Sozialutopie als AbenteuerArtistin

Bibliotick

Mit seinem 1916 erschienenen Romanerstling Die Welt ohne Hunger gelang Alfred Bratt ein internationaler Bestseller. Die Geschichte des jungen Chemikers Alfred Bell, der eine gesellschaftliche Reformation mittels eines von ihm erfundenen Nahrungspräparats in die Gänge bringen will, sprach wohl den damaligen Zeitgeist an.

In Bratts Roman scheitert die Sozialutopie Bells. Allerdings nicht, weil sein Plan undurchführbar oder schlecht durchdacht gewesen wäre, sondern am Widerstand des Großkapitals und der aufgehetzten Arbeiter_innen. Bell sieht sein Werk zerstört, aber bleibt doch hoffnungsvoll: «Er hatte nicht geirrt! Die Masse lebte! Ihre Urgewalt lebte und stellte die Ordnung wieder her. Reinere Luft würde dem Gewitter folgen.» Damit ist Bratt bzw. sein Romanheld Vertreter einer typischen Weltanschauung seiner Zeit, welche die Verbesserung der bestehenden Gesellschaftsordnung durch Gewalt ersehnt. Wenngleich in Die Welt ohne Hunger ein reformerischer, also eher sozialdemokratischer Weg und nicht revolutionärer Umsturz zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen soll.

Bratt gestaltete seine gesellschaftskritische und von Idealismus getragene Erzählung als mitunter actionreichen Abenteuerroman, dessen Stil und Charaktere an Arbeiten des Dr.-Mabuse-Erfinders Norbert Jacques erinnern. Wirklich ärgerlich ist, wie der Autor mit seinen wenigen weiblichen Figuren verfährt – da gibt es eine schwatzhafte Zimmerwirtin und die schöne, zartgebaute Millionärstochter Vivian, in die sich der Held verliebt. Und obwohl die junge Dame als abenteuerlustig, intelligent und willensstark beschrieben wird, verweigert ihr der Autor jegliche sinnvolle Aktivität.

Als Romanautor war der 1891 in Wien geborene Alfred Bratt tragischerweise sozusagen ein One-Hit-Wonder. 1918 starb der Schriftsteller, der mit 18 nach Berlin gegangen war, an einer Lungenentzündung. Sein Roman wurde nun neu aufgelegt. Zwar ist er stilistisch und in der Zeichnung seiner Figuren sehr in seiner Zeit gefangen, also etwas altmodisch, die klare gesellschaftliche Analyse und Beschreibung unterschiedlicher Milieus macht ihn dennoch auch heute lesenswert.

Alfred Bratt: Die Welt ohne Hunger

edition atelier 2018

344 Seiten, 27 Euro