Zur Erholung nach Mallorca?
Die Kürzung der Mindestsicherung und die Abschaffung der Notstandshilfe sollen die Arbeitslosenzahlen senken. Ist Österreich ein Land der freiwillig Arbeitslosen? Alban Knecht ist der Frage nachgegangen und in Deutschland auf Antworten gestoßen.
Illlu: Gernot Budweiser
Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache haben schon im Jänner, als sie ihre Pläne zur Abschaffung der Notstandshilfe vorstellten, klargemacht, dass sie das glauben. Da warnten sie vor den «Durchschummlern», die nur kurz arbeiten gehen würden, um sich dann in die soziale Hängematte zu legen. Der neuen Koalition geht es nicht nur darum – wie im Wahlkampf teilweise vorgetäuscht –, Asylsuchenden weniger Geld zukommen zu lassen, sie wendet sich gegen alle, die sozialstaatliche Hilfe benötigen. Neben dem rassistischen zeigt sie so auch ihr neoliberales Gesicht. Wieso die beiden gerade jetzt eine Debatte über Missbrauch von Sozialleistungen lostreten, zeigt ein Blick nach Deutschland, wo die Arbeitslosenhilfe bereits mit der Einführung von Hartz IV mit weitreichenden Folgen abgeschafft wurde. Dort tobt die Missbrauchsdebatte in Schüben schon seit den 1980er-Jahren.
Hängematte.
Das soziale Netz ist «für viele eine Hängematte – man möchte sogar sagen: eine Sänfte – geworden», eine, «in der man sich von den Steuer- und Sozialabgaben zahlenden Bürgern von Demonstration zu Demonstration, von Hausbesetzung zu Hausbesetzung, von Molotow-Cocktail-Party zu Molotow-Cocktail-Party und dann zum Schluss zur Erholung nach Mallorca» tragen lassen kann. Mit diesen Worten etablierte der bayerische CSU-Abgeordnete Erich Riedl die Hängematte als zentrales Bild dieser Debatte.
Langzeit-Kanzler Helmut Kohl wollte den markigen Sprüchen um nichts nachstehen und warnte vor dem «kollektiven Freizeitpark». Sein Nachfolger Gerhard Schröder stellte klar, dass es «kein Recht auf Faulheit» geben könne und Schröders Arbeits- und Sozialminister Wolfgang Clement veröffentlichte ein Pamphlet mit dem aussagekräftigen Titel «Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ‹Abzocke› und Selbstbedienung im Sozialstaat».
Missbrauchsdiskurs.
Diane Wogawa, die den Missbrauchsdiskurs in Deutschland wissenschaftlich untersucht hat, zeigt auf, dass das Auf und Ab der Debatte wenig mit konkreten Begebenheiten zu tun hat, sondern meist ein bis eineinhalb Jahre vor Bundestagswahlen stattfand und die Funktion innehatte, Leistungskürzungen zu legitimieren und nicht eingelöste Wahlversprechen zu kaschieren.
Die Diskurse folgen dem immer gleichen Muster: Der Leistungsmissbrauch dient als Aufhänger, die konkreten Vorwürfe bleiben aber völlig unspezifisch. Selbst die ganz gewöhnliche Inanspruchnahme einer Leistung wird in ein schlechtes Licht gerückt. Die bestehenden Kontrollmechanismen zur Verhinderung des Missbrauchs werden ausgeblendet und der Eindruck vermittelt, als ob ein Leben nahe dem Existenzminimum erstrebenswert wäre und es einfach und ungefährlich wäre – hierzulande –, das AMS zu betrügen. Oft werden Kontrollmechanismen gefordert, die bereits existieren. Bilder, die sich in den Köpfen gut festsetzen, erweisen sich stets als besonders wichtig, etwa «Drückeberger_innen», die mit ihrer «Mitnahme-Mentalität» den «Sozialstaat mit einer Melkkuh verwechseln». Das angebliche «Heer» von Menschen, die sich sozialstaatliche Leistungen zunutze machen, wird als zentrales Problem beschrieben, hinter dem die Betroffenen genauso verschwinden wie die wirtschaftlichen Gründe der Arbeitslosigkeit. Wer vermutet, dass Arbeitslosigkeit durch Faulheit und Missbrauch verursacht ist, der müsste auch die Schwankungen in den Arbeitslosenzahlen durch Konjunkturen von Faulheit und Missbrauch erklären – versucht hat das noch niemand. Dass diese Logik nicht aufgeht, erklärt auch, wieso in der Folge dieser Diskussionen nicht Maßnahmen gegen den Missbrauch ergriffen werden, sondern Leistungen pauschal für alle Bezieher_innen gekürzt werden. Darum ist es schließlich gegangen.
Gleiche Kerbe.
Sebastian Kurz haut nun genau in die gleiche Kerbe. «Es kann nicht Aufgabe der Allgemeinheit sein, die zu finanzieren, die sich mit Ausreden beim AMS durchschummeln», ließ der Kanzler wissen. Sein Vize Heinz-Christian Strache forderte fast wortgleich, «dass man Durchschummler nicht durchtragen werde».
Diane Wogawa schreibt, dass der Missbrauchsvorwurf vor allem dazu dient, sich zu profilieren und so zu tun, als sei man innovativ und durchsetzungsfähig. Gleichzeitig wird so ein gesellschaftliches Klima geschaffen, dass die Leistungseinschränkungen möglich macht, die Empfänger_innen auf Kürzungen einstimmt, ihr Widerstandspotenzial verringert und die Stimmverluste bei kommenden Wahlen begrenzt. Allerdings wird so auch der gesellschaftliche Zusammenhalt geschwächt, zuerst mit Worten, dann mit Gesetzen. Politiker_innen profitieren dann davon, immer weitere Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen. An einer ernsthaften Diskussion über die Probleme von Armut und sozialer Ungleichheit schummeln sich manche eben einfach vorbei.