Pollak, eine der beiden Geschäftsführerinnen des Öster­reichischen Berufsverbands der Sozialen Arbeit (obds), fügt nach ­einer kurzen Pause hinzu: «Auch wenn die Rahmenbedingungen, unter denen die Kolleg:innen arbeiten, oft schwierig sind.»
Es lässt sich kaum überblicken, wo überall Sozialarbeiter:innen und Sozialpädagog:innen – aus diesen beiden Berufsgruppen und wissenschaftlichen Disziplinen speist sich die Soziale Arbeit – tätig sind. Sie finden sich in Krankenhäusern und Ambulatorien, da Gesundheit und Genesung auch eine soziale Dimension hat; in Parks und Jugendzentren, um sich Themen und Problemen von Jugendlichen anzunehmen; in psychiatrischen Einrichtungen und Suchtberatungsstellen versuchen sie Menschen in ihrer Lebenssituation zu unterstützen; sie hören zu, beraten, begleiten bei Behördengängen; wir finden sie in Schulen, Internaten, einschließenden Institutionen wie Gefängnissen, aber auch im Kontext von Arbeitslosigkeit und dem AMS, im Bereich der Obdach- und Wohnungslosigkeit, in Notschlafstellen oder Unterkünften von geflüchteten Menschen; sie arbeiten mit Menschen mit Behinderungen, mit Familien in Krisensituationen und setzen sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen ein. In der Tat: Das Feld ist groß, der Bedarf an Fachkräften in der Sozialen Arbeit steigt und die Arbeitsbedingungen werden schwieriger. Anerkennung ist oft nicht gegeben. «Die einzelnen Bereiche Sozialer ­Arbeit werden in der Öffentlichkeit unter­schiedlich stark wahrgenommen und auch als ­unterschiedlich relevant bewertet.» Was Julia Pollak anspricht, ist, dass die Adressat:innen der Sozialen Arbeit oft Menschen sind, die über einen geringen sozialen Status verfügen und dass die Tätigkeiten von Sozialpädagog:innen und Sozialarbeiter:innen von Außenstehenden nicht als «Arbeit» identifiziert werden. Dennoch hat die Soziale Arbeit eine hohe gesellschaftliche Bedeutung. «Sie ist relevant für den Sozialstaat und übernimmt darin wesentliche Aufgaben. Das zeigt sich auch an den Förderstrukturen. Teilweise wird die Soziale Arbeit direkt behördlich getätigt oder sie wird über Behörden beauftragt. Sie ist aus dem Leistungsspektrum nicht wegzudenken.»

Im Roten Wien

Die Geschichte der Sozi­alen Arbeit, vor allem in Wien, beginnt mit den politischen und sozialen Überlegungen des Roten Wien. Es ging nicht mehr um karitative Wohltätigkeit, sondern den Hilfsbedürftigen wurde ein rechtlicher Anspruch garantiert. Dafür benötigte es ein professionelles kommunales Fürsorgewesen. Gegründet wurden verschiedene Beratungsstellen wie die Mutterberatungsstelle, die Jugendfürsorge oder die Tuberkulose-Fürsorgestelle, um der sozialen und gesundheitlichen Misere nach dem Krieg entgegenzuwirken. Die Sozialpädagogik entwickelte sich im 19. Jahrhundert aus dem Bildungs- und Erziehungswesen, ein klassisches Tätigkeitsfeld bildeten die Kinder- und Jugendheime. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen ­Anfang der 1960er-Jahre kam es auch zur Veränderung der Sozialen Arbeit. Die Ausbildung erfolgte über ­Akademien, diplo­mierte Sozialarbeiter:innen und Sozialpädagog:innen waren nun für ein wachsendes Betätigungsfeld zuständig. Als ein Beispiel soll hier die entstehende Bewährungshilfe erwähnt ­werden. Wie sieht es heute aus? An den verschie­denen Fachhochschulen werden ­Bachelor- und Masterstudiengänge im ­Bereich der Sozialen Arbeit angeboten, das Bundesinstitut für Sozialpädagogik und ­private Bildungseinrichtungen bieten entsprechende Ausbildungsplätze an. Die Berufsfelder der beiden ­Ausbildungsstränge ergänzen und überschneiden sich mittlerweile.

Was fehlt, ist Geld

Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, die ­Soziale Arbeit ist systemrelevant. Vor allem auch in der Nachbearbeitung der gesundheitlichen und sozialen Folgen. Ökonomisch formuliert wären Nachfrage und Anbie­tende vorhanden, jedoch fehlt es an Ausbildungsplätzen. «Wir merken, dass das Studium der Sozialen Arbeit insgesamt einen sehr hohen Zulauf hat, wir deutlich mehr Interessenten als Studienplätze haben und auch mehr ausbilden könnten. Wir bemerken weiters, dass die Studierenden bereits während ihres Studiums, aufgrund der hohen Nachfrage, im Sozialbereich arbeiten.» Katharina Auer-Voigtländer arbeitet an der Fachhochschule St. Pölten, ist im Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit (ogsa) und aktuell auch in Gesprächen mit dem Ministerium zum Berufsgesetz involviert. Woran es mangelt, ist das Geld. Der aktuelle Finanzierungsplan der Bundesregierung wird vonseiten der Hochschulkonferenz abgelehnt, da dieser eine Budgetverschlechterung vorsieht. Das Pro­blem liegt jedoch nicht nur bei der ­Lehre, sondern auch bei der Forschung. «Was uns an der FH fehlt, ist eine Basisfinanzierung der Grundlagenforschung, um eine finanzierungsunabhängige Disziplin- und Theorieentwicklung leisten zu können.» Anders als beispielsweise in Deutschland ist eine Ausbildung auf Doktoratsniveau in der Sozialen Arbeit in Österreich nicht möglich, auch hier gäbe es Entwicklungsbedarf.

Beruf ohne Berufsgesetz

Ein grundlegendes Problem ist auch das Fehlen ­eines Berufsgesetzes (s. Infokasten). Dies ­wurde im April bei einer gemeinsam von Arbeiterkammer, obds und ogsa organisierten Veranstaltung ausführlich diskutiert. Seit 1996 werden immer wieder Anläufe genommen, um ein Berufsgesetz einzufordern. Das aktu­elle Regierungsübereinkommen sieht dieses vor, jedoch scheint es weiterhin diffuse ­Widerstände dagegen zu geben. Sozi­alminister ­Johannes Rauch, selbst ausgebildeter Sozialarbeiter, lieferte bei der abschließenden Diskussionsrunde folgende Erklärungshypothese: «Eine starke Profession der Sozialen Arbeit nimmt ein Mandat wahr, ein gesellschaftliches Mandat, und zwar für Menschen, die ansonsten keine Stimme haben und ist im besten Sinne des Wortes parteiisch und ergreift Partei.» In den allermeisten EU-Ländern gibt es eine gesetzliche Regelung. Für den Berufsrechtsexperten der Arbeiterkammer, Kurt ­Schalek, bietet ein Berufsrecht eine Schutzfunktion für vulnerable Menschen, denn es regelt die Rahmenbedingungen ­einer Profession, sowohl was die Aufgaben, die Ausbildung, als auch die Rechte und Pflichten betrifft. Wer in der Sozialen ­Arbeit tätig ist, hat eine hohe Verantwortung, und jene, die diese Dienste in ­Anspruch nehmen, haben ein Recht ­darauf, von gut ausgebildeten und professionellen Fachkräften unterstützt und beraten zu werden. Da die Berufsbezeichnung nicht geregelt ist, kann sich derzeit jede:r Sozialarbeiter:in nennen. Auf dieses Manko weist auch der Jurist des Sozialministeriums Michael Kierein hin. Außerdem drückt für ihn ein Berufsrecht auch gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung aus.
Aktuell finden laufend Gespräche von Seiten des obds, ogsa, Vertreter:innen von Fachhochschulen und mit Unterstützung der Arbeiterkammer mit dem Ministerium statt; obds-Geschäftsführerin Julia Pollak zeigt sich optimistisch: «Den Bezeichnungsschutz sehen wir als ersten Schritt in Richtung Berufsgesetz. Damit auch diese unendliche ­Geschichte zu einem guten Ende findet.»

 

Was ist Soziale Arbeit?

Vom Internationalen Verband der Sozialarbeiter:innen (IFSW) und dem Internationalen Verband der ­Schulen für Soziale Arbeit (IASSW) wurde im Jahr 2014 die aktuell gültige, im Original englischsprachige Definition der ­Sozialen Arbeit veröffentlicht. Der Öster­reichische Berufsverband der ­Sozialen Arbeit (obds) ist als Mitglied des IFSW dieser Definition verpflichtet:
«Soziale Arbeit ist eine praxisorientierte Profession und akademische Disziplin, die sozialen Wandel, soziale Entwicklung, sozialen Zusammenhalt, das Empowerment und die Befreiung von Menschen fördert. Zentrale ­Prinzipien der Sozialen Arbeit sind soziale Gerech­tigkeit, Menschenrechte, ­kollektive Verantwortung und die Achtung von Diver­sität. Gestützt auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Sozial- und Geisteswissenschaften und auf traditionelles bzw. indigenes Wissen, bindet die ­Soziale Arbeit Menschen und Strukturen in Veränderungsprozesse ein, um den Herausforderungen des Lebens ­aktiv zu begegnen und das Wohlbefinden zu fördern. Die genannte ­Definition kann auf nationaler und regionaler Ebene noch näher erläutert werden.»

 

Was ist ein Berufsgesetz?

Unter Berufsrecht werden jene Rechtsvorschriften verstanden, die Zugang und Ausübung von Berufen regeln. Ein ­Berufsgesetz kann Ausbildung, Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsvorbehalte, Rechte und Pflichten sowie die Bezeichnung eines Berufs regeln. Auch wenn es die Profession seit über einhundert Jahren gibt, verfügt die Soziale Arbeit bis ­heute über keinen Berufs- bzw. Titelschutz.

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