Soziale Sicherheit für Reichetun & lassen

Arbeit, Armut, Haftanstalten – was plant die Regierung?

Die neue Regierung ist nicht die erste, die die Rechte von sogenannten Arbeitgeber_innen und Unternehmen stärkt. Aber die Radikalität, mit der sie den Markt dereguliert, bei den Ärmsten kürzt und den Justizapparat stärken möchte, ist von

neuer Qualität, erfuhr Lisa Bolyos von Expert_innen des Arbeits- und

des Strafrechts.

Foto: Lisbeth Kovačič

Weniger Beschäftigtenschutz, Steuererleichterungen für hohe Einkommen, Stärkung der unternehmerischen Freiheit. Das Regierungsprogramm liest sich wie der Wunschzettel der Industrie ans Christkind. Über die Streitfrage, ob auch die «Erbschaftssteuer für Arme» kommt, wie der Zugriff aufs Vermögen von Langzeitarbeitslosen spöttisch genannt wird, stolpern die Regierenden vorerst noch. Sozialministerin Hartinger-Klein (FPÖ) würde das gern bleiben lassen, immerhin geht es für ihre Partei anders als für Koalitionspartnerin ÖVP um einen handfesten Angriff auf die Stammwähler_innen. Die allerdings sollten sich – ob sie nun Lohnarbeit haben oder suchen – von der neu angetretenen Regierung ohnehin nicht vertreten fühlen.

Deregulierter Interessensausgleich.

Am 1. Jänner waren es 45 Jahre, seit das «Jugenvertrauensrätegesetz» in Kraft getreten ist. Seither haben auch Lehrlinge und jugendliche Lohnabhängige ihre Interessensvertretung im Betrieb. Wenn es nach der ÖVP-FPÖ-Regierung geht, soll die nun ersatzlos abgeschafft werden. «Das werden wir uns nicht gefallen lassen», ist der knappe Kommentar der Juristin Susi Haslinger, die in der Produktionsgewerkschaft für den Bereich Sozialpolitik zuständig ist.

Unter den Stichworten «Entbürokratisierung», «Fairness» und «Interessensausgleich» geht es einer ganzen Reihe hart erkämpfter Arbeitsrechte an den Kragen. Allerdings ist die Deregulierung von Arbeiter_innen- und Angestelltenrecht und -schutz nicht erst auf dem Mist der ÖVP-FPÖ-Regierung gewachsen. Schon die SPÖ-ÖVP-Koalition wurde für beinahe deckungsgleiche Forderungen angegriffen: «Da wurde eine Liste vorgelegt, welche Schutzbestimmungen abgeschafft werden sollen, weil sie ‹Aufwand› verursachen», erzählt Haslinger. In der neuen Parteienkombination haben sich die letzten Widerstände in Luft aufgelöst und so auch der Mythos, die FPÖ wahre irgendein Vertretungsinteresse des «kleinen», vulgo lohnarbeitenden Menschen.

Zwar musste die Regierung in puncto Kammermitgliedschaft einen Rückzieher machen, der direkte Angriff auf die Rechte der Lohnabhängigen ist aber alles andere als subtil: Schwächung des Kollektivvertrags bei gleichzeitiger Entschärfung des Lohn- und Sozialdumping-Gesetzes, ausgehöhlte Interessensvertretungen und erhöhte Höchstarbeitszeit; Letzteres sei, so Haslinger, nicht nur auf individueller Ebene, sondern «natürlich auch für den Arbeitsmarkt kontraproduktiv. Schon die derzeitige Überstundenleistung, mit der Österreich EU-weit auf Platz drei ist, vernichtet selbst nach sehr konservativen Schätzungen 30- bis 40.000 Vollzeitjobs. Entsprechend wäre es logisch, Überstunden zu reduzieren, nicht auszuweiten».

Eine Strafe für sechzehn Verbrechen.

Ein anderes Beispiel expliziter Unternehmensfreundlichkeit: das Ende des Kumulationsprinzips. Nehmen wir an, eine Baufirma beschäftigt sechzehn Arbeiter_innen und alle sechzehn werden dazu angehalten, am Feiertag zu arbeiten. Dann verstößt der oder die Arbeitgeber_in sechzehn Mal gegen das Verbot der Feiertagsarbeit. Fällt das Kumulationsprinzip, gilt der sechzehnfache Verstoß nur noch einmal pro Unternehmen. Aber es kommt noch dicker: Werden bisher bei unzureichender Anmeldung die Unternehmen zur Verantwortung gezogen, soll es künftig «Sanktionen auch für Arbeiter, die sich am Sozialbetrug beteiligen» geben. Mit «Sozialbetrug» ist, so Haslinger, «das vorsätzliche Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen gemeint, also das ‹Nicht-Anmelden›.» Ein typischer Fall: Eine Küchenhilfe wird geringfügig in der Gastronomie angemeldet, obwohl sie wesentlich mehr arbeitet. Nicht nur Sozialversicherung und Finanz werden hier betrogen, der Arbeitnehmerin fehlen auch u.a. Pensionszeiten. Diese einzuklagen, wird mit der neuen Regelung unattraktiv: «Arbeitnehmer_innen könnten durchaus davor zurückschrecken, wenn sie für ihre Niederschrift bei der Gebietskrankenkasse selbst sanktioniert werden.» Für Haslinger ist klar, woher diese Schlagseite des Regierungsprogramms rührt: «Googelt man bestimmte Formulierungen, so kommt man schnell drauf, dass die eins zu eins von Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung oder dem Fachverband Metalltechnische Industrie kopiert wurden.»

Ein Gespenst schummelt sich durch in Europa …

Soweit zu jenen, die Lohnarbeit haben. Aber was ist mit den anderen? Über das Gespenst des «Durchschummlers» wurde zur Genüge polemisiert, es wird zum Unwort des Jahres gekürt werden und dann wieder in der Versenkung verschwinden. Zu verhindern bleibt, dass die Notstandshilfe abgeschafft wird. Tritt das ein, wird – Ausnahmeregelungen hin oder her – massiv Verarmung produziert. Wie sich der Zugriff auf bestehendes Vermögen in Form von Wohnung, Haus, Auto und Erspartem auf Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit ganzer Familien auswirkt, hat Martin Schenk in seiner Kolumne «eingSCHENKt» in der letzten Ausgabe des Augustin eindrücklich beschrieben. Verarmung findet aber auch durch Neuerungen im Arbeitslosenbezug statt: Bei Frühpensionierungen sollen in Zukunft aus Zeiten der Arbeitslosigkeit nur noch maximal zwei Jahre für die Pension angerechnet werden; Folge ist eine entsprechend geringere Pension – und damit einhergehend ein erhöhtes Risiko, im letzten Lebensdrittel zu verarmen. «Entschiedene Bekämpfung der Altersarmut» sieht anders aus.

Mehr Waffen, weniger Nachsicht.

Gearbeitet wird auch im Gefängnis, und auch hier darf man damit rechnen, dass arbeitsrechtliche Forderungen kein Gehör finden. «Da wäre zum Beispiel die seit Langem geforderte Einbindung arbeitender Gefangener in das Pensionssystem», sagt Markus Drechsler, Obmann der Selbst- und Interessensvertretung zum Maßnahmenvollzug. Dabei kann er manchen Vorschlägen durchaus etwas abgewinnen: «Eine Modernisierung der Anstalten, die Einbindung in die gesetzlichen Krankenversicherungen, die Erweiterung der Fußfessel, Verbesserungen bei Haftentschädigung und eine Senkung der Unterbringungszahlen im Straf- und Maßnahmenvollzug werden von uns begrüßt. Aber eine Reihe von Maßnahmen fehlen.» Verlängerte und strengere Haft klingt vielleicht im Sinne des viel bemühten subjektiven Sicherheitsgefühls plausibel, aber gerade bei Maßnahmenvollzugshäftlingen brauche es, so Drechsler, dringend eine «zeitnahe Behandlung in forensischen Zentren statt in Hochsicherheitsanstalten ohne Therapiemöglichkeit». Ob die unbefristeten Anhaltungsmöglichkeiten im Maßnahmenvollzug unter Schwarz-Blau III ein Ende finden? Kaum zu erwarten. Denn eine Enthaftung soll es zukünftig «ausschließlich bei Wegfall der Gefährlichkeit» geben. Laut Drechsler «nach derzeitiger Judikatur nicht notwendig und auch nicht möglich: Ein kalkulierbares Restrisiko wird es bei Menschen immer geben».

Anders als das Arbeits- folgt das Strafrecht im Regierungsprogramm kaum Profitinteressen, sondern in erster Linie ideologischen Maßstäben: Zu einer autoritären Regierung gehört eine harte Justiz, dazu passt, dass etwa für die Gleichstellung von jungen Erwachsenen und Erwachsenen im Strafrecht plädiert wird.

Als «bedauerlich und gegen den internationalen Trend», bezeichnet das der Wiener Richter Oliver Scheiber. «Es bewährt sich, im jugendlichen Alter noch mehr auf Unterstützung statt auf Strafe zu setzen. Ein Schritt zurück wird hier im Ergebnis wohl höhere Rückfallraten bedeuten und das Entstehen langjähriger krimineller Karrieren tendenziell fördern.» Ein weiteres pikantes Detail: der Wunsch nach einer «Modernisierung des Waffengebrauchsrechts» der Justizwache – das heißt nichts Gutes für die Gefangenen und Markus Drechsler sieht darin einen Schritt in die ganz falsche Richtung: «Deeskalationsmaßnahmen wären zielführender.»

Alles Heimat.

Geschlagene 540 Mal steht das Wort «Österreich» im Regierungsprogramm, selbst im Strafvollzug spielt die Heimat eine Rolle: «Haft in der Heimat» heißt das Programm, das bereits Justizminister Brandstetter (ÖVP) initiiert hatte und das vorsieht, zu Gefängnisstrafen Verurteilte ohne österreichische Staatsbürgerschaft in eine Haftanstalt des Herkunftslandes zu überstellen. Gegenüber Drittstaaten wird als Goodie der «Einsatz finanzieller Mittel» angedacht – die Länder sollen also Zuwendungen bekommen und dafür ihre Staatsbürger_innen selbst inhaftieren. Man kennt diese Idee aus der Debatte über Flüchtlings-Anhaltelager. Es geht nicht um Einsparung finanzieller Mittel durch geringere Häftlingszahlen, sondern um die Möglichkeit der Abschiebung bei Straffälligkeit – eine langjährige Forderung der FPÖ.

Erleichtert wird auch die Kriminalisierung von Asylwerber_innen: Neue Straftatbestände sollen entstehen, und zwar im Fall von «Tatbegehungsweisen, die gesellschaftlich besonders verpönt» seien; – und die bisher zum Großteil strafrechtlich irrelevant sind zu denen gehört wenig überraschend «Behördentäuschung durch Alterslüge» (gemeint ist die Angabe der Minderjährigkeit zum Schutz gegen Dublin-Abschiebung im Erstgespräch zum Asylverfahren), «Asylbetrug, Schlepperei sowie illegale Einreise und Aufenthalt, Erschleichung von internationalem Schutz etc.». «Hier geht es offenbar darum, besondere Erschwerungsgründe für Fremde zu schaffen», kommentiert Oliver Scheiber. «Ich halte das für unangemessen, und in der Sache für unnötig – das Strafrecht ist flexibel, schon jetzt können und werden verschiedenste Umstände als mildernd oder erschwerend gewertet.» Man dürfe außerdem nicht vergessen, so Scheiber, «dass viele Menschen in Not nur durch illegale Grenzübertritte ihr Leben retten können – gerade Österreich mit seiner Geschichte sollte hier behutsam agieren und illegal eingereiste Menschen nicht kriminalisieren.»

Ob Verpönung ein guter Maßstab für das Strafgesetzbuch ist, sei dahingestellt. Ebenso, ob es nicht weit verpöntere Tatbegehungen gibt, die straffrei bleiben – etwa den vorsätzlichen Betrug am Staatshaushalt, der die Privatisierungsgeschäfte unter Schwarz-Blau I und II begleitet hat. Die Novellierung des Wirtschaftsstrafrechts wird zeigen, wohin es in Zukunft gehen soll.

Heimat und Kapital (oder, anders betrachtet: Rassismus und Armutsgefährdung) scheinen die zwei Grundfesten des Regierungsprogramms zu sein. Die Juristin Susi Haslinger rechnet mit «vielen Angriffen, die nicht alle explizit im Programm erwähnt sind». Einigen wenigen, meint sie, wird man auf juristischer Ebene begegnen können – dem Großteil aber nur mit Mobilisierungskraft.

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