Spätes ErinnernArtistin

Ausstellung: Stadt der Frauen

Die Wiener Moderne wurde auch von Frauen geprägt. Eine Retrospektive im Belvedere holt die verdrängten und vergessenen Künstlerinnen, die rund um 1900 lebten und arbeiteten, ins Bewusstsein zurück. Von Hilde Grammel

Fotos: Johannes Stoll © Belvedere, Wien (Helene Funke: Träume, 1913)

Mitunter dauert es eine halbe Ewigkeit, bis an einstige Aufbrüche erinnert wird und sie somit ins Gedächtnis einer breiteren Öffentlichkeit zurückgeholt werden. Jahrzehntelang verschollen oder unbeachtet waren die Werke von in Wien tätigen Malerinnen und Bildhauerinnen der Jahre 1900 bis 1938, die jetzt in der Ausstellung Stadt der Frauen im Unteren Belvedere zugänglich sind. Einen ersten Einblick in dieses vielseitige Schaffen bot schon vor zwei Jahren die Ausstellung Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1928, damals im Jüdischen Museum zu sehen. Vielen der dort zur Schau gestellten Exponate begegnen die Besucher_innen hier wieder, was unter anderem darin begründet liegt, dass die meisten Künstlerinnen der Wiener Moderne und Zwischenkriegszeit jüdischer Herkunft waren. Mit ihnen, so hat es den Anschein, sollten nicht nur das jüdische und das weibliche Kunstschaffen, sondern auf Jahrzehnte auch jegliche Vorstellungen von Frauenemanzipation aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden.

Schön also, dass die Ausstellung im Belvedere nun ein weiteres Mal den verdrängten, geflüchteten oder ermordeten Künstlerinnen Raum gibt – die aktuelle, ebenfalls von Sabine Fellner kuratierte Schau ist gegenüber jener vor zwei Jahren um das Oeuvre von rund zwanzig Künstlerinnen erweitert. Mehr als bedenklich aber ist es, dass dies erst jetzt geschieht. Die Ursachen mögen vielfältig sein: mangelndes Interesse an Kunst von Frauen bei den Verantwortlichen, verschollene Werke, defizitärer Forschungsstand, antisemitische und sexistische Haltungen …

Stilistische und thematische Vielfalt.

Die Werke der ausgestellten Künstlerinnen rezipieren die Einsichten der Psychoanalyse (etwa Helene Funkes Träume) und greifen sozialkritischen Themen auf (u. a. Hermine Heller-Ostersetzers Zyklus Das Leben der Armen ist bitterer als der Reichen Tod). In Landschaften, (Selbst-)Porträts, Stillleben, Alltagsszenen, Akten zeigen die Künstlerinnen, dass sie in der Meisterinnenschaft von Genres und Stilen ihren männlichen Kollegen in nichts nachstehen. Nur fanden sie ungleich schwierigere Bedingungen vor: Frauen waren vom Besuch der Akademie ausgeschlossen (dieses Verbot wurde erst mit der Republikgründung aufgehoben), und der Zugang zu Künstlervereinigungen war ihnen untersagt. Zu den begrenzten bis fehlenden Ausbildungs- und Ausstellungsmöglichkeiten kam das gängige Frauenbild der Epoche, das Frauen auf passive Sexualobjekte, Mutterschaft und Hausfräulichkeit reduzierte.

Allerdings: Die Frauen reklamierten sich in Ausstellungen ihrer Kollegen hinein, fanden in ihnen nicht selten Förderer, gründeten Frauenakademien, organisierten selbst Ausstellungen, in denen sie neben eigenen die Werke ihrer Geschlechtsgenossinnen präsentierten und gründeten schließlich 1910 die VBKÖ, die Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs. Fragen wie jene, ob ein spezifisch weiblicher Blick in der Kunst von Frauen zum Ausdruck käme, beschäftigten sie ebenso wie der weibliche Körper und weibliches Selbstbewusstsein.

Schon fast Programm ist daher das erste Werk, das den Besucher_innen der Ausstellung begegnet, die Skulptur Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht von ­Teresa Feodorowna Ries: eine Frau mit aufgelöstem Haar, die unerschrocken den Blick in die Welt richtet. Die von allen Konventionen und Korsetten befreite Frau als vorwegnehmendes Abbild weiblicher Freiheit – ein deutlicherer Kontrapunkt zur eingeschnürten, von Vätern und Ehemännern abhängig gemachten Frau ohne eigene Rechte, ist kaum vorstellbar. Die Skulptur, die 1896 im Künstlerhaus präsentiert wurde, löste einen Skandal aus, machte aber ihre Schöpferin mit einem Schlag berühmt. Ries, einer jüdischen Familie aus Moskau entstammend, verbrachte ihre letzten Lebensjahre im Schweizer Exil, die Nazis zerstörten den Großteil ihres Werkes, das als «entartet» galt. Ihr imposantes Selbstporträt ist übrigens gerade in der ganzen Stadt anzutreffen, auf den Werbeplakaten für die Ausstellung.

Kommunistische und nationalsozialistische Künstlerinnen.

Zu sehen sind auch Fotografien und Gemälde der jüdischen Kommunistin Friedl Dicker, die im Ghetto Theresienstadt Kinder zum Zeichnen und Malen inspirierte, bevor man sie nach Auschwitz deportierte, wo sie 1944 ermordet wurde. (Anmerkung: Zwei Koffer mit Kinderzeichnungen konnten gerettet werden, sie sind heute im Jüdischen Museum in Prag zu besichtigen.) Fotocollagen wie Das Bürgertum faschisiert sich und So sieht sie aus, mein Kind, diese Welt zeigen Arbeitslosigkeit und Elend der Zwischenkriegszeit und reflektieren die Zeit des aufkommenden Faschismus. In den beiden Ölgemälden Das Verhör I und II zeigt sie misshandelte Menschen in grauen Gefängniszellen, mit der Farbe scheint jegliche Hoffnung gewichen, die Augen sind schwarze Löcher. Welch Kontrast zu der Lichterpracht einer Tina Blau und einer Olga Wisinger-Florian kaum drei Jahrzehnte früher!

Fast fremd im Kontext der Ausstellung muten Werk und Leben von Stephanie Hollenstein an, weil es in jederlei Hinsicht einen Gegensatz darstellt. Einfachen bäuerlichen Verhältnissen entstammend, hatte sie bereits im Ersten Weltkrieg als Mann verkleidet gedient. Ihre unkritische Huldigung eines Männlichkeitskults führten sie später direkt in die NSDAP und zur Übernahme des Vorsitzes der Nachfolgeorganisation der VBKÖ. Ihr Ansuchen zur Verleihung des Professorentitels wurde 1942/1943 allerdings mit der Begründung abgelehnt, dass ihr Schaffen nicht geeignet sei, Kulturschaffenden Anregungen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie zu geben.

Der Ausstellung ist es, nach jener im Jüdischen Museum Wien, nun ebenfalls zu verdanken, dass Namen wie Johanna Kampfmann-Freund, Bronica Koller-Pinell, Frida Konstantin-Lohwag, und viele mehr dem Vergessen entrissen werden, auf dass sie den ihnen zustehenden Platz in der Kunstgeschichte bekommen.

Stadt der Frauen

bis 19. März

Unteres Belvedere, 3., Rennweg 6A

www.belvedere.at