Sozis erlauben Jagd auf „Verwahrloste“tun & lassen

1939 begann das nationalsozialistisch verwaltete Wien mit dem Aufbau gigantischer Karteien im Rahmen der «Erbbiologischen Bestandsaufnahme». Neben Geisteskranken, Alkoholikern, allen Arten von «Asozialen» wurde die Kategorie der «Verwahrlosten» einschließlich aller lebenden Vorfahren und Nachkommen («Sippschaft») aufgenommen. In der Wiener Zentralkartei waren bis 1943 bereits 700.000 Personen erfasst, wie aus Materialien des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes hervorgeht. Diese Menschen wurden als zukünftige Opfer nationalsozialistischer Rassenpolitik ins Auge gefasst. Manche HistorikerInnen gehen davon aus, dass die Nazis eine Ausrottung der gesamten als «minderwertig» angesehenen Unterschichten der Gesellschaft planten.

Das Wissen um die folgenreiche Stigmatisierung von «Verwahrlosten» im NS-System, das Wissen um das Schicksal der als «verwahrlost» wahrgenommenen Menschen (Stichwort: Spiegelgrund) verbietet die Übernahme dieses Sprachgebrauchs und der dahinter liegenden Einteilung der StadtbewohnerInnen in erwünschte und nicht erwünschte Gruppen. Und es verbietet vor allem die Etablierung von zweierlei Recht in der aktuellen Gesetzsprechung demokratischer Gesellschaften: das Recht auf die freie Benützung des öffentlichen Raumes für die Ersteren, die Duldung des Aufenthalts im öffentlichen Raum für die Letzteren.

 

Ausgerechnet die SPÖ-Abgeordneten im Wiener Landtag haben nun einen Antrag gestellt, mittels eines neuen Verwahrlosungsparagraphen im Landessicherheitsgesetz der Polizei künftig die Möglichkeit zu geben, ihrer Praxis der Wegweisung unerwünschter Personen endlich eine Rechtsgrundlage zu gewähren. Sie soll mit der Befugnis ausgestattet werden, Personen von öffentlichen Einrichtungen und Parks wegzuweisen, welche «allein durch ihr verwahrlostes Auftreten eine erhebliche Verunsicherung auslösen und die Bürgerinnen und Bürger von der widmungsgemäßen Nutzung der öffentlichen Einrichtungen abhalten bzw. in nicht zumutbarer Weise beeinträchtigen.» Vor hundert Jahren hätte die Sozialdemokratie gegen eine solche Armeleute-Bekämpfungs-Justiz einen Generalstreik diskutiert.

 

Die von der heutigen SPÖ vorgeschlagene Novellierung sieht weiters die Erweiterung des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes um den Tatbestand des »gewerbsmäßigen Bettelns» vor. Laut der Begründung des Antrages richtet sich diese neue Regelung gegen alle Personen, die regelmäßig betteln. Betteln soll «sofern die Absicht der wiederkehrenden Begehung zur Verschaffung einer fortlaufenden Einnahmequelle zu bejahen ist, strafbar sein.» Auch hier handelt es sich um eine nachholende Legitimierung der Polizeipraxis der vergangenen Jahre. Seitens der BettelLobbyWien und anderen Menschenrechtsorganisationen war der Polizei vorgeworfen worden, selbstherrlich zu bestimmen, welche Formen der Bettelei als «kriminell» einzustufen seien; mithilfe der Novellierung könnte die Polizei in Zukunft legal schon gegen eine Bettlerin vorgehen, wenn diese zwei Tage hintereinander beim Betteln gesehen wurde.

Die ÖVP Wien, die diese geplante Gesetzesänderung unterstützt, möchte damit gleich auch die Tätigkeit der StraßenzeitungsverkäuferInnen kriminalisieren. Als ob eine Straßenzeitung keine Ware wäre, sondern ein Beleg, mit der ein «Bettler» oder eine «Bettlerin» den Erhalt einer Zwei-Euro-Spende bestätigt